18.36

Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne, Oberösterreich): Herr Präsi­dent! Sehr geehrte Volksanwälte! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Ich möchte meine Redezeit jetzt eigentlich nicht dazu benutzen, um auf meinen Vorredner einzugehen, aber vielleicht kann das jemand von den Herren Volks­anwälten dann feststellen: Ein Verwaltungsverfahren sollte in Österreich eigentlich bin­nen sechs Monaten abgeschlossen sein. Und Asylwerber wenden sich nicht an die Volksanwaltschaft, nachdem sie jedes Rechtsmittel ausgeschöpft haben, sondern genau dann, wenn diese sechs Monate überschritten werden (Zwischenruf des Bundesrates Saurer); also das war meiner Meinung nach ein bissel daneben.

Ja, ich möchte mich bei der Volksanwaltschaft für die umfassenden Jahresberichte und die vielfältigen Tätigkeiten bedanken. In den Berichten geht die Volksanwaltschaft auf viele Missstände ein, aber auch auf behobene Mängel. Wie schon von meiner Vorred­nerin gesagt worden ist: Insgesamt langen jährlich circa 16 000 Beschwerden bei der Volksanwaltschaft ein.

Neben der Behandlung der Beschwerden ist aber eine der Hauptaufgaben der Volksan­waltschaft der präventive Schutz der Menschenrechte. Hierfür führt die Volksanwalt­schaft als nationaler Präventionsmechanismus, der umgangssprachlich auch als Kom­mission bezeichnet wird, Präventivbesuche in Einrichtungen durch, in denen Menschen in ihrer Freiheit beschränkt werden; das sind Justizanstalten und Polizeianhaltezentren, aber auch Alten- und Pflegeheime, Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, psy­chiatrische Abteilungen von Krankenhäusern oder Jugendwohlfahrtseinrichtungen.

Im Jahre 2018 führte die Kommission der Volksanwaltschaft 520 solche Besuche durch; die meisten davon, nämlich 94 Prozent, waren nicht angekündigt. In 82 Prozent der Fälle sah sich die Kommission veranlasst, die menschenrechtliche Situation zu beanstanden. Dazu möchte ich auf den Bereich des am 1. Juli 2018 in Kraft getretenen 2. Erwachse­nenschutz-Gesetzes näher eingehen, welches die ehemalige Sachwalterschaft refor­mierte. Jetzt wird der Selbstbestimmung, wie sie in der UN-Behindertenrechtskonvention vorgesehen ist, tatsächlich auch Rechnung getragen. Unterstützung vor Stellvertretung lautet der Grundsatz, und dem tragen auch die vier Vertretungsmöglichkeiten Rechnung: Vorsorgevollmacht, gewählte Erwachsenenvertretung, gesetzliche Erwachsenenvertre­tung und gerichtliche Erwachsenenvertretung. (Bundesrat Steiner: ... unter freiheitlicher Ministerin! Zwischenruf der Bundesrätin Schumann.)

Entscheidend ist, dass die Rechte von Menschen mit psychischer Erkrankung oder intel­lektueller Beeinträchtigung nicht automatisch eingeschränkt werden. Das neue Gesetz sieht – im Gegenteil – vor, dass Menschen mit einer Erwachsenenvertretung ohne Zu­stimmung ihrer Vertreterin oder ihres Vertreters entscheiden können, ob sie nun mit ih­rem eigenen Geld neue Möbel anschaffen, einen Mietvertrag unterschreiben und vieles mehr.

Die gerichtliche Erwachsenenvertretung ist noch am ehesten mit der ehemaligen Sach­walterschaft vergleichbar, aber auch da haben sich grundlegende Parameter verändert. Die Angelegenheiten, für welche eine Erwachsenenvertreterin beziehungsweise ein Er­wachsenenvertreter vom Gericht bestellt wird, müssen genau von diesen beschrieben sein. Eine Vertretung für alle Angelegenheiten, wie ehemals üblich, ist nicht mehr vor­gesehen. Hinzu kommt auch, dass die Vertretung auf drei Jahre beschränkt ist, danach wird neuerlich geprüft, ob die Erwachsenenvertretung nach wie vor in diesem Umfang nötig ist, oder ob sich in der Zwischenzeit neue Möglichkeiten aufgetan haben. Diese Überprüfung findet im Rahmen sogenannter Clearings statt.

