17.07

Bundesrat Ingo Appé (SPÖ, Kärnten): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundes­minister! Hohes Haus! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Schöne in diesem Haus ist, dass jeder und jede sagen kann, was er oder sie will (Bundesrätin Steiner-Wieser: Gott sei Dank! – Bundesrat Dim: Stimmt!) – ob es gescheit ist oder nicht. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

Da in der Dringlichen Anfrage eine Anzahl von Publikationen aus dem Netz zitiert wurde, möchte auch ich mit einem Artikel meinen Redebeitrag beginnen. Heute stand auf Seite 15 der „Neuen Zürcher Zeitung“: Zertifikat bringt Freiheit, nicht Diktatur. „Diese Warnung vor einer Zweiklassengesellschaft ist eine groteske Verzerrung der Realität. Der Bundesrat“ – in dem Fall der Schweizer – „hat am Mittwoch klargemacht, wie das Impfzertifikat zum Einsatz kommt. Da ist keine Diktatorentruppe am Werk, sondern eine Kollegialregierung, die mit Augenmass vorgeht.“ – „Jeder urteilsfähige Mensch hat das Recht, auf die Impfung zu verzichten. Entwickelt sich die Pandemielage weiterhin so positiv wie in den letzten Wochen, sind die Konsequenzen für die Verweigerer verkraft­bar“. – „Einen obrigkeitlichen Druck oder gar einen Zwang, sich […] in den Arm spritzen zu lassen, gibt es somit nicht. Aber sehr wohl eine Motivation: Wer schnell wieder das Leben zurückhaben möchte, wie es bis Februar 2020 normal war, kann dies mit“ einer „Impfung erreichen. Das müsste insbesondere für“ junge Erwachsene „ein Anreiz für die Impfung sein. In dieser Bevölkerungsgruppe zögern“ noch „viele aus Angst vor […] Nebenwirkungen.

Klar ist aber auch, dass das Impfzertifikat nur eine Übergangslösung sein kann. Eine, die den Weg in die Freiheit ebnet.“

Sie sehen, geschätzte Kolleginnen und Kollegen: Diese Thematik ist kein öster­reichi­sches Phänomen. Eines sollte uns schon klar sein – gerade im Hinblick auf unsere Kinder: Wir sollten den Sommer dazu nutzen, im Herbst wieder einen geregelten Schul­betrieb zu ermöglichen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Es ist kein Geheimnis, dass wir uns nur dann erfolgreich dem Virus stellen können, wenn wir einen bestimmten Prozentsatz an Geimpften in der Gesamtbevölkerung erreichen können. Für uns ist aber auch klar, dass der Präsenzunterricht im Herbst und im Winter für Geimpfte, aber auch für Nichtgeimpfte gewährleistet werden muss. Es darf auf keinen Fall zu einem Ausschluss von Kindern kommen, die keine Impfung nachweisen können.

Wir können der Forderung der AK-Präsidentin Anderl, dass Schulschließungen im Herbst nur eine Ausnahme darstellen können, nur beipflichten. Daher richte ich auch den Appell an Sie, Herr Bundesminister, aber auch an den Bildungsminister, die Sommerzeit dazu zu nutzen, die Voraussetzungen zu schaffen, um den Herausforderungen zeitgerecht entgegenzutreten. Gesundheitsrisken müssen minimiert und gleichzeitig Bildungsange­bote und Kontaktmöglichkeiten zu KlassenfreundInnen sichergestellt werden. Diesbe­züglich hoffe ich auf qualifizierte Vorschläge von Ihnen, Herr Bundesminister – und nicht auf eine Reaktion wie die von Herrn Bundesminister Faßmann, der heute hier die Ver­antwortung, als Schulerhalter die Voraussetzungen für den Klassenbetrieb zu schaffen, auf die Gemeinden und die Bürgermeister abgeschoben hat.

Nun komme ich auf die in der Anfrage gestellten Fragen zurück, wobei ich mich bei Ihnen ganz besonders bedanken möchte, weil wir in letzter Zeit leider nicht daran gewohnt sind, Anfragen in dieser Qualität beantwortet zu bekommen. Das sehe ich etwas anders als die Kollegin von den Freiheitlichen. Da wird die Frage gestellt: Wieso impfen Sie Kinder? – Fast alle Eltern entscheiden sich heutzutage dafür, ihr Kind impfen zu lassen. Dies zeigen auch die Ergebnisse in den Schuleingangsuntersuchungen: Rund 95 Pro­zent der Erstklässler haben wesentliche Grundimpfungen erhalten. Viele Eltern möchten sich vor der Impfung ausführlich informieren; sie fragen, wie gefährlich die Krankheiten sind und was an den Berichten über Nebenwirkungen von Impfungen wirklich dran ist. Solche Fragen und Unsicherheiten sind ganz normal und legitim.

