16.20

Bundeskanzler Sebastian Kurz: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Lieber Heinz Faßmann! Na ja, wo fängt man da an? (Ruf bei der FPÖ: Bei der Wahrheit! – Heiterkeit und Zwischenrufe bei der SPÖ.) Ich versuche, obwohl ich Lust dazu hätte, jetzt das eine oder andere loszuwerden (Bundesrat Steiner: Lass es raus!), trotzdem möglichst differenziert zu bleiben.

Ich würde vielleicht gerne bei dem Punkt beginnen, den Sie, Herr Bundesrat, ja unter anderem angesprochen haben, nämlich der Einladung an mich, Informationen zu teilen, die ich vielleicht habe, die aber die Bevölkerung nicht hat. Dieser Einladung komme ich gerne nach. Ob die Bevölkerung diese Informationen nicht hat, weiß ich nicht (Bundesrat Steiner: Das solltest aber wissen!), aber wenn ich Ihnen so zuhöre, dann habe ich das Gefühl, Sie haben so manche Information nicht oder sie ist nicht ganz zu Ihnen durchge­drungen. (Beifall bei der ÖVP und bei BundesrätInnen der Grünen.)

Insofern versuche ich, ein paar Informationen mit Ihnen zu teilen, die vielleicht einen ein bisschen differenzierteren Blick auf die Dinge zulassen, als Sie das in Ihrer Rede dar­gestellt haben, und die vielleicht dazu anregen, dass man sich bewusst wird, dass wir einfach in einer Zeit leben, in der es nicht einfach ist, den richtigen Weg im Abwägen aller Interessen, die man einfach miteinander in Einklang bringen muss, zu finden – Inter­essen wie eine gute Bildung, eine funktionierende Wirtschaft, aber auf der anderen Seite auch jene, dass Intensivstationen nicht überlastet werden und dass eine medizinische Behandlung für alle in unserem Land zur Verfügung steht, die eine brauchen.

Wir befinden uns in einer Pandemie – dieses Wort ist in Ihrer Rede nicht vorgekommen, Herr Bundesrat –, und wir sind in dieser Situation nicht alleine: Wir haben eine weltweite Pandemie, eine Herausforderung insbesondere für Europa, und eine leider Gottes in fast allen europäischen Ländern sehr vergleichbare Situation. Es gab – unabhängig davon, ob man es gut findet oder nicht – in allen europäischen Ländern Lockdowns, ganz gleich, ob dort Sozialdemokraten regieren, Liberale eine Regierung anführen oder Rechtspoliti­ker eine Regierung anführen. Ich bin in engem Kontakt mit Viktor Orbán (Bundesrat Stei­ner: Der gehört aber zur Volkspartei, zur Europäischen! – Bundesrat Schennach: Da hat aber viel abgefärbt! – weitere Zwischenrufe bei der SPÖ), ich bin in engem Kontakt mit Angela Merkel, ich bin in engem Kontakt mit Mark Rutte und ich spreche mit den Premierministern in Polen, in Irland, in Spanien oder in Italien. (Bundesrat Steiner: Mit welchem Premier in Italien spricht man gerade?) – Herr Bundesrat, ich habe Ihnen so aufmerksam zugehört, vielleicht lassen Sie mich ausreden. (Bundesrat Steiner – mit der rechten Hand das Kreuzzeichen schlagend –: Entschuldigung! Das mache ich jetzt auch! – Bundesrat Seeber: Das ist ein Wahnsinn! Wir sind da nicht in einem Bierzelt! – Bundesrat Steiner: Das geht mir aber ab!)

Wissen Sie, was das Interessante ist? – Ganz gleich, welcher politischen Richtung sie angehören, alle haben im Moment mit demselben Problem zu kämpfen und alle versu­chen, einen ähnlichen Lösungsweg zu gehen. Es gab quer durch Europa Lockdowns. Es gab quer durch Europa die Notwendigkeit, Maßnahmen zu setzen, die niemand gerne setzen möchte. Sie tun ja so, als würde es jemandem Freude machen, Geschäfte zu schließen, Restaurants zu schließen oder die Schulen zu schließen. Das ist ja nichts, was irgendjemand gerne macht. Manchmal verliere ich ein bisschen den Glauben, denn wir haben ja vor kurzer Zeit noch gemeinsam regiert, und teilweise kennen wir uns doch auch persönlich. Was hätte denn ein Regierungschef – ganz gleich ob in Österreich, in Deutschland, in Ungarn, in Rumänien oder in Irland – davon, etwas zuzusperren? Das ist ja weder populär noch macht es Freude.

