17.29

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Schon als ich die Dringliche Anfrage las, habe ich mich an eine Zeit zurückerinnert, in der ich noch weit entfernt davon war, mir jemals vorstellen zu können, in die Politik zu gehen. Ich war noch nicht einmal österreichischer Staatsbürger.

Ich war in der Tourismusschule Bad Ischl. Dort hatten wir ein Unterrichtsfach, das noch nicht politische Bildung, sondern damals noch Staatsbürgerkunde hieß. Es sind wahr­scheinlich noch einige der Generation hier, die das in der Schule auch hatten. Dort lernte ich, was Demokratie ist. Da gab es einen Stehsatz – so habe ich das gelernt –: Demokra­tie ist ein Wettbewerb der besten Ideen. – Das fand ich toll, und ich habe angefangen, mich dafür zu interessieren. Ich habe angefangen, Zeitungen zu lesen, zu verfolgen, wie das ist, welche Konzepte wer hat, ich habe Wahlprogramme verglichen und war wirklich daran interessiert. Niemals hätte ich damals gedacht, dass es möglich ist, solche Texte wie diese Dringliche Anfrage in einem Parlament vorzufinden. Darin gibt es keine einzige konstruktive Idee, es wird nur geschimpft! (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Ich habe den Titel „Totalversagen der schwarz-grünen Bundesregierung“ gesehen und, ehrlich gesagt, schon gar keine Lust mehr gehabt, weiterzulesen. Es fängt wie so ein Facebook-Hassposting an, wie ein Posting (Zwischenrufe bei der FPÖ), das man irgend­wie abends mit hohem Blutdruck in die Tastatur hämmert. Mit durchdachter Politik, bei der Sie sich überlegen, was Sie in der Krise tun würden, hat es nichts zu tun. Mich würde wirklich interessieren, was die Freiheitlichen in einer Krise machen würden, denn dazu erfahre ich niente, nichts, gar nichts. (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Zwischenruf bei der FPÖ.)

Na ja, ihr begründet ja sehr ausführlich, aber ich habe auch in diesem halben Jahr im Bundesrat von euch noch nie ein Konzept dafür gehört, was ihr in einer Krise tun würdet. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Das Einzige, und das nimmt zu - - (Ruf bei der FPÖ: ... uns war klar, wenn ihr in eine Regierung geht ...!) – Melden Sie sich gerne zu Wort! – Das nimmt zu: Es werden Verschwörungsgeschichten erzählt, es wird die Wissenschaft de­savouiert. Offensichtlich ist Herr Steiner besser im Beurteilen, was ein Impfstoff kann, als Menschen, die Impfstoffe wirklich medizinisch perfekt kennen, wie es ExpertInnen tun, und nirgendwo auf der Welt gibt es so hohe Standards wie in der Europäischen Union. Eine solche Entwicklung finde ich, ehrlich gesagt, nicht gut für die Demokratie.

Dann muss ich schon auch Folgendes sagen – es auch angemerkt worden ist, es gab vorhin Zwischenrufe der SPÖ in dem Sinn: Dann dürfte man ja gar nicht mehr kritisieren, wenn wir hier zusammenarbeiten sollen! –: Nein, nein, Demokratie ist ein Wettbewerb der besten Ideen, und ich freue mich, wenn hier gute Ideen eingebracht werden. Es freut mich auch (Zwischenruf der Bundesrätin Steiner-Wieser), wenn Ideen eingebracht wer­den, bei denen man noch diskutieren, noch verhandeln muss – na klar! Wir müssen auch selbstkritisch sein, auch das gehört dazu. Niemand hat seit dem Zweiten Weltkrieg so eine Krise bewältigen müssen. Wir haben uns das auch anders vorgestellt. Ich kann mich noch daran erinnern, als wir das Regierungsprogramm verhandelt haben: Kein Mensch hat damals geahnt, dass es eine Krise geben wird. Wir sind da alle miteinander ins kalte Wasser gesprungen, das ist die Tatsache, und ich finde, wir haben ziemlich viel gemacht. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Zum Totalversagen: Wenn wir Konjunkturpakete schnüren, in denen es Milliarden für den Klimaschutz gibt, damit wir aus der Krise in die Zukunft investieren, ist das ein Total­versagen? Wenn wir Investitionsprämien machen, die wirklich viele Unternehmen in An­spruch genommen haben, mit denen man einen wirklichen Motor hatte, mit denen Mil­liarden in die Wirtschaft gepumpt worden sind, ist das ein Totalversagen?

