14.31

Bundesrat Ingo Appé (SPÖ, Kärnten): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren hier im Plenum und zu Hause vor den Bildschirmen! Wie von meinen beiden Vorrednern angeführt geht es um die Regelung betreffend Risikogruppen, die neu gefasst und damit klarer und sichtbarer gemacht wird.

Nur zur Erinnerung: Seit März fordert die SPÖ eine klare Regelung für jene Menschen, die aufgrund von Vorerkrankungen zusätzlich oder ganz besonders von Covid-19, von diesem Virus, betroffen sind. Seit März fordern wir das, und letztendlich hat die Bun­desregierung in einer Pressekonferenz erklärt: Ja, für diese Risikogruppe gilt es eine Regelung zu finden! – Schön, dass diese Botschaft diesmal angekommen ist; schön auch für die Betroffenen! (Beifall bei der SPÖ.)

Bevor ich nun noch tiefer in die Materie dieser Regelung einsteige, erlaube ich mir, Bundeskanzler Kurz zu zitieren: Er will Österreich „zur neuen Normalität“ führen. – Sehr geehrte Damen und Herren! Es kann vielleicht einen Zeitraum mit besonderen Voraussetzungen geben, aber sicher nicht auf Dauer eine neue Normalität – für uns sicher nicht! Es ist auch an der Zeit, dass in den parlamentarischen Ablauf wieder die alte Normalität einkehrt. Es ist nunmehr Zeit genug, die in der Verfassung vorge­sehenen Abläufe und Fristen wieder aufleben zu lassen. Sondersitzungen, keine Be­gutachtungen und kurzfristig einberufene Ausschüsse dürfen nicht zur neuen Nor­malität werden. Auch die zig Nachkorrekturen von Verordnungen und Gesetzen haben dies in den letzten zwei Monaten bewiesen. Die derzeitige Situation darf nie zur neuen Normalität werden, stehen wir doch vor der größten Herausforderung der letzten Jahrzehnte, die wir gemeinsam meistern müssen.

Was wir von heute an erleben, ist eine Rückkehr zu unseren Werten, zu Werten wie Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Solidarität. Die Österreiche­rin­nen und Österreicher haben in den letzten sechs Wochen eindrucksvoll bewiesen, dass sie diese auch leben und zukünftig auch leben wollen. Österreich hat es dank eines funktionierenden Sozialstaates im Vergleich zu anderen Staaten wirklich gut geschafft, mit den anstehenden Herausforderungen umzugehen. Das ist ein schlagen­der Beweis dafür, dass ein Sozialstaat wichtig ist – gerade heute, in dieser Krise, ist er wichtiger denn je (Beifall bei der SPÖ), denn Ziel des Sozialstaates ist es, soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit für alle Menschen zu gewährleisten. Das be­inhaltet unter anderem die Finanzierung von Kranken-, Unfall-, Arbeitslosen- und Pen­sionsversicherungen sowie des öffentlichen Bildungssystems. Ebenfalls dazu gehören Leistungen wie die Mindestsicherung, die Notstandshilfe, das Kindergeld, der soziale Wohnbau und – besonders wichtig – reibungslos funktionierende Kommunen.

Die Sozialpartner sind ein weiterer wichtiger und zentraler Faktor eines funk­tionie­ren­den Sozialstaates, ebenso eine nicht privatisierte Infrastruktur in öffentlicher Hand wie Straßennetze, öffentliche Verkehrsmittel, Wasser, Strom, Energie und zukünftig auch die Breitbandversorgung.

Das neoliberale Märchen, dass man statt auf den Sozialstaat auf Eigenvorsorge setzen soll, weil jeder seines Glückes Schmied ist, entblößt sich als Horrorgeschichte. Unter­finanzierung und Privatisierung haben zum Beispiel in Großbritannien, in Italien und in den USA ein System geschaffen, das hinsichtlich seiner Kapazitäten schon bei einer üblichen Grippe überfordert ist.

Ein wichtiger Baustein eines Sozialstaates ist es auch, Risikogruppen zu schützen. In § 735 des ASVG geht es um die Risikogruppenregelung Neu. Die bisherige Regelung, die aus dem 3. COVID-19-Gesetz stammt, ist keine drei Wochen alt. Die Risiko­grup­penregelung Neu ist aber ein Verwirrspiel, das viel Aufwand bedeutet und Arbeit­nehmerInnen, aber auch ArbeitgeberInnen zusätzlich verunsichern und verärgern wird.

Erfreulicherweise sind auch positive Änderungen enthalten. Was ist an der neuen Regelung besser als bisher? – Dass sie offensichtlich nicht mehr verfassungswidrig ist; dass der Arbeitsweg berücksichtigt wird; dass nicht nur die Medikation ausschlag­ge­bend ist; dass der Arzt ohne Infoschreiben der Krankenversicherung Atteste ausstellen kann. Ebenfalls positiv ist der Passus mit der Reiseaufwandsentschädigung; sehr gut ist die Verlängerung für das Krankengeld, Rehageld und so weiter. Dies gilt auch für die Beiträge der Abfertigung Neu: Das bedeutet, dass die Krankenversicherung die Beiträge für die Abfertigung Neu zwischenfinanziert, wenn der Arbeitgeber sie nicht zahlen kann.

Aus unserer Sicht sind aber folgende Punkte noch immer sehr kritisch zu betrachten: dass der Kündigungsschutz lückenhaft ist, ausläuft und ein bloßer Motivkündi­gungs­schutz ist; dass der Angehörigenschutz fehlt – ein Dienstnehmer hat zum Beispiel einen Höchstrisikoangehörigen wie zum Beispiel einen Chemotherapiepatienten zu Hause –; dass die werdenden Mütter nicht erfasst werden; dass die Benutzung der Medikationsdaten für andere Zwecke als ursprünglich vorgesehen wird und dass die Bediensteten der Länder und Gemeinden ausgenommen sind.

