9.37

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zusehe­rinnen und Zuseher! Bevor ich in meine Rede zu Ihrer Erklärung einsteige, lassen Sie mich Folgendes sagen: Mit heute sind es elf Frauenmorde in vier Monaten – das ist unglaublich erschütternd und muss endlich aufhören! Es zieht einem das Herz zusam­men, das darf es nicht geben! Die Bundesregierung muss endlich dafür sorgen, dass alle Frauen in Sicherheit leben können – und das einfach immer: in den eigenen vier Wänden, in der Arbeit, in der Freizeit. Das, werte Bundesregierung, ist Ihre Verantwor­tung! (Beifall bei der SPÖ.)

Es ist mir gerade heute wichtig, darauf hinzuweisen, weil wir es nicht hinnehmen können und wollen und weil wir es nicht schweigend hinnehmen werden, dass so viele Frauen ermordet werden. Wir sind es den ermordeten Frauen schuldig, ebenso den schwer leidenden Hinterbliebenen, denen ich unser Beileid aussprechen und unsere Anteil­nahme von ganzem Herzen zum Ausdruck bringen möchte.

Nun zu dem von Ihnen angesprochenen Thema der Wertschätzung in der Politik und damit zur heutigen Debatte: Beginnen wir mit dem Notwendigen, aber Grundlegenden, dem Wesen des Parlaments: Parlamentarische Entscheidungen haben üblicherweise den Charakter, dass Mehrheiten für Vorhaben gefunden oder nicht gefunden werden. Im Bundesrat braucht zumindest die Mehrzahl der zu behandelnden Themen für eine solche Mehrheit mehr als die Hälfte der Stimmen aller Anwesenden. Bei voller Anwesenheit sind das 31 Mitglieder des Bundesrates, wie auch immer sich diese zusammensetzen. Wenn sich nun für ein Vorhaben keine Mehrheit findet, bleibt es in der Minderheit und ist somit für acht Wochen blockiert – so geschehen zum Beispiel beim Epidemie- und COVID-19-Maßnahmengesetz.

Nun werden Sie sich, werte Kolleginnen und Kollegen, fragen: Was erzählt uns die? Wir wissen das natürlich! – Tatsächlich erkläre ich es nicht für Sie, sondern für unseren Herrn Bundeskanzler.

Er hat sich – vielleicht aufgrund fehlender Kenntnis oder schlecht beraten – zu der Aus­sage hinreißen lassen, die besagten Gesetze seien im Bundesrat mit allen Tricks ver­hindert worden.

Nein, Herr Bundeskanzler, das sind keine Tricks, sondern ganz einfach Mehrheiten, und die sind zustande gekommen, weil drei Bundesräte der Regierungsfraktionen ÖVP und Grüne gefehlt haben und Sie nicht mit der Opposition geredet haben. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Sie haben also hier bewusst, ganz bewusst die Unwahrheit gesagt, und darauf ist hinzu­weisen, weil das auch ganz klar zeigt, wie viel Respekt Sie für das Parlament übrig haben.

Nein, im Bundesrat sind wir keine Taschenspielerpartie, die Tricks anwendet, sondern das ist einfach ein demokratischer Ablauf.

Das gilt übrigens auch für all jene Regierungsmitglieder, die diesen Spin übernommen haben – ausschließlich solche der ÖVP –, wie auch Tourismusministerin Köstinger. Und da frage ich mich schon, wie die föderalistische Seele der ÖVP und das parlamen­tarische Gewissen das aushalten. Vielleicht helfen Sie bitte – auch die KollegInnen von den Grünen – den Regierungsmitgliedern, Ihren Regierungsmitgliedern und den Kolle­ginnen und Kollegen im Nationalrat einmal auf die Sprünge! Das wäre ganz offensichtlich dringend notwendig.

Es gibt aber auch Erfreuliches, und dem möchte ich mich jetzt ganz zuwenden: Mit dem menschlich nachvollziehbaren und zugleich außergewöhnlich emotionalen Rücktritt von Rudolf Anschober hat sich diese Regierung neuerlich verändert. Dass diese Verände­rung eingetreten ist, ist mit Sicherheit auch dem innerkoalitionären Klima und dem Umgang miteinander geschuldet.

