10.55

Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Sehr geehrter Präsident! Wenn ich mir erlauben darf, sehr geehrte Frau Präsi­dentin: herzlichen Glückwunsch zum hohen Amt!

Sehr geehrte Damen und Herren Bundesräte! Es wurde nun schon mehrmals erwähnt: Die letzten Monate waren für uns alle eine unglaublich herausfordernde und schwierige Zeit. Ich glaube aber, es war auch eine Zeit, in der wir Österreicherinnen und Öster­reicher unter Beweis gestellt haben, dass wir als Gesellschaft zusammenhalten, dass wir eine Krise gemeinsam überstehen können.

Es war oder ist tatsächlich eine Krise, und von Anfang an war das Außenministerium in diese Krisenbewältigung engstens involviert. Ich erinnere nur an die größte Rück­hol­aktion in der Geschichte der Zweiten Republik, mit der wir 7 500 Menschen sicher – safe and sound wie man so schön sagt – nach Österreich zurückbringen konnten. Ich erinnere an die Unterstützung Tausender Österreicherinnen und Österreicher im Aus­land, die in Notsituationen geraten sind, an die Hilfe bei der Beschaffung dringend be­nötigter medizinischer Güter aus dem Ausland und bei der Betreuung von Hundert­tau­senden Österreichern über unsere Hotline. Das war wirklich eine logistische Meisterleistung, die jeden einzelnen Mitarbeiter des Hauses im Inland wie im Ausland bis aufs Äußerste gefordert hat. Ich möchte daher auch hier im Bundesrat die Gelegenheit nützen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einmal meinen ganz, ganz herzlichen Dank auszu­sprechen. (Allgemeiner Beifall.)

Erlauben Sie mir, in diesem Zusammenhang auch eine ganz grundsätzliche Lehre aus dieser Krise zu ziehen: Die Pandemie hat neuerlich deutlich gemacht, dass ein Land wie Österreich nicht auf ein starkes eigenes Interessennetzwerk im Ausland verzichten kann. Wenn es hart auf hart kommt, sind unsere Botschaften und Konsulate im Ausland kein Luxus, sondern Lebensversicherung für die Österreicherinnen und Österreicher. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Schreuder.)

Es waren nämlich letztlich unsere Botschaften in Kuala Lumpur, in Peking, in Lima, in Canberra, die die Österreicher trotz Quarantänebestimmungen zum Flughafen gebracht haben, die die Exportgenehmigungen an Land gezogen haben, die die Landegeneh­mi­gungen organisiert haben, um das medizinische Gut rausbringen zu können. Das ist also wie gesagt für uns lebensnotwendig. Wir haben festgestellt: Wenn es hart auf hart kommt, wird das keine EU-Delegation übernehmen – vermutlich zumindest nicht über die nächsten Jahre und Jahrzehnte – und es wird auch kein anderer Staat für uns über­nehmen.

Wir sind jetzt sozusagen in einer neuen Phase, in der Europa langsam vorsichtige Schritte der Öffnung vornehmen kann, in der wir langsam von der Bewältigung der Gesundheitskrise zur Bewältigung der Wirtschaftskrise übergehen. Es ist vorhin auch schon als Frage aufgekommen: Ich glaube, Österreich ist es wirklich gelungen, weit­gehend unbeschadet durch die Krise zu kommen und wirklich vorbildlich zu agieren. Das sage nicht ich, sondern das sagt eine Stelle, die über jeden Zweifel völlig erhaben ist: The Economist Intelligence Unit hat Österreich im internationalen Ranking zum Umgang mit der Pandemie hinter Neuseeland auf Platz zwei gestellt. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Bundesrat Novak: Bei ... sind wir an letzter Stelle!) Ich kann durch meine laufenden Kontakte mit Partnern innerhalb und auch außerhalb Europas – denken Sie nur an die Gruppe der Smart 10 – bestätigen, dass das von unseren Partnern sehr wohl anerkannt wird.

Wir dürfen uns aber nicht etwas vormachen: Wir stecken noch mitten in der Krise, diese Pandemie hat die Welt nach wie vor im Griff. Wir hören ja von der WHO, der UNO-Weltgesundheitsorganisation, fast täglich neue Negativrekorde; allein heute waren es wieder 164 000 Neuinfektionen. Das heißt, wir sind meilenweit von jeglichem Normal­zustand entfernt.

