15.33

Bundesrätin Mag. Elisabeth Grossmann (SPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Werte Frau Bundesministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Die österreichische Justiz mit all ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern trägt ent­scheidend zu einem funktionierenden Rechtsstaat bei. Eine effiziente und qualitätsvolle Justiz sorgt für Rechtssicherheit und Rechtsfrieden in Österreich und ermöglicht da­durch das nötige Vertrauen seitens der Bürgerinnen und Bürger. Sie ist somit der Grundpfeiler eines jeden Rechtsstaates und jeder Demokratie. Vor diesem Hintergrund bekennen wir uns als Bundesregierung zu einer ausreichend ausgestatteten Justiz.“

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, diese staatstragenden Worte dürften Ihnen wohlbe­kannt sein, leiten sie doch das Justizkapitel des aktuellen Regierungsprogramms ein. Aber, Herr Bundeskanzler: Ihre Äußerungen und Ihr Verhalten in den letzten Tagen und Wochen lassen begründete Zweifel daran aufkommen, dass Sie diese Sätze, diese schön formulierten Sätze, auch wirklich verinnerlicht haben und sich dement­sprechend verhalten wollen. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, erfüllt uns sozialdemokratische Abgeordnete mit großer Sorge um die Zukunft unseres Landes und um die Zukunft der Rechtsstaatlichkeit in unserem Land, weshalb wir Sie heute, Herr Bundeskanzler, hierher in den Bundesrat eingeladen haben, um die Vorfälle mit Ihnen zu besprechen und Ihnen auch die Möglichkeit zu geben, dazu eine Erklärung vor dem Parlament abzugeben.

Worum geht es? – Um das im Einzelnen auszuführen: Vor dem Hintergrund der Causa der sogenannten Casinos-Affäre, des Casinos-Skandals, in dem der frühere ÖVP-Finanzminister Hartwig Löger, einer Ihrer engsten Vertrauten, Herr Thomas Schmid, der frühere Raiffeisen-General Walter Rothensteiner, der ehemalige ÖVP-Bundes­ob­mann und Vizekanzler Josef Pröll und auch Manager der Novomatic als Beschuldigte geführt werden, sollen Sie, Herr Bundeskanzler, massive Angriffe auf die Justiz getätigt haben.

Schauplatz soll, wie die Zeitschrift „Falter“ in ihrer Ausgabe 06/20 schreibt, ein Hinter­grundgespräch am 20.1.2020 in der Politischen Akademie der ÖVP vor rund 40 Jour­nalistinnen und Journalisten gewesen sein, bei dem Sie – ich zitiere – in einer heftigen, ungewöhnlich emotionalen Weise die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft angegriffen haben sollen, weil sie Ihrer Meinung nach einen Fall von Regierungs­krimi­nalität einseitig, Ihrer Meinung nach eben zu einseitig, untersuche.

Der „Falter“ fasst diese Angriffe in drei toxischen Botschaften von Ihnen in folgender Weise zusammen: „Er“ – also Sie, Herr Bundeskanzler – „streut im Wesentlichen drei giftige Argumente in die Medienlandschaft. Erstens: Die Verfahren würden zu lange dauern, weil die Ankläger unfähig seien. Zweitens: Die SPÖ habe die WKStA unter­wandert, die Behörde ermittle also politisch. Drittens: Die WKStA spiele Akten nach außen. Sie ist also auch kriminell.“

Das alles sind ungeheure Vorwürfe, Herr Bundeskanzler, die geeignet sind, den ge­samten Rechtsstaat in seinen Grundfesten zu erschüttern. Dementsprechend prompt waren auch die Reaktionen, um weiteren Schaden abzuwehren. So hat die Ober­staats­anwaltschaft Wien in einem Revisionsbericht festgestellt, dass die fallweise Länge der Verfahren auf Gründe zurückzuführen sind, die außerhalb des Verantwortungsbereichs der jeweiligen Referenten liegen, wie etwa begrenzte Ressourcen im Justizbereich, vor allem im polizeilichen Ermittlungsbereich, bei den Sachverständigen. Immer wieder auch genannt wird der Ressourcenmangel im Bereich des nicht richterlichen Verwal­tungspersonals. Es kommen auch immer neue, komplexe Sachverhalte hinzu, mit Auslandsbezug, bei denen man dann auch Amtshilfe anfordern muss. Das dauert natürlich entsprechend. Es ist für uns alle ja immer wieder auch eine gehäufte Rechts­mitteltätigkeit der Beteiligten zu bemerken, und auch das zieht die Verfahren in die Länge, ohne dass die Referenten, die daran arbeiten, etwas dafürkönnen.

Insgesamt verweise ich auch auf internationale Vergleiche, gemäß denen Österreich bei der Verfahrensdauer relativ gut abschneidet. Wir sind im internationalen Vergleich sogar im obersten Drittel zu finden, was uns natürlich nicht daran hindern sollte, noch besser zu werden.

