9.32

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Minis­terin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mir ist natürlich schon klar, dass man gleich am frühen Morgen nach einem durchaus ereignisreichen Tag versucht, General­abrechnungen zu machen. Es ist in den Reden jetzt eigentlich nie um die Konferenz zur Zukunft Europas gegangen. Erlauben Sie mir aber, an dieser Stelle schon zu sagen, dass die Rechtsstaatlichkeit eines der Grundprinzipien der Europäischen Union ist und die Rechtsstaatlichkeit und die unabhängige Justiz auch gerade jetzt gefeiert werden und beschützt werden müssen.

Ich bin sehr froh, dass wir heute trotzdem über ein europäisches Thema sprechen, dass dieses europäische Thema im Zentrum einer Bundesratsdebatte steht, denn diese Kam­mer ist immer so stolz darauf, sich als Europakammer zu verstehen. Wir haben aber nicht immer und nicht sehr oft Europadebatten von dieser Stelle aus, deswegen bin ich sehr froh, dass wir das hier machen. Ich weiß nicht, Herr Kollege Hübner, Sie haben gesagt, Sie sind Mitglied des „sogenannten“ Europaausschusses: Also ich bin Mitglied des Europaausschusses des Bundesrates, und ich finde, das ist auch eine sehr wichtige und gute Sache. (Zwischenruf des Bundesrates Hübner. – Heiterkeit bei der FPÖ. – Bundesrat Steiner: Ihr seid ein Mitglied der sogenannten Regierung, stimmt!)

Erlauben Sie mir trotzdem den kleinen Hinweis, dass ich das Thema der Aktuellen Stun­de auch ein bisschen erweitern möchte, denn der Titel lautet ja: „Konferenz zur Zukunft Europas – gemeinsam Europa verändern für Österreich“. – Ich glaube, die Aufgabe ist tatsächlich eine viel vielfältigere, nämlich dass wir gemeinsam Europa für Europa verän­dern müssen und dass wir manchmal auch Österreich für Europa verändern müssen – das ist immer eine Wechselwirkung, und das halte ich für ganz wichtig.

Ich möchte schon noch einmal daran erinnern, warum es dieses Projekt überhaupt gibt – und deswegen ist es auch so wichtig, dass wir die Bürgerinnen und Bürger immer ein­binden –: Ich denke daran, dass noch meine Mutter – das ist nur eine Generation vor mir! – in einer Stadt geboren wurde, in Rotterdam nämlich, die vom Nachbarstaat Deutschland zerstört worden ist, dass sich die Nachbarländer gegenseitig bekriegt haben und dann in einem Prozess nach diesem Krieg gesagt haben: Wir wollen das nicht mehr, wir wollen nicht mehr gegeneinander Krieg führen, wir wollen uns nicht mehr gegenseitig beschie­ßen, sondern wir wollen miteinander Handel treiben! – So hat das ja angefangen, und dann hat man gesagt: Wir wollen miteinander Frieden schaffen, wir wollen miteinander Kultur austauschen!, und das ging immer weiter. Da kann man natürlich kritisieren, dass etwas zu zentral wird – meinetwegen –, aber genau dafür gibt es diese Konferenz, um genau solche Diskussionen zu führen. Das ist aber doch eine Errungenschaft, die auf der ganzen Welt einzigartig ist, so etwas wie die Europäische Union gibt es sonst auf diesem ganzen Planeten nicht, und ich finde, wir sollten stolz darauf sein. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Die Herausforderungen einer solch einzigartigen multinationalen Organisation wie der Europäischen Union sind ja nun auch einmal einzigartig. Wir haben derzeit etliche He­rausforderungen zu bewerkstelligen, am internationalen Parkett – Sie werden das ken­nen – redet man mittlerweile von den three C’s, mit denen wir uns beschäftigen: Corona, Climate, China, und das sind natürlich auch die drei großen Fragen, die wir als kleiner Staat in Europa nicht alleine bewerkstelligen könnten. Dafür brauchen wir die Koopera­tion und die Internationalität, und die Antwort darauf kann für uns nur Europa sein.

Wenn wir schon über die Klimafragen sprechen: Es ist ja auch interessant, dass bei den Bürgerinnen und Bürgern in der Konferenz bis jetzt eines der absoluten Hauptthemen war, wie wir die Klimafragen lösen.

Dann – weil ich jetzt auch China angesprochen habe –: Wie positioniert sich Europa geopolitisch in einer etwas komplizierter gewordenen Welt? Man denke nur daran, wir haben gerade die Afghanistankrise erlebt und den Rückzug der USA, dieser Hegemo­nialmacht, wie man sie immer genannt hat. Diese Ordnung aus der Zeit nach dem Zwei­ten Weltkrieg ändert sich gerade radikal.