Ein Punkt, der uns unmittelbar betrifft, bei dem wir das täglich sehen, ist das Thema Reisefreiheit; das ist gerade jetzt, kurz vor dem Sommerurlaub, ein wichtiges Thema. Unser Ziel ist es natürlich, so schnell wie möglich die Reisefreiheit wiederherzustellen, denn im 21. Jahrhundert ist Reisen ja kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Ich bin froh, dass wir es geschafft haben, für 32 europäische Staaten die Covid-bedingten Beschränkungen an den Grenzen aufzuheben – das betrifft vor allem den EU- und Efta-Raum.

Am Dienstag haben wir uns auf europäischer Ebene auf Ratsempfehlungen geeinigt, wonach eine Liste von 15 Staaten, die vom Einreisestopp ausgenommen werden könn­ten, vorgelegt wurde. Diese Ratsempfehlung ist für uns der Ausgangspunkt der weiteren Prüfungen. Aber eines ist klar – und das möchte ich hier auch deutlich sagen –: Bis auf Weiteres gilt für Angehörige aus Drittstaaten, also Nicht-EU-Staaten und Nicht-EWR/Efta-Staaten ein Einreisestopp nach Österreich.

Wir sind nämlich schlicht und ergreifend noch nicht über den Berg, und das betrifft insbesondere eine Region, die uns unglaublich nahesteht, nämlich der Westbalkan. Das ist eine Region, die uns menschlich, kulturell, geschichtlich und wirtschaftlich unglaublich nahesteht, und ich hätte gehofft, dass ich, gemeinsam mit dem Gesundheitsminister, in der Lage sein werde, die Einreisebeschränkung aufzuheben. Leider ist das nicht der Fall gewesen. Die Situation und die Entwicklung in den Westbalkanstaaten, die vor einigen Wochen teilweise schon sehr gut dastanden, hat sich wieder verschlechtert. Ich war daher gestern gezwungen, eine Reisewarnung für alle sechs Staaten des Westbalkans – das sind Serbien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Albanien, Montenegro und Nordmaze­donien – auszusprechen.

Die Entscheidung ist uns nicht leicht gefallen, denn es ist uns klar, dass wahnsinnig viele Menschen in unserem Land Familie, Freunde, Bekannte dort haben, die sie jetzt nach Monaten der Trennung über die Sommermonate wieder sehen wollten. Gerade aber auch wegen der Entwicklung, die wir in Kroatien und Slowenien sehen können, wo vermehrt Cluster durch Rückkehrer aus dem Westbalkan aufgetreten sind – auch schon bei uns –, war dieser Schritt leider Gottes notwendig. Ich kann aber etwas versprechen: Wir werden den Einreisestopp oder die Bedingungen, dass man bei der Rückkehr aus dem Westbalkan in Quarantäne gehen oder einen Covid-Test machen muss, so schnell aufheben, wie es die Zahlen nur möglich machen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Bundesräte, ich glaube – es wurde schon mehrfach angesprochen –, Corona hat uns vielleicht den Fokus etwas verschoben, aber es muss uns eines klar sein: Die Außenpolitik ist nicht stehengeblieben. Uns steht möglicherweise ein heißer außenpolitischer Herbst bevor; wachsende Spannungen zwischen China und den Vereinigten Staaten vor dem Hintergrund der Präsident­schafts­wahlen in den Vereinigten Staaten, die Zuspitzung im Nahen Osten, Stichwort Annexion, die schwierigen Brexitverhandlungen – sind noch nicht erwähnt worden –, und dies alles überschattet von einer drohenden Wirtschaftskrise.

Dabei muss ich aber sagen, die Postcoronaaußenpolitik hat nicht nur Schlechtes und nicht nur Negatives. Die letzten Monate haben uns nämlich die Bedeutung der Nach­barschaft sehr deutlich in Erinnerung gerufen. Es wurde vorhin vom Herrn Bundesrat angesprochen: Ich habe tatsächlich in den letzten drei Monaten ein Europa der Solidarität, ein Europa der guten Nachbarschaft erlebt. Es gab einen Schockmoment am Anfang, das ist absolut klar, es gab Anlaufschwierigkeiten, dann aber ist das Räderwerk sehr schnell geglückt. Ich war fast täglich in Kontakt mit meinen Kollegen aus den unmittelbaren Nachbarstaaten. Es gab alle zwei, drei Tage Videokonferenzen mit entwe­der allen 27 EU-Mitgliedstaaten oder zumindest in größeren Runden von EU-Mitglied­staaten. Wir waren uns alle sehr klar darüber und es war uns sehr bewusst, wie eng verwoben wir sind, wie unglaublich abhängig wir voneinander sind – gerade in Österreich reicht das von der Krankenpflege über Spitalinfrastruktur bis zu Erntehelfern –, dass wir diesen Austausch brauchen, dass wir aufeinander angewiesen sind. (Bundes­rätin Schumann: Oh! – Bundesrätin Mühlwerth: Weil wir es nie geschafft haben, die eigenen gut zu bezahlen!)

