18.46

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Hohes Präsidium! Guten Abend, sehr geehrter Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren, die Sie noch immer via Livestream dabei sind! Ich weiß nicht, wie es Ihnen zu Hause geht, wenn Sie unserer Debatte hier folgen, ich bin fassungslos. Mir fehlen ehrlicherweise gerade ein bisschen die Worte.

Während wir hier sitzen und verschiedene Dinge besprechen, überschlagen sich an­derswo auf der politischen Ebene die Ereignisse. Mitten in dieser Pandemie bröselt uns die Regierung weg. Bei den handelnden Personen wundert es mich ehrlicherweise nicht mehr, dass wir da stehen, wo wir jetzt sind, ich finde aber, dass die Menschen diese Situation nicht verdient haben. (Beifall bei der SPÖ.)

Jetzt, da es eigentlich Stabilität, Orientierung, Verantwortung bräuchte, erleben wir, dass ein System aufgrund von Selbstinszenierungen und unsauberen Machenschaften von Regierungsmitgliedern in sich zusammenbricht, und das in Zeiten so einer Krise. Ich bin wirklich fassungslos.

Herr Minister, nach so viel Aufregung hier im Saal – man spürt noch die Energie – möch­ten wir als SPÖ mit unserer Dringlichen Anfrage heute noch einmal das Thema Bildung in den Fokus rücken, weil uns als SozialdemokratInnen die Bildung schlicht und ergrei­fend enorm am Herzen liegt, wir aber in diesem Bereich so viele Baustellen sehen. Mit dieser Debatte über die Bildung wollen wir einen Beitrag dazu leisten, dass mehr weiter­geht, als es bisher der Fall war.

Wir haben uns ja schon heute Morgen gesehen, und ich habe schon am Beginn unserer Sitzung gesagt: Bildung ist nicht nur Schule. Sie ist natürlich auch Schule, aber sie ist nicht nur Schule. Bildung beginnt bei der Elementarbildung, also bei den Bildungs­ange­boten für die unter Sechsjährigen, unsere Jüngsten, Bildung findet aber auch in der schu­lischen Nachmittagsbetreuung und in den Horten statt. Bildung betrifft natürlich auch die vielen Lehrlinge in unserem Land, die wir so dringend brauchen, und findet in den Be­trieben und in den Berufsschulen statt. Nicht zu vergessen sind die Universitäten und die Fachhochschulen, die Situation unserer Studierenden. Zu guter Letzt soll auch die Erwachsenenbildung, generell die außerschulische Bildung, erwähnt werden, die aus meiner Sicht oft sträflich vernachlässigt wird. All diese Bereiche sind uns ein großes Anliegen, und wir wollen Sie, Herr Minister, mit dieser Dringlichen Anfrage damit konfron­tieren.

Der Druck bei den jungen Menschen, egal, in welchem Bildungsbereich sie aktuell sind, egal, welches Alter sie haben, ist enorm groß. Wir haben heute schon mehrfach darüber gesprochen: Beinahe zwei Jahre Pandemie haben Spuren hinterlassen und ebenso die ständig wechselnden Bedingungen im Alltag dieser jungen Menschen, die große Un­sicherheit, die damit immer einhergeht, das immer wieder In-den-Raum-Stellen von Per­spektiven, die dann nicht halten.

All das hinterlässt Spuren. Die psychische Belastung junger Menschen ist wirklich am Anschlag. Wir haben heute schon von den Psychiatrien gesprochen. Sie alle wissen, was ich meine und wovon ich rede.

Die Kinder und die jungen Menschen spüren auch den Druck und die Belastung ihrer Eltern, die wachsende Armut, von der wir wissen, bei der gleichzeitigen massiven Teue­rungswelle, die wir gerade haben. Und gerade jetzt, in dieser Situation erfahren wir, dass 400 000 Kinder weniger vom Familienbonus profitieren als noch im letzten Jahr. Gerade jetzt, bei der wachsenden Armut und bei dieser Teuerung treten solche Dinge zutage. Kinder sind sensibel und merken, wenn ihre Eltern Sorgen haben und wenn die Eltern leiden. Sie nehmen das in sich auf und tragen das mit, und dieser Druck und diese An­spannung wachsen.

Natürlich, Herr Minister, das ist nicht alles Ihre alleinige Verantwortung. Sie können nichts für dieses Virus, aber Sie sind trotzdem Teil dieser Regierung, die es nicht auf die Reihe bekommen hat, diese Pandemie vorausschauend zu bekämpfen, und jetzt offen­sichtlich daran zerbricht.