Es sind Gemeindepakete in der Höhe von 1 Milliarde Euro gemacht worden, Kurzarbeits­modelle – übrigens in sehr guter Kooperation mit der Sozialpartnerschaft, das muss auch hier betont werden – werden gemacht (Beifall bei Grünen und ÖVP), Fixkostenzuschuss, Härtefallfonds, Familienhärtefonds, Stundung von Mieten und Kreditrückzahlungen in der Covid-19-Krise, keine Delogierungen in der Covid-19-Krise, keine Strom- und Gas­abstellungen in der Covid-19-Krise, 110 Millionen Euro für Arbeitslose und Mindestsiche­rungsbezieherInnen in der Covid-19-Krise, Erhöhung der Notstandshilfe auf Arbeitslo­sengeld in der Covid-19-Krise, einmalige Arbeitslosengelderhöhung in der Covid-19-Krise, Kinderbonus 360 Euro, Pensionserhöhung – Sie können jeden einzelnen Punkt kritisieren und sagen, was Sie besser gemacht hätten, aber eines können Sie nicht sa­gen: Das sei ein Totalversagen. Das weise ich strikt zurück! (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Wenn ich mir diese Sprache anschaue – ich meine, wenn Sie von Diktatur reden –: Sie stehen hier in einer parlamentarischen Demokratie und dürfen solche Texte schreiben, für die ich mich wirklich schämen würde. (Zwischenrufe der BundesrätInnen Steiner-Wieser und Steiner.) Sie dürfen diese Texte hier einbringen, Sie dürfen sie Dringliche Anfrage nennen und sie hier begründen, und ich finde es gut, dass Sie das dürfen, aber sprechen Sie dann nicht von einer Diktatur! (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Ich würde ja gern noch viel mehr auf diese Sprache eingehen. Ich habe mir ganz viele Notizen zu vielen Wörtern gemacht, zum Beispiel Untertanen. Das Lustige ist ja, beim einen beziehen Sie sich auf die Wissenschaft, wenn Sie meinen, dass das nicht haltbar sei – beim Impfen. Dann habe ich das Wort Maskenzwang und das Wort Medienshow auf meiner Liste – also ich weiß nicht.

Das habe ich mir übrigens einmal angeschaut – kleines Detail am Rande –: Es wird ja immer kritisiert, dass es die Pressekonferenzen gibt. Da habe ich mir gedacht – meine Firma macht ja auch Kommunikation, und ich berate auch –: Wie ist das jetzt wirklich mit diesen Pressekonferenzen? Ich habe mir das einmal in den anderen europäischen Staaten angeschaut und auch, was und wie kritisiert wird und wie die Opposition reagiert. Dabei komme ich drauf, es ist völlig wurscht, was man macht, die Opposition kritisiert einen sowieso. Geht man als Regierung raus, übernimmt die Verantwortung und infor­miert, dann wird man kritisiert, dass man nicht ExpertInnen ranlässt. In manchen Län­dern – ich glaube, in Spanien, aber ich bin mir jetzt nicht mehr sicher – macht die Regie­rung das nicht, dort schicken sie die ExpertInnen vor. Dort gibt es ein ExpertInnengre­mium, das die neuen Maßnahmen verkündet. Dann poltert die Opposition: Die Regie­rung versteckt sich hinter ExpertInnen, sie will keine Verantwortung übernehmen! (Hei­terkeit bei der ÖVP.)

Das ist parteipolitisches Hickhack, während gleichzeitig draußen das Krankenhausper­sonal leidet, Überstunden macht und wirklich aus dem letzten Loch pfeift. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Wir müssen uns jetzt Sorgen machen. Wir haben gerade die neuesten Zahlen aus Vorarlberg, dort ist es in den Intensivstationen wirklich an der Grenze.

Es war übrigens Frau Kollegin Steiner-Wieser, die in der letzten Sitzung hier gestanden ist und noch gesagt hat: Ah, die Intensivstationen, so ein Blödsinn, Verfünffachung, wenn da gesagt wird, da lag vorher einer und dann fünf, haha, stimmt das doch alles gar nicht! – Wir sind nicht dort! Wir kämpfen hier wirklich dafür, dass das Gesundheitssystem funktioniert. Priorität Nummer eins hat: Menschenleben zu retten und das Gesundheits­system zu schützen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Wenn Sie aber glauben, mit dieser Sprache oder mit Verschwörungserzählungen zu gewinnen, dann darf ich Sie daran erinnern, dass heute neue BundesrätInnen angelobt worden sind, Sie drei verloren haben und die ÖVP zwei und die Grünen eine dazuge­wonnen haben. – Danke schön. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

17.38

Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Karl-Arthur Arlamovsky. – Bitte, Herr Bundesrat.