Aus diesem fast täglichen Austausch, den wir gepflegt haben, bei dem wir es doch geschafft haben, den Schmerz dieser Grenzkontrollen, dieser Grenzschließung, die wir verhängen mussten, auf einem Minimum zu halten, ist einiges entstanden, auf dem ich jetzt aufbauen will, denn eines ist klar: Gute Nachbarschaft ist im Grunde genommen kein Zufallsprodukt, kein Produkt der Geschichte und der Geografie, sondern etwas, das gepflegt werden muss, und wenn es gepflegt wird, kann es sich in Krisenzeiten, wie es sich jetzt erwiesen hat, zu einem wirklichen Asset, zu einem wirklichen Gewinn ent­wickeln.

Auf diesem Fundament möchte ich weiter aufbauen. Ich habe unmittelbar nach der Krise die Vertreter der Nachbarstaaten nach Wien gebeten. Es war der deutsche Kollege hier, es waren der tschechische, der slowakische, der slowenische und der ungarische Minis­ter gleichzeitig hier, ich bin dann in die Schweiz gefahren, morgen werde ich in Rom sein und am Montag in Bozen. Das ist von mir ein ganz klares Signal und eine Akzentsetzung auf die Nachbarschaft.

Wir haben auch einen etwas lockeren, sehr persönlich geprägten Verband gegründet, der sich the Central Five oder the C-Five nennt – das Copyright gehört nicht mir, sondern dem slowenischen Minister. Das sind neben Österreich die Tschechische Republik, die Slowakei, Ungarn und Slowenien. Wir haben uns in Wien getroffen, werden uns im nächsten Monat in Budapest treffen und im September in Laibach. Das ist etwas, das, glaube ich, sehr sinnvoll ist, an dem man weiterarbeiten kann, denn die nächste Krise kommt sicher, und dann werden wir sicher auch unsere Nachbarn brauchen. Das heißt – und das will ich auch ausdrücklich betonen, bevor hier Missverständnisse entstehen –: Das ist kein fixer Verband, sondern ein lockerer Verband, wenn es einfach Sinn macht, aktuelle Fragen – von Transportfragen über kulturelle Fragen – miteinander zu be­sprechen. Wir haben auch andere Formate wie das Austerlitz-Format mit den Tschechen und Slowaken oder die Trilaterale mit Slowenien und Kroatien, die wir natürlich weiterhin verfolgen werden.

Wir sind sicher an einem neuralgischen Punkt angelangt. Einerseits wollen wir nach vorne blicken: Wir wollen Perspektiven schaffen, wir wollen aus dieser Wirtschaftskrise, die sich immer deutlicher abzeichnet, rauskommen. Andererseits müssen wir uns natür­lich auch gewahr sein, dass uns dieser Herbst sehr viel abverlangen wird. Es sind mehrere Punkte angesprochen worden, auf die ich jetzt kurz eingehen will:

Ja, ich bin absolut der Meinung, dass wir jetzt wieder stark auf Multilateralismus setzen müssen; nicht, weil das sozusagen eine Wahl ist. Ich glaube, für ein Land wie Österreich mit 8,8 Millionen Einwohnern, das vom Export abhängig ist, ist eine regelbasierte internationale Ordnung einfach lebenswichtig. Ich gebe zu, dass die Pandemie nicht der Höhepunkt des Multilateralismus war, da waren der Unilateralismus, der Bilateralismus oder vielleicht der Regionalismus mit den Gruppen innerhalb der EU, die nach vorne getreten sind, stark. Ich glaube aber – und das wird auch auf europäischer Ebene erfolgen –, das Thema des wirtschaftlichen Wiederaufbaus wird wieder die Stunde der Europäischen Union sein.

Ich gehöre auch nicht zu jenen, die einer EU-Kritik zustimmen, denn die Europäische Union hat kaum Kompetenzen im Gesundheitsbereich. Die öffentliche Gesundheit ist ein Bereich, bei dem man seit 1958 auch einen Schritt zurück machen kann, so wie bei der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Mitgliedstaaten einmal auf nationaler Ebene agiert haben, denn Gesundheitspolitik ist ein Kernelement der nationalen Kompetenz und wird es auch zukünftig bleiben.