Ich möchte an dieser Stelle Rudolf Anschober rasche Genesung, alles Gute für seine persönliche Zukunft und viel Freude bei der Fertigstellung seines Buches wünschen. Wir sind gespannt, was wir darin lesen werden, und ich werde sicher eine der Ersten sein, die sich dieses Buch kaufen. (Beifall bei der SPÖ.)

Es ist aber auch Anlass, den neuen Minister zu begrüßen. Herr Gesundheitsminister Mückstein, herzlich willkommen hier im Bundesrat im Namen der SPÖ-Fraktion. Sie haben ja bereits Ihren Einstand im Nationalrat gehabt. Insofern konnten wir ja schon einen ersten Eindruck davon gewinnen, worauf Sie Ihren Fokus legen werden. Dort – und das kann man Ihnen durchaus attestieren – haben Sie authentisch, klar und ambitioniert gewirkt, und wir hoffen, dass Sie vieles von dem, was Sie dort angekündigt haben, dann auch wirklich umsetzen können, trotz Ihres Koalitionspartners. (Bundesrat Bader: Na, na!)

Sie sind ein Praktiker – das ist in der aktuellen Situation sicherlich von Vorteil – und Ihre Ankündigungen machen Hoffnung, zum Beispiel jene, dass es Psychotherapie auf Krankenschein braucht. Da sehen wir, dass es gerade im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie, aber auch ganz grundsätzlich Nachholbedarf gibt. Wir werden Sie bei diesem Anliegen ganz sicher, so gut wir können, unterstützen.

Auch dass Sie einen Fokus auf Menschen mit Behinderung legen, freut mich ganz besonders. Die Gruppe der Menschen mit Behinderung ist eine, die auch im Parlament nicht so sehr beachtet wird, aber sie ist eine ganz, ganz wichtige Gruppe, gerade in der Pandemie und gerade hinsichtlich der Frage ihrer Zukunft auf dem Arbeitsmarkt.

Sie wissen aus Ihrer praktischen Tätigkeit: Menschen, die in Armut leben, sind häufig krank, haben Erkrankungen, die unmittelbar mit der Armut zusammenhängen, und sterben auch früher an den Folgen der Armut. So ähnlich haben Sie es auch in Ihrer Rede über Ihre Tätigkeit beim Ganslwirt und im Neunerhaus angeführt, und Sie haben damit vollkommen recht. Das Schlimme daran ist: Diese Krise wird die Armut in diesem Land noch verschärfen, und es gilt, hier endlich entschlossen dagegenzuhalten, auch weil dieses Virus die Ungleichheiten noch schärfer hervortreten lässt.

Das Robert-Koch-Institut hat für Deutschland in Studien festgestellt, dass vor allem Menschen, die finanziell schwächer, armutsgefährdet oder sogar von Armut betroffen sind, ein um 50 Prozent höheres Risiko aufweisen, sich mit dem Virus zu infizieren, und dass es in ökonomisch schwächeren Gebieten ebenso höhere Inzidenzen gibt.

Dieses Virus lässt also die ungerechten Voraussetzungen, die sich entlang von Ver­mögensverteilung und Zukunftschancen entspinnen und die sich natürlich auch im gesamtgesundheitlichen Zustand niederschlagen, noch stärker hervortreten. Insofern wäre auch hier ein Fokus auf Forschung und Prävention in Österreich zu legen. Hier müssen Sie bitte als Gesundheitsminister tätig werden.

Ich muss Sie aber auch als Sozialminister fragen: Herr Minister, was ist geplant, damit man diese Armut mildert? Ist das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz, das wir als Sozial­demo­kratie in dieser Form immer abgelehnt haben, aus Ihrer Sicht wirklich das passende Mittel? Finden Sie es richtig, dass von Teilen der Regierung immer wieder eine Neiddebatte gegen finanziell Schwächere und bezogene Sozialleistungen angezettelt wird, obwohl die Ungerechtigkeiten ja ganz woanders liegen? Das sind schon Fragen, die uns sehr interessieren und bei denen es auch – wenn Sie auch neu in Ihrer Funktion sind – leider keinen Aufschub geben kann.

Wir werden heute noch eine Dringliche Anfrage an den Bundeskanzler richten, die sich mit der Frage der Situation von Familien beschäftigt. Wir sehen hier massive Folgen der Pandemie. Jetzt braucht es Antworten, wie Sie diesen Menschen helfen.