Was ist aber die Herausforderung, die wir haben? – Wir haben die Herausforderung, dass es in allen Lebensbereichen den Mythos gibt, dort finden keine Ansteckungen statt: Die Gastronomen sagen, in der Gastronomie gibt es keine Ansteckungen. Die Schulen sagen, in den Schulen finden keine Ansteckungen statt. In der Industrie und den Büros wird so gearbeitet, dass dort keine Ansteckungen stattfinden. Überhaupt gibt es eigent­lich kaum irgendwo - - (Das Mikrofon des Redners fällt aus. – Rufe: Mikro!) Wenn man dieser These folgt, gibt es kaum irgendwo Ansteckungen.

Darüber hinaus gab es die These, Kinder seien nicht ansteckend, sie seien nur kleine Menschen, die können einen Virus nicht bekommen und wahrscheinlich auch nicht wei­tergeben. (Bundesrat Schennach: ... ein bisschen seriöser!) Darüber hinaus hörte man immer wieder die These, es könne auch innerhalb einer Generation bleiben, es muss ja nicht zu den älteren Menschen weiterwandern.

Mittlerweile wissen wir drei Wahrheiten. Die erste ist: Auch wenn angeblich nirgends Ansteckungen stattfinden, gilt, je weniger geschlossen ist, desto mehr Ansteckungen finden in jedem europäischen Land statt. (Zwischenruf des Bundesrates Steiner.) – Ich glaube, es ist eigentlich eh sinnlos, oder? Sie laden mich für eine Dringliche Anfrage ein, die ich Ihnen beantworten soll, und - - (Beifall bei der ÖVP und bei BundesrätInnen der Grünen. – Zwischenruf des Bundesrates Steiner. – Bundesrat Seeber: Der hat ja kein Benehmen!) Schauen Sie, da Sie kein Interesse daran haben und viele andere das eh wesentlich differenzierter sehen, glaube ich, erspare ich mir schön langsam diese Übung!

Ich glaube, die meisten hier herinnen sind sich bewusst, dass die Situation herausfor­dernd ist, dass man über jede Einzelmaßnahme diskutieren kann, dass aber die These, dass nirgends Ansteckungen stattfinden, falsch ist und dass auch die These, dass sich Kinder nicht anstecken können, widerlegt ist. Wir haben vor Weihnachten eine Studie gemacht, die ergeben hat, dass 1,4 Prozent der Kinder und Jugendlichen zu diesem Zeitpunkt infiziert waren. Das sind nicht viel weniger als in der Gesamtbevölkerung. Na­türlich – auch wenn es so verlockend nach einer Lösung klingen würde, um ältere Men­schen zu schützen – kann man die Bevölkerung nie so auseinanderdividieren, dass die Generationen keinen Kontakt zueinander haben. Das heißt, die Rechnung ist ganz ein­fach: Stecken sich Jüngere an, stecken sich ihre Eltern an. Stecken sich Jüngere an, stecken sich ihre Großeltern an. Kinder sollen unbeschwert aufwachsen – ja! –, aber dazu gehört auch, dass möglichst viele Omas und Opas dieses Jahr überleben, sehr geehrter Herr Bundesrat! (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Ruf bei der FPÖ: Das ist pole­misch!)

Sosehr ich mir wünsche, dass unser Leben möglichst normal stattfinden kann – inklusive offener Schulen, Geschäfte, Hotels und Restaurants –, so sehr haben wir alle auch die Verantwortung, diese Pandemie bestmöglich zu bekämpfen, um zu verhindern, dass die Kapazitäten der Intensivstationen überlastet werden, und um zu verhindern (Zwischenruf der Bundesrätin Steiner-Wieser), dass sich zu viele ältere Menschen anstecken, die massiven gesundheitlichen Schaden nehmen können. Der Prozentsatz der Omas und Opas, die sterben, wenn sie sich anstecken, ist dramatisch hoch. (Zwischenruf des Bun­desrates Ofner.) Bei den über 80-, über 85-Jährigen sterben über 10 Prozent der Men­schen, die sich anstecken. Überlegen Sie sich das einmal! Das ist nichts, über das man sagen kann: Das ist ja kein Problem, das gibt es nicht! (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Ofner.)

