9.42

Bundesministerin für Justiz Dr. Alma Zadić, LL.M.: Herr Präsident! Sehr geehrte Bun­desrätinnen und Bundesräte! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! Ich bedanke mich sehr für die Wahl des heutigen Themas, sehr geehrte Bundesrätinnen und Bundesräte, denn es ist ein wichtiges Thema, und an Ihren Redebeiträgen kann man erkennen, wie ernsthaft wir uns, sowohl als Bundesregierung als auch das Parlament, auch hier im Bundesrat, mit diesem Thema auseinandersetzen. Ich möchte Ihnen auch für Ihre Worte, teilweise sehr persönlichen Worte, danken.

Ich beobachte leider, dass uns das Thema mit einer erschreckenden Regelmäßigkeit immer wieder beschäftigt – und zwar beschäftigt uns das Thema immer wieder nur dann, wenn etwas passiert, wenn wieder ein Frauenmord geschieht. Dann geht ein Aufschrei durch die Medien, die Politik verspricht Verbesserungen, nimmt sich des Problems an, und bald darauf kommt ein anderes Ereignis, das in den öffentlichen Fokus rückt, und das Thema gerät in Vergessenheit. Diese Regelmäßigkeit beobachte ich seit Längerem als Justizministerin, als Abgeordnete und immer wieder auch als Frau. Es gilt, diesen Kreislauf endlich zu durchbrechen. Wir müssen uns unserer Verantwortung bewusst sein, als Politikerinnen und Politiker, als Gesellschaft immer wieder auf dieses Thema aufmerksam zu machen und diesen Aufschrei nicht verstummen zu lassen.

Daher ist es auch wichtig, dass wir den Austausch mit den Opferschutzeinrichtungen, den Kinderschutzeinrichtungen regelmäßig pflegen, nicht nur dann, wenn etwas pas­siert, sondern tatsächlich regelmäßig Austausch halten, denn wir können immer etwas gegen Gewalt an Frauen, immer etwas gegen Gewalt an Kindern und immer etwas ge­gen häusliche Gewalt tun.

Es geht dabei aber auch – das habe ich in den letzten Wochen festgestellt – um die Männerorganisationen. Ich war in den letzten Wochen auch mit vielen Männerorganisa­tionen im Austausch, und mir ist bewusst geworden, wie viel wir auch innerhalb der Justiz machen können, um die Männerberatungen zu stärken, denn wir müssen dort ansetzen, wo die Gewalt beginnt, und da geht es tatsächlich auch um die Prävention.

Ich habe diese Woche auch eine Besprechung im Justizministerium mit den Expertinnen und Experten des Justizministeriums gehabt und bin auch seit meinem Amtsantritt in regelmäßigem Austausch mit verschiedenen Organisationen, denn das ist ein Thema, mit dem wir uns regelmäßig beschäftigen müssen. Es gibt viele Maßnahmen, die wir umsetzen müssen, es sind viele, viele kleine Schrauben, an denen wir drehen müssen, um endlich dieser Gewaltspirale ein Ende zu setzen. Der Schlüssel liegt in der Präven­tion, also in der Arbeit, bevor diese Tat passiert, und hier müssen wir ansetzen, hier werden wir Angebote ausbauen.

Ich habe bereits mehrere Treffen mit dem Sozialminister, mit der Frauenministerin, mit dem Innenminister gehabt, denn es geht darum, gemeinsam als Bundesregierung Maß­nahmen zu setzen. Ich möchte noch einmal kurz darauf hinweisen, was ich in meinem Verantwortungsbereich, in der Justiz, bereits umgesetzt habe und was ich mir persönlich auch zum Ziel gesetzt habe.

Leider wird die Justiz immer dann befasst, wenn schon etwas passiert ist, wenn es einen Mord gab, wenn es Gewalt gab, wenn die Ermittlungen bereits gestartet haben, aber auch wenn die Justiz befasst wird, müssen wir Maßnahmen setzen, denn wir wissen vom Grevio-Bericht – und da werden wir auch zu Recht kritisiert –, dass es zu wenige Verurteilungen gibt, dass die Verurteilungsrate in Österreich zu niedrig ist. Deswegen habe ich mit der Sektionschefin, die für Staatsanwaltschaften zuständig ist, auch einen Erlass erarbeitet, in dem es darum geht, die Beweissicherung besser vorzunehmen, denn das ist genau das Thema. Es heißt dann immer, wenn die Frau ihre Aussage zurückzieht, dann wird das Strafverfahren meistens auch beendet. Wir müssen daher die Beweissicherungen schon viel früher vornehmen. Es reicht nicht, sich nur auf die Aussage zu stützen, es braucht viel mehr Beweise schon von Beginn an. Deswegen haben wir diesen Erlass erarbeitet und an die Staatsanwaltschaften versandt.

Zweitens geht es auch darum, die Frauen während eines Gerichtsverfahrens und wäh­rend eines Ermittlungsverfahrens bestmöglich zu unterstützen. Wir wissen, dass psycho­soziale und juristische Prozessbegleitung immens wichtig ist, denn Frauen müssen begleitet werden, müssen unterstützt werden, wenn sie vor Gericht aussagen müssen, wenn sie ihre Zeugenaussage aufnehmen lassen müssen, denn jede Vernehmung, jede Aussage einer Frau ist für sie eine enorme Belastung, weil sie oftmals dazu führt, dass die Frau retraumatisiert wird.

Das Gleiche gilt auch für Kinder. Kinder trauen sich oftmals, insbesondere im Kontext von häuslicher Gewalt, nicht, vielleicht gegen den Vater auszusagen. Kinder lieben ja beide Elternteile, deswegen müssen wir auch die Kinder unterstützen, indem sie ins­besondere in den traumatisierenden Verfahren tatsächlich sowohl psychosozial als auch juristisch begleitet werden. (Beifall bei den Grünen sowie bei BundesrätInnen von ÖVP und FPÖ.)

Das nächste Thema sind natürlich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Justiz, der Staatsanwaltschaften und der Gerichte. In Gesprächen mit vielen Opferschutzorganisa­tionen ist erkennbar gewesen, dass es da wesentlich mehr Schulungen braucht. Des­wegen werde ich auch die Ausbildungsverordnung im Justizministerium überarbeiten, denn es braucht hier wesentlich mehr Ausbildung für Richterinnen und Richter, für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, damit sie für dieses Thema auch speziell sensi­bilisiert werden.

Vielleicht noch zu einem zweiten Thema, dem Hass-im-Netz-Paket: Anfang dieses Jah­res ist das Hass-im-Netz-Paket in Kraft getreten, und wir haben mit diesem Hass-im-Netz-Paket auch die psychosoziale Begleitung von Kindern ausgeweitet – ausgeweitet nämlich auch auf Kinder, die Zeugen von Gewalt geworden sind. Bis jetzt war es nämlich so, dass Kinder, die Opfer geworden sind, psychosoziale und juristische Prozessbeglei­tung kriegen.

Es war eine lange Forderung von Opferschutz- und Kinderschutzorganisationen, das auszuweiten, nämlich auch auf jene, die – unter Anführungszeichen – „nur“ Zeugen von Gewalt geworden sind. Diese Kinder sind auch traumatisiert, denn sie beobachten, wie ihre Mutter geschlagen wird, sie hören Schreie zu Hause und wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Daher wurde das Budget in diesem Bereich ausgeweitet, ich habe mit dem Paket, das wir jetzt auf den Weg gebracht haben, noch zusätzlich 3 Millionen Euro für den Kinderschutz zur Verfügung gestellt, damit diese psychosoziale und juristische Prozessbegleitung auch die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung hat. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Schließlich – das habe ich auch zu Beginn gesagt – müssen wir auch dort ansetzen, wo die Gewalt beginnt, und das ist bei den Tätern. Aus dem Justizministerium gibt es jetzt 0,5 Millionen Euro, um in die Täterarbeit zu investieren, um in Antigewalttrainings zu investieren, denn eines wissen wir, und das wissen wir aus allen Studien: Die Rückfall­quote, die in Österreich leider erschreckend hoch ist – gerade im Gewaltbereich ist sie erschreckend hoch, nämlich über 50 Prozent –, können wir nur senken, wenn es eine entsprechende Nachbetreuung gibt, wenn es entsprechende Antigewalttrainings gibt. Deswegen werden wir auch da mehr investieren, um diese Rückfallquote zu senken. Die Studien weisen darauf hin, dass man bei einer entsprechenden Nachbetreuung, bei einer entsprechenden Täterarbeit nach der Haft die Rückfallquote sogar um 20 Prozent senken kann – nur das kann mein Ziel sein.

Wie Sie wissen, bemühe ich mich bei allen Gesetzesmaterien, die wir auf den Weg brin­gen, diese immer danach zu prüfen: Gibt es da Anhaltspunkte, wo wir hinsichtlich Gewalt gegen Frauen, häuslicher Gewalt, psychischer und physischer Gewalt, an der einen oder anderen Schraube drehen können, um tatsächlich auch diese Gewaltspirale zu durch­brechen?

So haben wir zum Beispiel auch im Exekutionsrecht einen Anker gefunden. Diese Über­gangsbestimmung, die wir in der Coronazeit geschaffen haben, nämlich dass Opfer­schutzorganisationen die Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, auch vertre­ten können, hat sich als sehr gut erwiesen. Viele Frauenschutzorganisationen, Opfer­schutzorganisationen sind an uns herangetreten und haben gesagt: Bitte, wir brauchen diese Regelung im Dauerrecht, denn viele, viele Frauen trauen sich nicht, rauszugehen und das Gericht aufzusuchen, weil sie Angst haben, dass der gewalttätige Mann oder die Freunde des gewalttätigen Mannes das beobachten und dass ihnen vielleicht Schlim­meres passiert. Deswegen gibt es jetzt die Möglichkeit, dass sich die Frauen an die Op­ferschutzorganisationen wenden können, und diese können dann in Vertretung dieser Frauen eine einstweilige Verfügung bei Gericht beantragen. Das haben wir jetzt mit dem Exekutionsrecht umgesetzt.

All diese Maßnahmen sollen dazu beitragen, dass die Gesellschaft für Frauen sicherer wird, denn es muss immer unser gemeinsames Ziel sein, als Justiz, als Bundesregie­rung, als Parlamentarier, aber auch als Gesellschaft, diese für Frauen und für Kinder auch sicherer zu machen. Wir müssen es schaffen, patriarchale Rollenbilder aufzubre­chen. Wir müssen es schaffen, eine echte Gleichstellung zwischen Frauen und Männern herzustellen, denn nur so schaffen wir es auch, die Gewalt dort zu verhindern, wo sie entsteht.

All diese Maßnahmen sind wichtige Schritte in diese Richtung, aber sie können nur ein Anfang sein. Wir müssen an diesem Thema dranbleiben, und das über das kurzfristige mediale Interesse hinaus. Unser Ziel, unser gemeinsames Ziel als Gesellschaft muss es sein, dass Mädchen und Frauen in Österreich sicher sind, frei von Angst leben können, und das ist jede Anstrengung wert. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP, bei BundesrätInnen von SPÖ und FPÖ sowie Beifall des Bundesrates Arlamovsky.)

9.54

Präsident Mag. Christian Buchmann: Danke, Frau Bundesministerin.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren Teilnehmer, Teilnehme­rinnen an der Aktuellen Stunde nach Beratung in der Präsidialkonferenz 5 Minuten nicht übersteigen darf.

Zu Wort gemeldet ist Adi Gross. – Bitte, Herr Bundesrat.