Wenn viele geimpft sind, treten die Krankheiten seltener auf, geraten in Vergessenheit und werden damit als harmlos eingestuft. Die möglichen Nebenwirkungen einer Impfung werden dann kritischer gesehen. Infektionskrankheiten wie zum Beispiel Masern, Keuch­husten und Mumps sind aber alles andere als harmlose Kinderkramgeschichten. Sie sind hoch ansteckend, können sich sehr schnell ausbreiten und schwere Folgen haben. Um eine weitere Ausbreitung der Bevölkerung zu verhindern, ist es wichtig, dass mög­lichst viele geimpft werden. (Bundesrat Steiner: „Eine weitere Ausbreitung der Bevölke­rung zu verhindern“ ...?!) Dies gilt für nachfolgende Impfungen, aber genauso für die Impfung gegen Covid.

Weil die Begriffe Kinder und Jugendliche sehr vermischt wurden, möchte ich festhalten, dass man unter Kindern Kinder im Alter von 0 bis 12 Jahren versteht. Für sie sind folgende Impfungen vorgesehen: Diphterie, FSME, Grippe, Hepatitis B, Haemophilus influenzae Typ B, HPV, Keuchhusten, Masern, Meningokokken, Mumps, Pneumo­kokken, Polio, Rotaviren, Röteln, Tetanus und Windpocken. Für die Jugendlichen von 12 bis 17 sind dies: Diphterie, FSME, Grippe, Hepatitis B, HPV, Keuchhusten, Masern, Mumps, Polio, Röteln, Tetanus und Windpocken. (Ruf bei der FPÖ: ... und Corona!)

Wenn man nun den Empfehlungen bezüglich der Impffreudigkeit und der möglichen Impfungen nähertritt, was der Herr Bundesminister bereits angeführt hat, so ist ganz klar vom Nationalen Impfplan festgelegt, dass er Impfungen für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren uneingeschränkt befürwortet. Auch die EMA ist dieser Meinung. Die Ständige Impfkommission aus Deutschland, die Stiko, ist auch bereits zitiert worden; sie spricht eine andere Empfehlung aus, nämlich Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren nur dann zu impfen, wenn sie Vorerkrankungen oder ein erhöhtes Risiko für einen schwereren Krankheitsverlauf haben oder sie mit Personen aus diesen Risikogruppen in Kontakt sind. Risikogruppen bedeutet: starkes Übergewicht, Diabetes, Asthma oder andere Vorerkrankungen, die im Falle einer Covid-19-Erkrankung ein erhöhtes Risiko darstellen. Die Fachleute der Stiko sprechen sich jedoch nicht prinzipiell gegen eine Impfung aus, wenn ein junger Mensch diese nach entsprechender Aufklärung erhalten möchte.

Nun komme ich ein bisschen zum Cherrypicking der FPÖ: Wir hören immer wieder, wie toll alles in den Vereinigten Staaten ist, dass dort alles frei ist, dass dort der Virus eigentlich nicht mehr existiert. – Auch die amerikanische Zulassungsbehörde, die FDA, erachtet es hingegen als sinnvoll, alle Kinder und Jugendlichen zu impfen; denn infizierte Kinder können die Infektion an andere weitergeben. Ganz so ist es nicht; wenn man immer nur die Argumente herausschreibt, die einem gefallen, sollte man eigentlich auch das ganze Bild betrachten.

Warum sollen Impfungen notwendig sein? – Da sie einen Schutz der geimpften Person hervorrufen, den Individualschutz. Zusätzlich bewirken viele Schutzimpfungen, wie zum Beispiel die Covid-Impfung, dass auch nicht immune Personen indirekt geschützt wer­den, weil die Verbreitung von Infektionen verhindert wird, den sogenannten Gemein­schafts­schutz. Sich impfen zu lassen ist daher nicht nur ein Akt der Eigenverantwortung, sondern auch der freiwilligen Solidarität zum Schutz empfänglicher Mitglieder unserer Gesellschaft, die nicht durch eine Impfung geschützt werden können, wie zum Beispiel Säuglinge oder Menschen mit einem geschwächten Immunsystem.

