20.01

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser interessanten Debatte darf ich mich zu Wort melden. Ich liebe ja politische Dis­kussionen sehr, war viele Jahre parlamentarisch tätig. Ich mag auch den politischen Streit. Was ich eigentlich nicht mag, ist, wenn eine Rede durch und durch auf Provo­kation ausgelegt ist, und da meine ich nicht den Stefan Schennach. (Bundesrat Steiner: Geschmäcker sind verschieden, Herr Minister! Ich mag auch nicht alles, was Sie machen!) – Das haben Sie ausdrucksvoll kundgetan. (Vizepräsident Wanner über­nimmt den Vorsitz.)

Ich würde im Übrigen auch die Begrifflichkeit, die jetzt nicht für einen Ordnungsruf geeignet erschien, für nicht tragbar für ein derartiges Haus erachten. (Bundesrat Steiner: Das obliegt aber dem Präsidenten, das zu beurteilen!) Aber das ist nicht meine Angelegenheit, sondern die Angelegenheit des Hauses. (Bundesrat Steiner: Richtig!) Ich werde auf jeden Fall diese Rede dazu verwenden, das zu tun, was sie verdient, nämlich dazu kein Wort mehr sagen. Das ist die Höchststrafe. (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Bundesrat Steiner: Das haben Sie ja gut geschafft!)

Wissen Sie, wenn man in diesem Ton über eine Pandemie, über die größte Pandemie, die wir seit 101 Jahren haben (Bundesrat Steiner: Ich hab gedacht, Sie wollten kein Wort mehr darüber verlieren?!), spricht (Bundesrat Steiner: Er widerspricht sich gleich wieder!), dann geht das ziemlich am Thema vorbei und geht man ziemlich leichtfertig mit einem Thema um, das hochsensibel ist und wo niemand von uns nach vier Monaten – vier Monate gibt es jetzt dieses Virus – zu 100 Prozent überzeugt sein kann, dass er den richtigen Weg geht. Aber was ich Ihnen garantieren kann, ist, dass es sich in Österreich in dieser Regierung kein Mensch leicht gemacht hat mit dieser unglaublich schwierigen Entscheidung. Das kann ich Ihnen wirklich versprechen, und das glauben Sie mir hoffentlich auch.

Wir sind ja nicht alleine auf der Welt, sondern alle Länder ringen um den richtigen Weg, versuchen, eine Lösung zu finden. Ich finde es sehr beachtlich, wenn eine Regierung, ein Land sagt – und das hat ja enorme Mehrheiten, und da hat es auch von euch die Zustimmung gegeben, und das finde ich auch gut –, dass der Gesundheitsschutz die erste Priorität in einem Land sein muss. (Bundesrat Steiner: Joo!) Jetzt können wir darüber reden: Was wäre gewesen, wenn wir die Maßnahmen nicht gesetzt hätten? Wir sehen in ein paar Ländern, was passiert, wenn man nicht konsequent vorgeht, und es ist schon sehr eigentümlich zu sagen: Aber es ist eh nicht so dramatisch ge­kommen. Man muss sich schon überlegen, warum es bisher nicht so dramatisch gekommen ist. (Bundesrat Rösch: Weil wir ein Glück gehabt haben!) – Ein Glück ist das?! – Genau.

Die Bekämpfung einer Pandemie ist unter anderem ein Wettlauf gegen die Zeit. (Bun­desrat Rösch: Weil wir Italien ...!) Dieser Wettlauf gegen die Zeit hat dazu geführt, dass – davon bin ich zutiefst überzeugt – wir die richtigen Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt gesetzt haben, und dass die Österreicherinnen und Österreicher in diesem sensationellen Ausmaß mitgemacht haben, bis zum heutigen Tag mitmachen, zeigt auch, wie klug die Bevölkerung ist, wie groß die Einsicht ist, wie groß die Solidarität in diesem Land ist, denn das war aus meiner Sicht so etwas wie das Comeback der Solidarität in unserer Gesellschaft. Wenn ich nämlich den anderen schützen will und mich selbst damit auch schützen kann, dann zeigt das genau das, was wir brauchen und was in den letzten Wochen gelebt wurde. Ich finde es nicht richtig, das in den Schmutz zu ziehen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben ein Epidemiegesetz (Zwi­schenruf des Bundesrates Saurer), das nicht ich vorgeschlagen habe, das schon ein paar Jährchen auf dem Buckel hat. Ich werde mich darüber freuen, wenn ich mit Ihnen gemeinsam, sobald wir diese große Herausforderung geschafft haben, dieses Epide­mie­gesetz umfassend novellieren kann, denn das braucht es. Dieses Epidemiegesetz ist in vielen Bereichen nicht umfassend und präzise genug für das geeignet, was man im Fall einer Pandemie braucht. Wir machen halt jetzt Versuche, es zu novellieren, in den Punkten, bei denen wir einen Verbesserungsbedarf sehen. Warum jetzt in dieser Phase? – Weil wir am Beginn der schwierigsten Phase sind.