Zum Vorwurf der politischen Einflussnahme hat sich auch Justizministerin Alma Zadić veranlasst gesehen, Stellung zu nehmen und auf der Homepage des Justiz­minis­teriums eine Klarstellung zu treffen, nämlich in der Weise, dass keine Hinweise vorlie­gen, die ein politisches Vorgehen seitens der Staatsanwaltschaften nahelegen würden. Nach Stellungnahme der Justizministerin steht also außer Frage, dass die österreichi­schen Staatsanwaltschaften objektiv und unabhängig von Parteizugehörigkeit ermit­teln.

Dazu muss auch noch etwas angemerkt werden: Seit es die Wirtschafts- und Korrup­tionsstaatsanwaltschaft gibt – sie wurde 2009 gegründet –, war das Justizministerium mit Ausnahme der Zeit der Übergangsregierung im letzten Jahr immer in ÖVP-Hand. Das gesamte dort tätige Personal wurde also von ÖVP-Justizministerinnen und -ministern eingesetzt. Es kann zudem auch festgestellt werden, dass dort niemand Mitglied der SPÖ oder des plötzlich viel zitierten BSA ist – das ist der Bund sozial­demokratischer AkademikerInnen; für jene, die das nicht wissen sollten, weil diese Organisation nun neue Prominenz erlangt. (Bundesrat Rösch – in Richtung SPÖ –: Bund schlagender Akademiker!) Das wurde in den Raum gestellt und das sind ebenso ungeheure Vorwürfe.

Es ist noch dazu zu bemerken, dass die Vereinigungen der österreichischen Rich­terInnen und StaatsanwältInnen schon seit längerer Zeit eine Empfehlung für ihre Mitglieder herausgegeben haben, eben keiner politischen Partei anzugehören. Es ist daher davon auszugehen, dass sich die Richterinnen und Richter und die Staats­an­wältinnen und Staatsanwälte auch daran halten.

Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaats­anwaltschaft Akten nach außen gespielt hat. Anwälte hingegen haben sehr wohl die Möglichkeit und das Recht einer Akteneinsicht und können, natürlich nur mit Einver­ständnis ihrer Mandanten, Informationen daraus verwerten, auch in der Weise, dass sie Medien informieren. Sie aber, Herr Bundeskanzler, werfen der Wirtschafts- und Kor­ruptionsstaatsanwaltschaft eine kriminelle Handlung vor – falls sich diese vor­ge­worfenen Sachverhalte auch so zugetragen haben sollten –, nämlich die illegale Weitergabe von Akten. Das ist ein strafrechtlich relevanter Tatbestand, nämlich Amts­missbrauch und Verrat von Amtsgeheimnissen, und zwar nicht nur einmalig, sondern in einer qualifizierten Form: in wiederholter Form.

Von zwei leitenden Journalisten wollen Sie auch erfahren haben, dass diese geheime Informationen aus der Staatsanwaltschaft erhalten haben. Was tun Sie da? Was steht hier im Raum? – Sie setzen damit die dort arbeitenden Menschen der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung aus, ja sogar einer Haftstrafe. Sie brauchen sich nur die entsprechenden Strafandrohungen durchzulesen, dann wird Ihnen hoffentlich bewusst, was hier im Raum steht.

Daher müssen wir Ihnen die in der Dringlichen Anfrage enthaltenen Fragen – die Ihnen zuvor ja auch schriftlich bekannt gegeben wurden – hier stellen, weil wir jeden Versuch der Politik, die Arbeit der Justiz – in welcher Form auch immer – zu beeinträchtigen, zu beeinflussen, zu lenken aufs Schärfste zurückweisen und uns dagegen verwahren. (Beifall bei der SPÖ.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Handlungsfähigkeit und Unabhängigkeit der Justiz ist ein hohes Gut und eine Voraussetzung dafür – Herr Bundeskanzler, ich hoffe, Sie schenken mir Ihre Aufmerksamkeit! –, dass Demokratie funktionieren kann. Genauso steht es richtigerweise auch in Ihrem Regierungsprogramm – aber Papier ist geduldig. Sie sollten sich schon an Ihr eigenes Programm halten, denn Rechtsstaat­lichkeit, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, ist ein zartes Pflänzchen. Ein solches Pflänzchen kann durch solche Aktionen, wie sie eben aus diesem Hintergrundgespräch bekannt wurden, sehr schnell zertrampelt werden.

Staaten wie Polen oder Ungarn sollten Österreich nicht als Vorbild dienen. Österreich ist stolz darauf, immer ein Vorzeigeland in Sachen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gewesen zu sein, und das soll auch weiterhin so bleiben. Sie haben eine sehr große Verantwortung für unser Land, auch für das Ansehen unseres Landes, für das Funktionieren der Justiz, für das Funktionieren der Demokratie.