Immer wenn es zu einer gerichtlichen Erwachsenenvertretung kommt, erfolgt im Vorfeld zwingend eine Abklärung durch einen Erwachsenenschutzverein. In diesem Prozess gilt es sich ein Bild der zu vertretenden Personen sowie von ihrem Umfeld zu machen. Auf diese Weise soll geklärt werden, welche Angelegenheiten zu besorgen sind, wo Unter­stützung benötigt wird und welche Rolle das soziale Umfeld spielen kann. Ziel ist es, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um für die Menschen eine passende Unterstützung oder Vertretung zu finden, und das muss nicht immer die gerichtliche Erwachsenenvertretung sein.

Dass das 2. Erwachsenenschutz-Gesetz seine Wirkung entfaltet, zeigt sich auch im Be­richt der Volksanwaltschaft, in dem sich die Beschwerden zum Sachwalterrecht um rund ein Drittel reduzierten. Die Volksanwaltschaft wird die weitere Entwicklung in diesem Bereich genau verfolgen, ob Österreich der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskon­vention insbesondere im Bereich der gerichtlichen Vertretung auch weiterhin gerecht wird.

Auch der Bereich der Pflege wird im Bericht der Volksanwaltschaft besprochen. Die Si­cherstellung menschenwürdiger Pflege war einer der Schwerpunkte, die sich die Volks­anwaltschaft für ihre Arbeit 2018 gesetzt hatte. Zur Verbesserung der Situation in den Pflegeheimen, für deren Betrieb die Bundesländer zuständig sind, wird neben einheitli­chen Standards auch die Bindung der Pflegefondsmittel – aktuell sind das 336 Millionen Euro – an Qualitätskriterien empfohlen.

Corona hat uns gezeigt, dass unser Pflegesystem der Krise in gewissen Bereichen nur schwer bis gar nicht standhalten konnte. In der Krise hat sich erneut die Abhängigkeit von ausländischen Betreuungskräften für die 24-Stunden-Betreuung gezeigt. Mehr Per­sonal in Österreich ist daher dringend notwendig, und es gilt, dafür die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen, denn der Bedarf an Pflegekräften wird laut einer Wifo-Studie bis ins Jahr 2050 um 80 000 Personen steigen. Zur Attraktivierung des Pflegebe­rufes, um Missstände resultierend aus Personalmangel zu unterbinden, brauche es aber verbesserte Rahmenbedingungen, wie gesundheitsfördernde Maßnahmen für das Per­sonal in Pflegeeinrichtungen.

Ganz aktuell möchte ich von meiner Seite auch noch sagen, dass die Idee der Einfüh­rung einer Pflegelehre, die es derzeit gibt, das Problem der fehlenden Pflegekräfte zwar in Diskussion bringt, aber noch viel weitreichender diskutiert werden muss. (Beifall der Bundesrätin Schumann.) Der Pflegebereich ist hochsensibel, eine Lösung der Pflege­problematik wird ein Zusammenspiel aus verschiedenen Komponenten sein müssen.

Lassen Sie mich vielleicht noch auf ein Thema zu sprechen kommen, das speziell Ober­österreich betrifft und von der Volksanwaltschaft weitreichend bearbeitet wurde: die Wohnbeihilfe. In Oberösterreich ist die Wohnbeihilfe ein wichtiger Bestandteil zur Abde­ckung von Mietkosten. Mit der Wohnbeihilfe soll insbesondere Menschen mit niedrigem Einkommen, kinderreichen Familien, Studierenden und Lehrlingen, Alleinverdienerinnen und Alleinverdienern sowie Pensionistinnen und Pensionisten ein leistbares Wohnen ermöglicht werden.