Das ist die Phase 2, der Versuch, einerseits das Virus zu kontrollieren und andererseits Schritt für Schritt diese Lockerung, diese Öffnung zu verwirklichen, denn die braucht es auch. Mir ist nämlich völlig klar: Das ist kein Zustand, den man über längere Zeit hin­durch aufrechterhalten kann. Der hat Erfolg gebracht, was die Bekämpfung des Virus betrifft, aber jetzt brauchen wir diese schrittweise Öffnung, und dazu brauchen wir Containment 2.0. Was ist Containment 2.0? – Das ist die Begleitung dieser Öffnung dadurch, dass man sehr, sehr schnell Testungen durchführt, dass man sehr schnell ein Kontaktpersonenmanagement durchführt, denn jeder verlorene Tag ist ein Tag, an dem es zu Ansteckungen kommen kann. (Zwischenruf des Bundesrates Steiner.)

Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, braucht es in dieser Phase klare Regelungen, etwa für Screeningprogramme. Es wäre doch ganz schlecht, Screening­programme durchzuführen und dafür nicht die rechtlich sauberen, korrekten Grund­lagen zu haben. Ich bin überzeugt davon, dass das Screeningprogramm sinnvoll und notwendig ist. Deswegen braucht es diese klaren Regelungen, und ich wäre sehr froh, wenn es zu dieser Beschlussfassung käme, und zwar in einem absehbaren Zeithori­zont.

Ja, und schließlich zum § 15, zur Versammlungsfreiheit: Da gebe ich dem Kollegen Schennach recht, mit dem mich ja seit vielen Jahren auch eine politische Begleitung verbindet – wir haben uns auf unterschiedlichen Ebenen immer wieder getroffen –, und ich kann die Bedenken durchaus nachempfinden, was das hohe Gut der Versamm­lungsfreiheit, unserer Grundfreiheiten, unserer Grundrechte betrifft. In der Situation, in der wir jetzt sind, in der Pandemie, ist das ein Abwägungsprozess. Auch ich würde mich wohler fühlen, wenn wir ein geordnetes Begutachtungsverfahren über sechs Wochen machen. Aber ich sage Ihnen: Sechs Wochen, das ist derzeit leider nicht immer möglich. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) Aber ich komme gleich darauf, was ich glaube, was wir in nächster Zeit machen sollten. (Weiterer Zwischenruf des Bundesrates Schennach.)

Wir sind bei diesem Vorschlag, den wir mit dem § 15 vorgelegt haben, also der Novel­lierung dessen, dass man eine Versammlung nur untersagen kann, sehr, sehr stark auf das eingegangen, was seitens der Opposition, besser gesagt seitens der SPÖ, an Vorschlägen gekommen ist, und ich finde Parlamentarismus immer dann extrem spannend, wenn man konstruktiv miteinander umgeht, wenn Kritik geübt wird und auch Vorschläge aus dieser Kritik heraus formuliert werden. Wir haben diese Vorschläge umfassend in den jetzigen § 15 einzubauen versucht. Da findet sich aus meiner Sicht – vielleicht habe ich was übersehen – tatsächlich das, was gefordert wurde.

Das, was ich wirklich zurückweisen möchte, ist das, was in der Nationalratssitzung gefallen ist, nämlich das Wort „Verfassungsbruch“. Wissen Sie, wenn man - - (Bun­des­rat Schennach: Das ... heute nicht gesagt!) – Heute nicht, in der Nationalratssitzung! – Wissen Sie, wenn man sich von den kritischsten Fachjuristen, die wir in Österreich haben, beraten lässt – und das ist mein Anspruch, dass die Kritiker eingebunden wer­den, denn die brauchen wir ja, die haben das stärkste Sensorium für genau diese Problematik, vor der wir stehen – und wenn ein Dr. Kopetzki, wenn ein Dr. Mayer, wenn ein Mag. Patzelt, wenn eine Professorin Wendehorst, wenn ein Dr. Jabloner, wenn ein Dr. Funk und wenn ein Dr. Janko sagen: Ja, das ist eine deutliche Verbesserung und das ist verfassungsrechtlich in Ordnung, dann haben die meinen Glauben, denen vertraue ich. Und denen vertraue ich – entschuldige, Stefan, wenn ich das so for­muliere – mehr als dem Professor Schennach – in dieser Frage. (Bundesrat Bader: Das kann ich nachvollziehen!)

Die kommen vom Fach, die haben uns über viele Jahre hindurch als Vorkämpfer und Vorkämpferinnen für die Verfassung, für den Erhalt unserer Grundrechte immer wieder begleitet, die Zivilgesellschaft begleitet. Amnesty International, das ist nicht irgend­jemand, die haben ein Renommee, die haben eine Glaubwürdigkeit. Ich glaube, wir haben da wirklich einen § 15, der es nicht verdient, als Verfassungsproblem dargestellt zu werden.

Was ich einbekenne, was ich mir wünsche, nach dieser Debatte, aber auch schon vorher: Wir müssen in den nächsten Monaten wieder lernen, mehr Zeit für den Dialog aufzuwenden, stärker aufeinander einzugehen, uns auch in Ausschüssen wieder mehr Luft, mehr Raum, mehr Zeit zu geben, und ich glaube, dass diese Zeit sehr, sehr rasch kommen muss. Das sehe ich auch so, da verstehe ich die Kritiker absolut, das ist für mich nachvollziehbar und das ist für mich klar.

Zu dem Punkt, den ich in der Debatte auch gehört habe, zum Vergleich Arbeitslosigkeit Deutschland – Arbeitslosigkeit Österreich: Das ist ein sehr spannendes Argument, das, glaube ich (in Richtung Bundesrat Kovacs), von Ihnen gekommen ist. Das ist ein sehr ernst zu nehmendes Argument, aus meiner Sicht muss man allerdings beachten, dass Deutschland mit dem Shutdown später begonnen hat, das heißt, die Effekte werden wahrscheinlich auch später zu sehen sein. Ich wünsche es den Kollegen in Deutschland aber sehr, dass ich mich täusche. Warum? – Abgesehen davon, dass ich niemandem etwas Schlechtes wünsche, vor allem deswegen, weil wir ja alle in einem Boot sitzen.

Die europäische Wirtschaft ist jetzt gemeinsam betroffen. Wir werden diese Wirt­schaftsproblematik, vor der wir stehen und die nicht zu einer großen sozialen Krise führen darf – da sind wir, zumindest der allergrößte Teil des Hauses, uns ja, glaube ich, einig, dass das unsere Grundintention ist –, nur lösen können, wenn wir euro­päisch handeln. Das heißt, wir werden so etwas wie einen europäischen Wiederaufbau brauchen. Wir werden ein europaweites Kämpfen für ein großes Konjunkturprogramm in Europa brauchen, und ich als Grüner – da werden Sie sich nicht wundern – bin überzeugt davon, dass da gerade der Green New Deal mit den notwendigen Inves­titionen für den Klimaschutz jetzt eine der großen, zentralen angebrachten Antworten ist. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) Denn was ist die beste Sozialpolitik? – Die beste Sozialpolitik ist, wenn ich einen Job habe. Deshalb war auch mit Sicherheit die Debatte heute Nachmittag wichtig und richtig, das ist ja überhaupt keine Frage. Das brauchen wir. Dazu brauchen wir eine starke Europäische Union, denn wir gehören da in Europa zusammen.

Wissen Sie, was interessant ist? – Schweden wird immer als das liberale Land dar­gestellt, was in dem Zusammenhang, in diesem Bereich so nicht stimmt (Ruf: ... anti­euro­päisch!), gleichzeitig wird aber seitens der internationalen Organisationen auch Schweden keine gute Prognose erstellt, was die Wirtschaftssituation in den nächsten fünf Jahren betrifft, und zwar genau deshalb, weil wir bei der europäischen Wirtschaft in einem Boot sitzen. Deswegen müssen wir mit diesen Konjunkturprogrammen bei uns anfangen, und da ist die Bundesregierung unter Einbeziehung der Sozialpartner – das halte ich für total wichtig – auch dran, zweitens aber muss es auf europäischer Ebene viel, viel mehr geben, als es bisher gegeben hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe ja ein bisschen den Verdacht, dass ich jetzt das Abstimmungsverhalten nicht mehr verändern kann, denn es wurde ja schon über diverseste Kanäle kommuniziert. Es ist aber doch gut, eine offene und ehrliche Debatte miteinander zu führen. Deshalb bedanke ich mich dafür und wünsche Ihnen und euch das Wichtigste in diesen Zeiten, nämlich Gesundheit. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ sowie des Bundesrates Schererbauer.)

20.14

Vizepräsident Michael Wanner: Zu Wort gemeldet ist Bundesrat Michael Schilchegger. Ich erteile es ihm.