Oder schauen wir in die drängenden Bereiche in Ihrem Ressort! Eines der größten Felder ist natürlich die Pflege. Wir befinden uns mitten in einem Pflegekräftemangel, das wurde bereits angesprochen, aber ich darf Ihnen als Gewerkschafterin sagen: Die Situation für die Beschäftigten in der Pflege – und Sie als Arzt werden das wissen – ist furchtbar belastend. Die Beschäftigten in der Pflege sind wirklich am Limit mit all den Belastungen in dieser ganzen Pandemiesituation, mit dem, was sie tragen müssen, und die große Gefahr ist, dass viele Menschen sagen: Ich werde diesen Pflegeberuf nicht mehr weiter ausüben, weil ich einfach zu sehr belastet bin.

Da heißt es, Antworten zu geben, da heißt es, Lösungen zu finden und diesen Beruf attraktiver zu gestalten. (Beifall bei der SPÖ.)

Es ist immer noch bestürzend, dass unsere Forderung, die wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten und auch als GewerkschafterInnen aufgestellt haben, nach dem Coronabonus, dem Coronatausender noch nicht umgesetzt ist. Da geht es um Wert­schätzung, und das wäre das Mindeste gewesen, das man hätte tun können. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir sind positiv überrascht, dass Sie die bessere Bezahlung für Pflegekräfte endlich an­gehen wollen, das ist gut, und auch Praktika bezahlen wollen, auch das ist gut, aber wichtig wäre auch, die Pflegekräfte in die Schwerarbeitsregelungen für die Pensions­leistung einzubeziehen. Das wäre die Anerkennung, die die Beschäftigten dort brauchen. (Beifall bei der SPÖ.)

Ihr Ressort ist enorm groß, und ein weiterer Punkt, der ganz, ganz dringend angegangen werden muss, ist die Frage der Pensionen, die Absicherung im Alter. Wir müssen schon sagen: Es ist unglaublich schlecht gewesen, die Hacklerpension abzuschaffen. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der FPÖ. – Zwischenruf bei der ÖVP.) Wir haben ganz wenig Verständnis dafür, wie Sie da mit hart arbeitenden Menschen umgegangen sind. Ich darf Ihnen noch sagen: Bei einer Pensionsschere von 42 Prozent zwischen Frauen und Männern bedarf es anderer Handlungsschritte als jener, die Sie gesetzt haben. Es braucht die Anrechnung der Kindererziehungszeiten, damit Frauen im Alter nicht von Armut gefährdet sind. (Beifall bei der SPÖ.)

Sie werden sich auch dem Konsumentenschutz widmen müssen; das ist ein wichtiges Thema, gerade für die Menschen in diesem Land. Leider – und das wundert mich ganz besonders, weil es immer ein starkes grünes Thema war – ist die finanzielle Absicherung des VKI bis jetzt noch nicht geschehen. Ich glaube, da wären auch ganz dringend Handlungsschritte zu setzen.

Die Felder, die vor Ihnen liegen, sind also riesig groß und die Aufgaben zahlreich, das ist uns bewusst. Wir wünschen Ihnen dafür alles Gute und sind überall dort, wo es sinnvoll und notwendig ist, ganz sicher gesprächsbereit.

Herr Minister, eines muss ich Ihnen aber auch mitgeben: Wir können Sie in der aktuellen Situation nicht schonen, das lassen die Versäumnisse im Gesundheitsressort, für die neben Ihrem Vorgänger auch der Herr Bundeskanzler maßgeblich verantwortlich ist, in den Bereichen der Impfungen, der Impfstoffbeschaffung, der lückenhaften Test­stra­tegie – die Selbsttests sind noch immer nicht geregelt – und der nicht durchdachten und ungeplanten Auf-und-zu-Politik nicht zu.

Jeder Tag zählt, und das wissen Sie als Mediziner natürlich genau. Packen wir es gemeinsam an, damit wir bald wieder ein Stück Normalität zurückbekommen! Dabei unterstützen wir Sie gerne, wenn auch Sie den Schulterschluss mit der Opposition suchen – und den werden Sie dank Ihres Koalitionspartners ganz dringend brauchen; wenn Sie uns jetzt nicht glauben, dann glauben Sie vielleicht zumindest Ihrem Vorgänger. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

9.49

Präsident Mag. Christian Buchmann: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Fraktionsvorsitzender Christoph Steiner. – Bitte, Herr Bundesrat.