Sie haben offensichtlich bemerkt, dass da irgendetwas nicht ganz rundgelaufen ist. Das Medienecho hat wohl nicht ganz den Vorgaben einer idealen Messagecontrol entsprochen, weshalb Sie als Regierungschef durch die Einberufung eines runden Tisches mit den Standesvertretungen der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte das Justizthema erneut an sich gezogen haben, und dazu haben Sie auch, wie wir ver­nehmen konnten, Europaministerin Edtstadler eingeladen, auch Justizministerin Zadić war eingeladen. Man muss sich schon fragen: Warum das Ganze?

Wir haben das Ressortprinzip, das heißt, Justizministerin Zadić ist dafür zuständig und sie muss das Heft in der Hand haben. Warum haben Sie das an sich gezogen? – Sehr viele politische Beobachter und Beobachterinnen haben das als politische Entmündi­gung von Justizministerin Zadić gewertet. Daher ersuchen wir Sie, auch dazu Stellung zu nehmen, was Sie sich dabei gedacht haben und welche Motivationslage dahinter gestanden ist.

Wenn sich all diese Vorfälle so zugetragen haben, wie sie berichtet werden, dann ist das ein Justizskandal der Sonderklasse, Herr Bundeskanzler! (Beifall bei BundesrätIn­nen der SPÖ.) So ein Dirty Campaigning gegen die Justiz seitens eines Regierungs­chefs hat es in der Zweiten Republik noch nicht gegeben – mit der vermeintlichen Moti­vation, lästige Ermittler von sich und den Seinen fernzuhalten.

Deshalb, Herr Bundeskanzler, möchten wir Ihnen hier auch die Möglichkeit einer Stel­lungnahme geben und müssen wir Ihnen die folgenden Fragen stellen, die einfach an Dringlichkeit nicht zu überbieten sind, weshalb wir Sie wirklich ersuchen, mit größter Gewissenhaftigkeit (Zwischenruf bei der ÖVP) auf diese aufgeworfenen Fragen einzu­gehen, die Ihnen ja schriftlich zugegangen sind – Sie werden sich sicherlich sehr gut vorbereitet haben.

Sagen Sie uns: Sind diese Berichte im „Falter“ über dieses Hintergrundgespräch am 20. Jänner 2020 so wahr, wie sie wiedergegeben wurden? Was davon ist, wenn Sie das bestreiten, nicht wahr? Haben Sie zuvor auch Rücksprache mit der zuständigen Justizministerin Zadić oder dem Ressort gehalten? Warum nehmen Sie plötzlich in dieser Art und Weise, wie ich Sie vorhin zitiert habe, Stellung zu Fragen der Justiz? Haben Sie auch – da würde ich Sie bitten, ganz besonders darauf einzugehen – mit Josef Pröll und Walter Rothensteiner Kontakt gehabt; also nicht nur in der Art und Weise, wie Sektionschef Pilnacek die Herrschaften in das Justizministerium eingeladen hat, nämlich als Höflichkeitsbesuch? Die Frage geht auch in die Richtung, ob Sie ge­ne­rell Kontakt gehabt haben – telefonisch oder auch auf digitalem Wege –, weil ja, wie ge­sagt, diese Herrschaften in der heiklen Causa Casinos als Beschuldigte geführt werden.

Wie beurteilen Sie die getätigten Stellungnahmen und die Ressourcenfrage im Justiz­bereich? Werden Sie sich dafür einsetzen, dass diese brisante Ressourcenfrage gelöst werden kann, damit unser Justizsystem auch optimal und reibungslos funktionieren kann?

Sie haben diese Fragen in schriftlicher Form vorliegen. Sie kennen auch den Tat­bestand des § 297 Strafgesetzbuch – Verleumdung –, der in Absatz 1 lautet: „Wer einen anderen dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung aussetzt, daß er ihn einer von Amts wegen zu verfolgenden mit Strafe bedrohten Handlung oder der Verletzung einer Amts- oder Standespflicht falsch verdächtigt, ist, wenn er weiß [...], daß die Verdächtigung falsch ist, [...] zu bestrafen.“

Sind Sie sich all dieser Tatsachen bewusst und auch der Vorwürfe, die im Raum stehen? – Bitte nehmen Sie zu den aufgeworfenen Fragen im Einzelnen Stellung!

Herr Bundeskanzler, noch ein abschließender Appell: Österreich war, wie gesagt, im­mer Vorbild in Sachen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Bewahren wir dieses hohe Gut, diesen guten Ruf Österreichs und bitte katapultieren Sie unser Land nicht zu­rück! – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

15.51

Vizepräsident Michael Wanner: Zur Beantwortung hat sich Herr Bundeskanzler Sebastian Kurz zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihm.