10.06

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Prä­sident! Geschätzte Frau Bundesministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Damen und Herren zu Hause, die Sie via Livestream dabei sind! Das Thema häusliche Gewalt, Gewalt gegen Frauen und in diesem Zusammenhang Gewaltschutz taucht in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen in unserer politischen Diskussion auf, näm­lich immer dann, wenn es aktuelle Meldungen, Medienmeldungen darüber gibt, wie dies auch jüngst wieder der Fall war, als in Österreich der in diesem Jahr bereits 14. Mord an einer Frau bekannt wurde.

Häusliche Gewalt, Gewalt an Frauen ist nach wie vor – und das auch im Jahr 2021 und auch in einer Gesellschaft, die sich wie die unsere doch als moderne Gesellschaft be­zeichnet –, immer noch ein Thema, ein Thema, das vielfach tabuisiert wird, über das geschwiegen wird, über das man viel zu häufig bagatellisierend spricht, das eigentlich verharmlost wird. In Wahrheit ist Gewalt aber im familiären Umfeld vielfach Realität und Alltag, Alltag von Frauen, und passiert oftmals vor unserer eigenen Haustür, sie ist aber auch Realität von Kindern, die diese Gewalt oftmals mitverfolgen müssen und sie ebenso aushalten müssen wie die Frauen.

2020 wurden – um nur ein paar Zahlen zu nennen – immerhin 11 652 polizeiliche Betre­tungs- und Annäherungsverbote von der Polizei verhängt, fast 20 000 Opfer familiärer Gewalt wurden von Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen betreut, und die Krise des vergangenen Jahres hat, wie wir alle wissen, das Ihrige dazu beigetragen. Ich glau­be, das sind alles Zahlen, über die man nicht hinwegsehen kann, die man nicht weg­schweigen kann und bei denen man nicht zur Tagesordnung übergehen kann. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir wissen, und das hat auch der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser be­stätigt: Jede fünfte Frau ist zumindest einmal im Leben körperlicher und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt. Jede fünfte Frau erlebt ab ihrem 15. Lebensjahr psychische und/oder sexualisierte oder sexuelle Gewalt. Jede dritte Frau ab 15 hat Erfahrungen mit sexueller Belästigung gemacht. Jede siebente Frau ab 15 ist von Stalking betroffen. Und ich könn­te diese Liste weiter fortführen.

31 ermordete Frauen 2020, 39 ermordete Frauen im Jahr 2019, und ein trauriger Rekord aus dem Jahr 2018: 41 ermordete Frauen in Österreich. Wir haben schon gehört, das ist immer sozusagen der allerletzte katastrophale Schritt, aber bis dorthin ist es ein langer Weg und ist oft viel passiert. Schon im Jahr 2019 hat eine österreichische Tageszeitung einige persönliche Aussagen betroffener Frauen gesammelt, die aus meiner Sicht sehr gut zeigen, wie vielschichtig diese Problematik in Wahrheit ist.

Eine Frau schreibt hier beispielsweise:

„Mein Vater hat meine Mutter geschlagen. Ich und mein Bruder haben das alles mitbe­kommen. Öfters mussten wir fliehen, sprich Mutter hat uns geschnappt und wir sind zu ihrer Schwester gerannt. Jeder hats gewußt, keiner hat geholfen. Meine Mutter war, wie viele Opfer häuslicher Gewalt, finanziell abhängig.“

Eine weitere Frau gibt es folgendermaßen wieder: „Ja so eine Beziehung hatte ich mal. Wobei die Gewalt eher psychisch war. Ein paar blaue Flecken waren auch dabei (fest­halten, ziehen etc.) aber mehr zum kämpfen hatte ich mit dem Psychoterror und der Machtausübung. Mein Selbstwertgefühl war auf 0.“

Oder eine andere Frau: „Mein Ex hat mich mal an den Haaren gerissen, als Entschuldi­gung gabs einen Adventkalender. Als ich es dann doch noch einmal wagte, das Thema anzusprechen, ist er gleich ausgezuckt, ob ich ihm das jetzt immer vorenthalten möchte, er hat sich ja eh schon (1x) entschuldigt. [...] ich sollte es bitte unterlassen, ihn als ge­walttätig darzustellen, war ja nur ein Ausrutscher.“

Eine andere Frau sagt von sich selber: Sie scheint „eine Art von Stockholm-Syndrom“ gehabt zu haben „und dachte belämmert, es wäre irgendwie meine Schuld.“ – Und vieles andere mehr.

Das ist nur ein kleiner Auszug an Aussagen, die betroffen machen, wie ich finde, und die uns deutlich aufzeigen, dass es Handlungsbedarf gibt – und zwar jetzt und sofort und dringend! Das zeigt uns, dass es nicht allein ein persönliches Thema ist, sondern dass es ein zutiefst gesamtgesellschaftliches Thema ist, dem wir uns endlich wirklich ohne jegliche Tabus stellen müssen.

Es geht um Rollenbilder, es geht um Geschlechterstereotype – wir alle kennen die Bilder von der zarten Frau, vom starken Mann, was sich im schlechtesten Fall als sogenannte toxische Männlichkeit äußert –, es geht um Machtverhältnisse, - -

Präsident Mag. Christian Buchmann: Frau Bundesrätin, ich ersuche um den Schluss­satz!

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (fortsetzend): - - um Abhängigkeiten, sei es wirt­schaftlicher, finanzieller, psychischer Art, es geht um Angst- und Schamgefühl. Es geht auch um eine Form der Zivilcourage: Wann mischen wir uns als Nachbarn, als Vertraute ein? Darum geht es.

Vor allen Dingen geht es um ein interdisziplinäres Auseinandersetzen, und dazu, glaube ich, braucht es nicht nur allein das Justiz- und das Innenministerium. Ich als Pädagogin kann Sie nur darum bitten, beispielsweise auch mit dem Bildungsministerium ganz eng zusammenzuarbeiten, um eine Sensibilisierung schon bei den Kindern und Jugendli­chen zu fördern, Selbstwert zu stärken, Möglichkeiten zur gewaltfreien Konfliktlösung aufzuzeigen.

An betroffene Frauen kann ich nur appellieren: Vertrauen Sie sich jemandem an! Die Frauenhelpline ist rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr erreichbar. 0800 222 555, diese Nummer kann man nicht oft genug sagen. Gewalt muss niemand aushalten, wenden Sie sich an jemanden, damit Ihnen geholfen wird!

An dieser Stelle sei auch allen Interventionsstellen, allen Gewaltschutzzentren für ihre wirklich großartige Arbeit und ihre Unterstützung der betroffenen Frauen vielmals ge­dankt. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

10.12

Präsident Mag. Christian Buchmann: Nächster Redner ist Bundesrat Michael Schilch­egger. – Bitte, Herr Kollege.