Die Regelung des Kündigungsschutzes für Covid-19-RisikoarbeitnehmerInnen ist un­zu­reichend. Es braucht für diese ArbeitnehmerInnen einen Kündigungsschutz, der auch nach der Krise wirkt. Der gemeinsame Haushalt mit schwer kranken Ange­höri­gen, zum Beispiel Krebserkrankten, stellt eine Herausforderung besonders in diesem Pandemiefall dar. Berufstätige Angehörige von Schwerkranken müssen tagtäglich eine Abwägung zwischen dem eigenen Arbeitsplatz und der Gesundheit ihrer Angehörigen treffen. Diesen ArbeitnehmerInnen muss die Möglichkeit gegeben werden, sowohl die Pflege oder Betreuung ihrer Angehörigen zu übernehmen, als auch einen gesicherten Arbeitsplatz zu haben. Daher soll der Schutz des § 735 des ASVG auch auf diese Gruppe ausgedehnt werden.

Nun zu den werdenden Müttern: Aufgrund der physiologischen Veränderung in der Schwangerschaft können Schwangere bei Infektionen mit Atemwegsviren generell schwerer erkranken. In einer rezent publizierten Studie aus dem März 2020 wird über eine Fallzahl von 32 Frauen berichtet: Insgesamt betrug die Frühgeburtlichkeit in diesem Kollektiv 47 Prozent; ein Kind ist intrauterin verstorben, eines nach der Geburt. Allein diese Zahlen zeigen die Bedrohlichkeit von Covid-19 für Mütter, aber insbe­sondere auch für ungeborene Kinder. Unter normalen Umständen werden in Österreich pro Jahr circa 6 200 Kinder zu früh geboren und auf neonatologischen Stationen be­treut, wobei es auch immer wieder zu Engpässen in der Versorgung kommt. Wenn es aber nun durch Covid-19-Erkrankungen bei Schwangeren zu einer deutlichen Zu­nah­me von Frühgeburten kommt, kann es auch im Bereich der Neonatologie zu Über­lastungen der Kapazität in der Betreuung von Frühgeborenen kommen.

Zusammenfassend sind das besorgniserregende Zahlen, die unbedingt einen erwei­terten Infektionsschutz von Schwangeren am Arbeitsplatz durch einen vorzeitigen Mut­terschutz erfordern. Dabei ist nicht nur die Situation am Arbeitsplatz zu bedenken, sondern auch die Tatsache, dass viele Frauen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit gelangen.

Ich habe mir die Situation von Verkehrsexperten genau erklären lassen, wie das ab Mitte Mai bei den Öffis ist, da ich Anfragen von besorgten Müttern, aber auch Eltern, was den Schultransport betrifft, bekommen habe. Generell sind die Abstandsregeln einzuhalten – no na ned. Aber jetzt kommt es: Können diese nicht eingehalten werden, weil zu viele Fahrgäste mit dem Verkehrsmittel fahren möchten, gelten die Abstands­regelungen nicht mehr, da in ganz Österreich die Kapazitäten an Beförderungsmitteln nicht ausreichen, um diese Verordnung auch umsetzen zu können. Es stehen dann also viele dicht gedrängt in den Bussen, Straßenbahnen und Zugabteilen.

Es ist daher unbedingt erforderlich, dass während der Covid-19-Krisensituation wer­dende Mütter auf Verlangen von der Arbeit freigestellt werden können. Dass es dies­bezüglich keine Bewegung in den Regierungsparteien gegeben hat, ist eigentlich schade. Da setzt auch unsere Kritik an, nämlich dass der Kündigungsschutz nicht verbessert wurde, dass die pflegenden Angehörigen und auch die werdenden Mütter nicht miterfasst wurden.

Am Ende meiner Ausführungen noch ganz kurz zur Regelung, dass die Bediensteten der Länder und der Gemeinden ausgenommen sind: Anscheinend haben die Ge­meinden, die eigentlich direkt beim Bürger alle Maßnahmen umsetzen müssen, keinen sehr hohen Stellenwert in dieser Regierung. Ich rede jetzt nicht von den dringend notwendigen finanziellen Hilfspaketen für die immer ärger in finanzielle Bedrängnis geratenden Kommunen, aber Faktoren wie keine Möglichkeit der Kurzarbeit für die Bediensteten der Gemeinden, Entfall der Kommunalsteuer bei Kurzarbeit in den Be­trieben für Gemeinden sowie die zusätzlichen finanziellen Aufwendungen als Schul­erhalter, Kindergartenbetreiber und, und, und, sowie radikale Einbußen bei den Ertragsanteilen aufgrund von Covid-19-Maßnahmen und -Verordnungen stellen die Kommunen vor unlösbare Aufgaben. Vielleicht kann uns aber diese stiefmütterliche Behandlung aller österreichischen Kommunen einer unserer türkisen Bürgermeister hier im Haus genauer erklären.

Zum Schluss kommend: Wir werden trotz der erläuterten Kritikpunkte zu TOP 1 die Zustimmung erteilen, in der Hoffnung, dass die Regierung die Kritikpunkte überdenkt und sie später als ihre Idee einbringt. Das soll uns auch recht sein. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit und bleiben Sie alle gesund! (Beifall bei der SPÖ und bei Bun­desrätInnen der FPÖ.)

14.42

Präsident Robert Seeber: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Monika Mühlwerth. Ich erteile ihr dieses.