Leider gab es schon in der Vergangenheit eine massive Ungleichbehandlung bei der Erlangung der Wohnbeihilfe von eigentlich mit ÖsterreicherInnen gleichzustellenden Asylberechtigten. Wie hinlänglich bekannt ist, ist der Wohnungsmarkt allgemein auf einem Preisniveau angelangt, bei dem Mietzahlungen einen Hauptteil des Einkommens verschlingen. Gemäß einer Verordnung wurden nun in Oberösterreich zusätzliche Hür­den geschaffen, die es bestimmten, meist schon vulnerablen Drittstaatsangehörigen nun fast unmöglich machen, Wohnbeihilfe zu erhalten. Die Volksanwaltschaft hat sich mit dieser Materie beschäftigt und festgestellt, dass eine Vielzahl von Beschwerden berech­tigt ist. Es geht sogar so weit, dass die Vergaberichtlinien für die Wohnbeihilfe in Oberös­terreich von der Volksanwaltschaft als teilweise EU-rechtswidrig einzustufen sind.

Aufgrund persönlicher Situationen sind diese Bedingungen – Erbringung des Nachwei­ses über entsprechende Deutschkenntnisse, Beschäftigungsnachweise – teilweise nicht erfüllbar. So besteht die Möglichkeit, durch ein amtsärztliches Gutachten den Beweis zu führen, dass von der Erbringung eines Nachweises zum Beispiel von Deutschkenntnis­sen abzusehen ist. Genau die Beauftragung dieser Gutachten durch das Land Oberöster­reich scheiterte aber vielmals, es kam zu nicht vertretbaren Zeitverzögerungen, die die Be­troffenen in existenzielle Schwierigkeiten brachten. (Zwischenruf des Bundesrates Steiner.)

Beispielsweise sollte ein 77-jähriger Krebspatient nach über 40 Jahren Aufenthalt in Ös­terreich eine Deutschprüfung ablegen. Geboren 1941, war er seit 1972 ununterbrochen rechtmäßig in Österreich, Jahrzehnte als Arbeiter in der Industrie beschäftigt, seit 2009 in Alterspension, an Krebs leidend, Nierenentfernung, erkrankt an Parkinson, beidseiti­gem Tinnitus, Diabetes, Gastritis und Depression (Bundesrat Steiner: Ja aber nach 40 Jahren wird er wohl ..., sei mir nicht böse!), seine Frau hatte kein eigenes Einkom­men – die Wohnbeihilfe war bisher eine wichtige Unterstützung, um sich das Wohnen leisten zu können. Aufgrund der neuen Gesetzeslage musste Herr Y. nun eine Deutsch­prüfung nachweisen. Wegen seiner Erkrankung ist ihm ein Kursbesuch nicht möglich. Er bekommt keine Wohnbeihilfe mehr. (Bundesrat Steiner: Braucht er ... nach 40 Jahren!)

Oder Frau E.: Die Mutter von vier Kindern pflegte ihren Ehemann bis zu seinem Tod und kann nun die erforderlichen Einkommensnachweise nicht erbringen. Geboren 1973, spricht sie Deutsch auf B1-Niveau, ist seit 2004 ununterbrochen in Österreich, war bis 2015 als Arbeiterin beschäftigt; ab 2016 übernahm sie die Pflege ihres todkranken Ehe­mannes und konnte daher keiner zusätzlichen Erwerbstätigkeit nachgehen. (Bundesrat Steiner: Was glaubst, wie es einheimischen Familien geht?) Nach dem Tod des Ehe­mannes wurde die Gewährung der Wohnbeihilfe durch das Land Oberösterreich einge­stellt, weil sie die erforderlichen Einkommensnachweise in den vergangenen fünf Jahren nicht erbringen konnte. Frau E. bekommt keine Wohnbeihilfe mehr.

Experten schätzen, dass rund 3 000 Haushalte von den neuen Beschränkungen der Wohnbeihilfe betroffen sind. Laut den Förderberichten des Amtes der Oberösterreichi­schen Landesregierung habe sich im Vergleich zu 2010 die Summe der ausbezahlten Wohnbeihilfen im Jahr 2018 um ein Drittel verringert. Die Anzahl der Beziehenden sei im gleichen Zeitraum um ein Viertel gesunken. Von den vom Beschwerde führenden Verein vorgebrachten vier Fällen erfolgte in drei Fällen keine amtsärztliche Zuweisung, in einem Fall erfolgte die Zuweisung erst nach sieben Monaten.