Insofern gilt: Ja, Kinder sollen unbeschwert leben können, aber dazu gehört auch, dass wir in diesem schwierigen Jahr zusammenhelfen und versuchen, all das, was uns wichtig ist, bestmöglich in Einklang zu bringen. Da gehört eine gute Ausbildung dazu, und ich bin dem Bildungsminister für all die Anstrengungen dankbar, die unternommen werden, dass das Distancelearning trotz dieser schwierigen Situation bestmöglich funktioniert. Ich bin froh, dass die Schulen für diejenigen offen sind, die Betreuung brauchen, weil es halt nicht anders funktioniert. Ja, es ist nicht ideal, wie es ist. Ja, es ist für alle Familien, insbesondere für jene, in denen die Eltern berufstätig sind und in denen unter schwie­rigen Bedingungen Homeoffice, Homeschooling und all das in Einklang gebracht werden müssen, schwierig. (Bundesrat Ofner: Es ist schwierig, weil es Chaos gibt!) Wenn Sie aber glauben, die Antwort ist, zu sagen, wir lassen es laufen, weil es Corona ja nicht gibt oder weil sich halt ansteckt, wer sich ansteckt, dann kann ich Ihnen da nur widerspre­chen. Ich glaube auch nicht, dass das dann eine unbeschwerte Zeit für die Kinder in Österreich wäre, sondern – ganz im Gegenteil! – es wäre eine Zeit, die sehr, sehr viele in sehr negativer Erinnerung behalten würden. (Beifall bei der ÖVP und bei BundesrätIn­nen der Grünen.)

Was versuchen wir daher? – Wir beraten regelmäßig in der Bundesregierung – der Bil­dungsminister, der Gesundheitsminister, der Finanzminister, die Wirtschaftsministerin, der Innenminister, der Arbeitsminister und viele andere –, wie wir es schaffen können, auch weiterhin bestmöglich durch diese schwierige Zeit zu kommen, wie wir es schaffen können, die unterschiedlichen Notwendigkeiten und Bedürfnisse einfach auch mit der Realität in Einklang bringen zu können. In einer Zeit der Pandemie können wir leider Gottes nicht weiterleben wie zuvor.

Mich interessiert schön langsam, was in einigen Monaten Ihr Sprechtext sein wird, wenn wir durch die Impfung wieder zur Normalität zurückkehren können und das Leben wieder normal stattfinden kann, der Schulunterricht normal stattfindet, die Restaurants offen sind (Zwischenruf des Bundesrates Steiner) und wir wieder normal leben können. Was werden Sie mir denn dann vorwerfen? (Zwischenruf des Bundesrates Beer.) Da geht Ihnen ja irgendwann der Text aus, Herr Bundesrat! (Beifall bei der ÖVP und bei Bun­desrätInnen der Grünen. – Heiterkeit der Bundesräte Seeber und Steiner.)

Sie tun ja so, als würde uns das Freude machen, als würden wir das gerne machen, als würden wir das grundlos machen. Ich bin etwas gespannt darauf, was Sie sagen werden, wenn Sie auf einmal draufkommen: Siehe da, wenn es die Notwendigkeit für diese Maß­nahmen nicht mehr gibt – Überraschung, Überraschung! –, gibt es auch diese Maßnah­men nicht mehr. (Bundesrat Spanring: Schauen wir, wann es so weit ist!)

Daher: Wie werden wir weiter vorgehen? Wir beraten schon am Montag wieder mit Ver­tretern aller Parteien und vor allem auch mit den Landeshauptleuten in Österreich. Wir haben die Entscheidung, wie wir bis einschließlich 7. Februar vorgehen, einstimmig mit allen Landeshauptleuten getroffen, quer durch, über die Parteigrenzen hinweg, und wir werden am Montag eine Entscheidung treffen, wie es ab dem 8. weitergehen soll. Das ist eine schwierige Entscheidung, weil uns insbesondere die neuen Mutationen Sorge bereiten. Das sind keine einfachen Themen, die da auf uns zukommen, aber wir werden wieder versuchen, eine gemeinsame Linie zu finden und das bestmögliche weitere Vor­gehen zu besprechen – mit dem selbstverständlichen Ziel, alles zu öffnen, was nur ir­gendwie geöffnet werden kann, ohne dass es unverantwortlich ist, und mit der Garantie, dass die Schulen jedenfalls bei einem ersten Öffnungsschritt immer dabei sein werden, so wie das auch bisher war. (Vizepräsident Raggl übernimmt den Vorsitz.)

Ich komme zur Beantwortung Ihrer Fragen.

Zu den Fragen 1 bis 7:

Wir sind in den letzten Wochen und Monaten immer in einem regelmäßigen und guten Austausch mit den Mitgliedern der Bundesregierung, mit Expertinnen und Experten und den Landeshauptleuten gewesen. Es war immer das oberste Ziel, den Lockdown so rasch wie möglich zu beenden. Die Entwicklung der Infektionszahlen spielt bei dieser Entscheidung aber eine wesentliche Rolle, wie Sie sich hoffentlich vorstellen können, und ist ein wichtiger Indikator dafür, wann Lockerungsmaßnahmen gesetzt werden kön­nen.

Mittlerweile sind die Experten klar der Meinung, dass Kinder sich genauso anstecken können wie andere Menschen auch. Zusammen mit dem Auftreten der neuartigen Virus­mutationen und dem damit verbunden höheren Ansteckungsrisiko wurde insbesondere der Schulbereich vor neue Herausforderungen gestellt.

Das tägliche Diskutieren und Evaluieren der aktuellen Lage und der kontinuierliche Aus­tausch mit den Experten sind wichtige Leitlinien, um wesentliche Erkenntnisse im Hin­blick auf das weitere Vorgehen zu gewinnen. So war ich diesbezüglich natürlich immer auch mit Bildungsminister Heinz Faßmann in Kontakt und bedanke mich für seine Arbeit. Es ist uns wichtig zu betonen, dass die Schuleinrichtungen stets für Schülerinnen und Schüler mit Betreuungsbedarf geöffnet waren und geöffnet sind.

Zu den Fragen 8 bis 18:

Aufgrund der Infektionslage war von Anfang an geplant, dass der generelle Lockdown nicht vor dem 25. Jänner enden wird. Die Schule hat bei diesen Überlegungen immer eine Sonderstellung eingenommen, und es wird regelmäßig evaluiert, um zum frühest­möglichen Zeitpunkt Öffnungsschritte setzen zu können. Es ist mittlerweile gängige Mei­nung in der Wissenschaft, dass sich das Infektionsgeschehen umso besser kontrollieren lässt, je niedriger es ist. Experten empfehlen eine Senkung des Infektionsgeschehens in der Siebentageinzidenz in Richtung 50 oder darunter, was sich in Europa als sehr he­rausfordernd darstellt.

Nach intensiven Gesprächen haben wir zusammen mit den Landeshauptleuten und Ex­perten die weitere Vorgehensweise am 17. Jänner der Öffentlichkeit vorgestellt. Es bleibt unser oberstes Ziel, unser Möglichstes zu tun, um einen schnellen Anstieg der Infek­tionszahlen zu verhindern.

Zu den Fragen 19 bis 24:

Nein. Ich bin froh, dass wir mit Bildungsminister Heinz Faßmann einen ausgewiesenen Experten in der Krise haben, der diesen herausfordernden Bereich besonnen und ziel­strebig steuert. Er hat gezeigt, dass innovative Maßnahmen in dieser Pandemie notwen­dig sind und war damit in vielen Fällen innerhalb der Europäischen Union Vorreiter, wie zum Beispiel die Gurgeltests, das Lamp-Verfahren, mobile Testteams in allen Bundes­ländern und die flächendeckende Testung mit Antigenselbsttests in den Schulen. Dafür bedanke ich mich ganz besonders.

Zu den Fragen 25 bis 29:

Erst diese Woche wurde ein Förderpaket für den Schulbereich präsentiert. Damit werden die Schülerinnen und Schüler bestmöglich unterstützt. Es soll nachgeholt werden, was durch die schwierige Coronazeit nicht entsprechend vermittelt werden konnte. Die weite­ren Entwicklungen in dieser Pandemie sind weder vorhersehbar noch berechenbar. Wir als Bundesregierung werden daher weiterhin in engem Austausch mit den Landeshaupt­leuten, den Parteienvertretern, Sozialpartnern und Experten die Entwicklungen nicht nur beobachten, sondern auch die entsprechenden Schlüsse ziehen und dann entschei­den. – Vielen Dank, Herr Bundesrat, für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei ÖVP und Grü­nen.)

16.35

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Vielen Dank, Herr Bundeskanzler.

Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.

Ich mache darauf aufmerksam, dass gemäß § 61 Abs. 7 der Geschäftsordnung die Re­dezeit eines jeden Bundesrates mit insgesamt 20 Minuten begrenzt ist.

Als nächste Rednerin zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Andrea Michaela Schartel. Ich erteile ihr dieses.