Was wir auch erleben – das ist vielleicht neu –: 1989 war ja auch so ein wichtiges Jahr, an das ich mich sehr gut erinnern kann und in dem wir erlebt haben, was Europa be­deutet, als eine Mauer, die uns getrennt hat, plötzlich nicht mehr da war; das vergisst man alles wieder so gerne. Damals haben wir geglaubt, dass die freie Marktwirtschaft gesiegt hat und dass diese nur unmittelbar mit Demokratie funktioniert. Wir lernen mitt­lerweile, dass es die Autokratien dieser Welt gelernt haben, sich mit einer freien Markt­wirtschaft zu versöhnen, und dass die Demokratie für viele Staaten nicht mehr die Vo­raussetzung dafür ist. Gerade da eine demokratische Antwort zu finden, die Europa lautet, halte ich für ganz wichtig. Europa ist im Moment, finde ich, auf diesem Planeten einer der größten Verteidiger von Menschenrechten und Demokratie, und das halte ich für wirklich wichtig.

Wie aber halt immer in solchen demokratischen Prozessen: Demokratie ist nie so ein­fach. Natürlich ist eine Diktatur ein bisschen einfacher; ein Gremium, ein Komitee, eine Person bestimmt und alle machen das, was gesagt wird. Die Konferenz zur Zukunft Eu­ropas war natürlich am Anfang durchaus auch ein bisschen kompliziert. Da kommen Menschen zusammen und diskutieren ganz lange – schade, dass heute Kollege Buch­mann nicht da ist, weil er ja auch dabei ist (Bundesrätin Eder-Gitschthaler: Er hört via Livestream zu!) –, da wird ganz lange auch über Geschäftsordnungen diskutiert, wie man das organisiert. Es ist wirklich mühsam, aber ich sage: Mir ist eine mühsame De­mokratie immer noch lieber, als wenn es nicht mühsam ist, und manchmal darf das auch mühsam sein. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Nun sollen also BürgerInnenforen stattfinden, die Teilnehmer und Teilnehmerinnen wer­den nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Das wird nun länger als geplant stattfinden, nehme ich an – vielleicht werden wir über das nachher auch noch reden –, weil einfach der Vorprozess etwas länger dauerte.

Was schon auch interessant ist, ist eben, welche Themen – ich habe eines schon he­rausgenommen – die Menschen besonders interessieren. Interessant ist auch, zu se­hen, welche Themen in diesen Rankings gar nicht so weit oben sind. Eines der wich­tigsten Themen – und das ist an einem Tag wie heute vielleicht auch wichtig zu sagen –, das die Bürgerinnen und Bürger in diesen Foren tatsächlich bewegt, das sie voranbrin­gen wollen, das ihnen wichtig ist, ist die demokratische Grundpositionierung der Europäi­schen Union, dass es Transparenz gibt, dass Korruption bekämpft wird und dass die Rechtsstaatlichkeit hochgehalten wird. Und darauf werden wir genau schauen, denn das wird besonders wichtig sein, auch für Österreich. (Bundesrat Schennach: Wir auch!) – Ja, absolut.

Das Klima, auch interessant, ist ebenso ein Topthema. Ein Thema aber, das in der Politik gerne verwendet wird, um einen Keil in die Europäische Union zu treiben, nämlich die Migrationsfrage, wird innerhalb dieser Zukunftskonferenz von den Bürgerinnen und Bür­gern tatsächlich nicht so hoch eingestuft. Es ist ein wichtiges Thema, aber es hat nicht Toppriorität. Das einmal festzuhalten finde ich auch wichtig. Es gibt manchmal zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Politik unterschiedliche Wahrnehmungen der Wichtig­keit – und das einmal festzustellen ist auch ein Wert.

Wir brauchen bei schwierigen und immer komplizierteren globalen Themen ein starkes Europa, wir brauchen aber vor allem auch ein handlungsfähiges Europa. Kleinstaaterei wird uns in all diesen wichtigen Fragen nicht helfen. Österreich kann nur eine gewichtige globale Rolle innerhalb dieser Europäischen Union haben. Manchmal würde es auch helfen – natürlich, das wird sicher Thema sein –, zu hinterfragen: Wie schaffen wir Mehr­heitsbeschlüsse? Brauchen wir immer – da hat ja Kollege Hübner durchaus recht – alle Staaten, die zustimmen müssen? Kann ein Staat alles verhindern? – Das werden sicher sehr, sehr interessante Fragen sein.

Ich kann dieser Konferenz zur Zukunft Europas alles Gute wünschen, nicht nur für Öster­reich, sondern vor allem für dieses Europa – es ist unser Europa. – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

9.41

Präsident Dr. Peter Raggl: Zu einer ersten Stellungnahme zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt. Ich erteile es ihr. Auch ihre Redezeit soll 10 Minuten nicht überschreiten. – Bitte.