Zusammenfassend hat die Volksanwaltschaft in Bezug auf die Missstände bei der Ge­währung von Wohnbeihilfe Wesentliches festgestellt: Es wurde die Diskriminierung von Frauen nach der alten Rechtslage festgestellt; dabei geht es darum, dass den Frauen die Kinderbetreuungszeiten nicht auf die Zeiten der Erwerbstätigkeit angerechnet wer­den. Es liegen sogar mittlerweile – Stand Mai 2019 – drei zweitinstanzliche und rechts­kräftige Gerichtsentscheidungen vor, in welchen das Land Oberösterreich wegen Diskri­minierung aufgrund des Geschlechts bei der Wohnbeihilfe verurteilt wurde. (Bundesrat Steiner: Zeit ist aus!) Die Volksanwaltschaft stellt fest, dass die Nichtanrechnung von Kinderbetreuungszeiten nach alter Rechtslage bei der oberösterreichischen Wohnbeihil­fe eine nicht zulässige Diskriminierung darstellt und Schadenersatzpflichten des Landes auslöst. Die Volksanwaltschaft empfiehlt daher, alle gerichtsanhängigen Fälle streit­schlichtend beizulegen und die Betroffenen klaglos zu stellen. (Bundesrat Steiner: Zeit ist aus!) In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass nach den Erfah­rungen der Volksanwaltschaft generell nur wenige Betroffene den Gang zu Gericht auf sich nehmen, weshalb alle von dieser diskriminierenden Regelung betroffenen Frauen schadlos zu halten sind. (Bundesrat Steiner: Zeit ist aus!)

Eine sehr wichtige weitere Feststellung der Volksanwaltschaft betreffend diesen The­menbereich ist, dass die in Oberösterreich vorgesehenen Beschränkungen beim Zugang zur Wohnbeihilfe auch gegen EU-rechtliche Vorgaben verstoßen. (Bundesrat Steiner: Zeit ist immer noch aus!) In Artikel 11 der EU-Daueraufenthaltsrichtlinie steht nämlich geschrieben, dass langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige bei den Leis­tungen der sozialen Sicherheit, der Sozialhilfe und des Sozialschutzes den eigenen Staatsangehörigen gleichzustellen sind.

Im Lichte der bisherigen Rechtsprechung des EuGH sieht auch die Volksanwaltschaft besondere Anspruchsvoraussetzungen zum Bezug der in Oberösterreich ausgezahlten Wohnbeihilfe für langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige und für Asylbe­rechtigte – also die Nichtauszahlung – als höchst bedenklich an. Der restriktive Vollzug der Härteklausel, mit dem gerade besonders schutzwürdige Gruppen ältere, kranke und behinderte Menschen – nachhaltig getroffen werden, trägt das Übrige dazu bei, dass diese unionsrechtlichen Bedenken nicht zerstreut werden, weil einzelfallbezogene Wür­digungen unterbleiben. (Zwischenruf des Bundesrates Steiner.)

Diese Feststellung der Volksanwaltschaft und den damit geführten Beweis in der Sache selber sollte die oberösterreichische Landesregierung dringend zum Anlass nehmen, die Vergabekriterien für die Wohnbeihilfe zu verbessern. An diesen wenigen Beispielen, die ich genannt habe, zeigt sich, dass die Volksanwaltschaft eine mehr als wichtige Funktion ausübt. Sie sucht im Falle von Missständen intensiv nach Lösungen, bietet diese auch an, sodass durch die Empfehlung der Volksanwaltschaft an Verbesserungen gearbeitet werden kann. – Dafür an dieser Stelle nochmal herzlichen Dank von meiner Seite. (Bei­fall bei den Grünen.)

18.50

Präsident Robert Seeber: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ernest Schwindsackl. Ich erteile ihm dieses.