Wem von uns, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, ist nicht die Gesundheit der eigenen Kinder die größte Herzensangelegenheit? Nach der Geburt fängt das ganze Dilemma schon an. Spätestens im dritten Lebensmonat eines Kindes ist man als Elternteil mit der Impffrage konfrontiert. Einige sind unsicher, ob es wirklich notwendig ist, dass ihre Kinder geimpft werden. Schließlich – so lautet oft der besorgte Einwand – können Impfungen auch Nebenwirkungen hervorrufen. Ist es nicht besser, sie die vermeintlich harmlosen Kinderkrankheiten durchmachen zu lassen? – Das ist, glaube ich, nicht der richtige Weg. Weil Eltern von heute viele der durch die Impfung ver­meid­baren Erkrankungen gar nicht mehr kennen, ist der Respekt vor derartigen Erkran­kungen leider stark gesunken. So gibt es dank Impfungen Kinderlähmung in Österreich nicht mehr, Wundstarrkrampf ist eine Seltenheit geworden, und die bakterielle Gehirn­hautentzündung durch Haemophilus influenzae Typ B kommt bei Kindern in Österreich praktisch gar nicht mehr vor.

Es kann auch festgehalten werden, dass sogenannte Kinderkrankheiten wie Masern, Mumps oder Keuchhusten keineswegs harmlos sind und Personen aller Altersgruppen betreffen können. Durch Impfungen vermeidbare Krankheiten können mit schweren Komplikationen wie zum Beispiel Hirnschäden, Lähmungen, Blindheit und Gehörlosig­keit einhergehen oder sogar zum Tod führen. Durch Impfungen können diese Krank­heiten und damit auch die Folgeschäden verhindert werden.

Impfen: Ja oder Nein? – Diese Frage wird in Österreich nicht nur derzeit, sondern sie wurde auch bereits in der Vergangenheit heiß diskutiert, denn eine Impfpflicht besteht hierzulande nicht. Jeder kann ohne Angabe von Gründen eine Impfung für sich oder sein Kind ablehnen. Den Eltern obliegt es, die Schutzimpfungen bei ihren Kindern rechtzeitig vornehmen zu lassen.

Ich merke zu Kollegin Steiner-Wieser bezüglich der UN-Konvention für Kinderrechte an: Da möchte ich schon hoffen, dass es hier in diesem Haus eine breite Zustimmung gibt (Ruf bei der FPÖ: Selbstverständlich, nur ...!), denn entsprechend der UN-Konvention vom 20. November 1989 haben Kinder das Recht auf beste Gesundheitsversorgung. (Ruf bei der FPÖ: Richtig! – Bundesrätin Steiner-Wieser: Richtig! Genau das ist es! Genau das ist es!) – Hör einmal zu! Dazu gehört aber auch der Schutz vor Erkran­kungen, die durch Impfungen vermeidbar sind. (Bundesrat Steiner: Oder hervorgerufen werden!)

Beim Thema Impfen geistern viele Informationen und Halbwahrheiten herum. Viele Eltern sind daher schnell verunsichert: Schadet die Impfung den Kindern nicht mehr, als sie nutzt? Warum soll man sein Kind gegen Infektionskrankheiten impfen lassen, die bereits ausgerottet sind? (Bundesrätin Steiner-Wieser: ... da drin steht’s!) Sind Imp­fungen wirklich sicher? – Das Robert-Koch-Institut hat gemeinsam mit dem Paul-Ehrlich-Institut den häufigsten Einwänden gegen das Impfen harte Fakten gegenübergestellt. Die Beantwortungen sollen helfen, diese Behauptungen einzuordnen und sich vom Nutzen des Impfens ein Bild zu machen. Man kann das im Internet sehr genau nach­lesen. Impfen fundiert zum großen Teil auf Vertrauen: Vertrauen in die Medizin, Vertrau­en in die Experten und Vertrauen in die Entscheidungsträger.

Da hat Panikmache keinen Platz, denn es geht um die Gesundheit unserer Kinder und unsere Zukunft. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

17.20

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger. Ich erteile ihr dieses. – Bitte.