Die EZA wird natürlich ein Fokus sein, national und auch die Europäische Union hat das schon angekündigt. Über 15 Milliarden Euro stehen allein für unsere unmittelbare Nachbarschaft als Soforthilfe in der Coronakrise zur Verfügung.

Der Wiederaufbaufonds ist angesprochen worden. Hierzu muss ich ganz klar sagen: Ich lehne absolut und kategorisch diese Diktion ab und halte es für absolut absurd, dass Staaten wie die Niederlande, Dänemark, Schweden und Österreich plötzlich schlechte Europäer sein sollen. Wir sind nicht die sparsamen vier, ich würde sagen, wir sind die Freunde der Steuerzahler, die darauf schauen, dass ein sinnvoller Kompromiss zustande kommt. Es geht ja nicht um das Ob, dass ein Recoveryfund entsteht, sondern um das Wie. Das heißt, es braucht eine Balance zwischen Zuschüssen und Krediten, und ich kann Ihnen zusichern, dass Österreich darauf schauen wird, dass diese Balance zustande kommt. (Beifall bei der ÖVP.)

Wir sind uns dessen bewusst und haben überhaupt kein Interesse daran, dass ein Staat oder mehrere Staaten, von denen wir wissen, dass sie mit dem Rücken zur Wand stehen, wirtschaftlich ins Trudeln kommen. Das ist nicht in unserem Interesse. Es ist aber wohl legitim – wenn man über den größten einzelnen Topf in der Geschichte der Europäischen Union spricht, nämlich 750 Milliarden Euro –, dass diskutiert und ver­handelt wird, und ich bin guter Dinge, dass wir auch irgendwann einen sinnvollen Kom­promiss finden werden.

Einige Themen sind angesprochen worden, bei denen es mir sehr essenziell erscheint, dass wir in Österreich trotz der Coronakrise das Scheinwerferlicht auch weiterhin darauf richten. Es darf nicht sein, dass sie im Schatten von Covid-19 irgendwie verschwinden. Das geht von den Fragen zu Hongkong über die Entwicklung in Russland und die Beziehungen Israel-Palästina bis hin zur Türkei. Letzteres ist gerade jetzt ein heißes Thema, bei dem wir in der Bundesregierung eine ganz klare Linie verfolgen.

Ich möchte aber eines noch einmal ganz klar sagen – es ist auch beim letzten Mal schon in diesem Gremium angesprochen worden –: Wir müssen uns vergegenwärtigen, wenn wir Außenpolitik betreiben – und ich glaube, gerade eine parlamentarische Einrichtung wie der Bundesrat ist dazu berufen –, dass unter den 193 Staaten der Welt jene Gruppe, die für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Grundrechte, Meinungsfreiheit, Versammlungs­freiheit, Medienfreiheit, Religionsfreiheit und Gleichberechtigung eintritt, in der Minder­heit ist. Das ist vielleicht nur noch ein Viertel dieser 193 Staaten. Das heißt, wenn man auf die USA – blind – hinschlägt, dann muss man sich überlegen, wer der lachende Dritte ist: Es ist Peking.

Ich gebe nur noch ein letztes Beispiel, wie die Balance steht. Das Thema Uiguren und China ist angesprochen worden. Wir haben mit einer Reihe von anderen Staaten eine sehr deutliche Erklärung im Menschenrechtsrat abgegeben. Diese Erklärung wurde von 27 Staaten unterstützt, die Gegenerklärung, verlesen von Kuba, von 52 Staaten. – So sieht es momentan mit dem Kräfteverhältnis aus.

Daher mein Aufruf, dass wir uns immer wieder, wenn wir Außenpolitik betreiben oder Bewertungen anderer Staaten vornehmen, bewusst sind: Es gibt nur noch eine Gruppe von Staaten, in denen das gleiche Lebensmodell vertreten wird, die für das Gleiche eintreten. Für mich gehören die Vereinigten Staaten – ganz gleich, wer im Weißen Haus steht und sitzt – klar dazu. – Danke sehr. (Beifall bei ÖVP, FPÖ und Grünen.)

11.09

Vizepräsident Michael Wanner: Danke schön, Herr Bundesminister.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren Teilnehmer und Teil­nehmerinnen an der Aktuellen Stunde nach Beratung in der Präsidialkonferenz 5 Minu­ten nicht übersteigen darf.

Zu Wort gemeldet ist Bundesrat Christian Buchmann. Ich erteile es ihm.