Noch einmal möchte ich als Wiener Bundesrätin – ich muss sagen, ich bin zurzeit stolz, Wiener Bundesrätin zu sein – die Stadt Wien und die dort agierenden Politiker loben. Die Entscheidungen, die in den letzten Monaten getroffen wurden, waren unpopulär, es gab viel Gegenwind. Ich muss sagen, auch ich habe mich manchmal, zum Beispiel im Sommer, gefragt: Ist es wirklich notwendig, so streng zu sein? Es hat sich aber gelohnt, diese Konsequenz, dieser konsequente Weg haben sich gelohnt. Beispielsweise ist das Wiener Testsystem mittlerweile beispielgebend für viele Bundesländer, und wir sind jetzt sogar in der Situation, dass wir anderen Bundesländern, in denen die Situation drama­tisch ist, Ressourcen anbieten können. Das macht mich stolz. (Beifall bei der SPÖ.)

Zurück zur Bildung: Ich hätte mir diese Konsequenz, dieses Vorausschauen, dieses strikte Handeln einfach von jedem einzelnen Regierungsmitglied erwartet. Ich habe es heute in der Früh schon gesagt: Dieses Jein für die Schulen hat alles andere als Ruhe in das System gebracht. Wir haben dieses Verabsäumen, Ergänzungsstrukturen aufzu­bauen und die Digitalisierung voranzutreiben, heute schon thematisiert, aber das sind einfach massive Versäumnisse, die wir anprangern müssen.

Ich möchte jetzt den Fokus aber noch einmal auf die Situation unserer Jüngsten lenken, auf unsere Kindergärten. Es muss auch gesagt werden, dass Türkis und Grün es gerade nicht für wert befinden, dass 1 Milliarde Euro in die Hand genommen wird, um in diesem Bereich wirklich spürbare Verbesserungen einzuleiten.

Zur Erklärung für die ZuseherInnen zu Hause: Die Regierungsparteien haben vorgestern einen entsprechenden Antrag von uns SozialdemokratInnen, einerseits zur Verbesse­rung der Arbeitssituation der KollegInnen, aber natürlich auch zum qualitativen und quantita­tiven Ausbau in diesem Bereich, vertagt, das heißt, es nicht für wert befunden, dass da etwas in die Gänge kommt und dass wir gemeinsam etwas Gutes auf den Weg brin­gen. – So viel zum Thema: gemeinsam die Krise bekämpfen. (Beifall bei der SPÖ.)

Die KindergärtnerInnen, die PädagogInnen, die AssistentInnen, die HelferInnen sind aber seit Beginn der Pandemie im Einsatz. Das heißt auch, dass schwangere KollegInnen, die logischerweise freigestellt werden müssen, dass RisikokollegInnen nicht im Dienst sind, dass natürlich auch Quarantänefälle vorkommen, Krankheitsfälle, es gibt Betreu­ungspflichten für ihre eigenen Angehörigen – und das bei einer Personalnot, die schon vor der Pandemie bestand.

Weil ich die Gelegenheit habe, Herr Minister, möchte ich Sie auch auf das Thema Zyto­megalie hinweisen, das spätestens dann, wenn die Pandemie und die Freistellung der Schwangeren wieder vorbei sind, wieder Thema sein wird. Die Zytomegalie ist ein Thema für Pädagoginnen, die mit kleinen Kindern arbeiten, das für die Mütter und das heranwachsende Baby wirklich bedrohlich ist. Ich bitte Sie, sich mit Ihrem Kollegen Kocher und auch der Familienministerin endlich darum zu kümmern, dass es dafür eine Lösung gibt. Das haben sich die schwangeren Frauen mehr als verdient. (Beifall bei der SPÖ.)

Es wundert mich ehrlicherweise nicht, dass diese KollegInnen in der Elementarbildung ihrem Ärger, ihrem Frust, der sich jetzt über Monate aufgestaut hat, auch auf der Straße Luft gemacht haben. Ich bin froh, dass sie es auf der Straße machen und nicht in den Gruppen bei den Kindern, diese KollegInnen – das weiß ich – lieben ihren Job, denn sonst würden sie ihn nicht machen und nicht dort stehen. Sie merken aber, dass sie die Qualität, die sie gerne anbieten würden, nicht anbieten können, weil die Rahmen­bedin­gungen nicht passen – und das muss dringend geändert werden!

Alle Studien, alle Sozialpartner, alle BildungsexpertInnen sind sich einig, dass sich ganz unabhängig von dieser Pandemie jede Investition in die elementare Bildung unserer Kinder mehrfach lohnt – um ein Achtfaches lohnt, laut aktueller Berechnung. Die Regie­rungs­fraktionen lehnen so etwas aber ab. Mir ist das unbegreiflich. (Bundesrätin Schumann: Mir auch!) Ich kann das nicht nachvollziehen.

Noch einmal kurz zu den Schulen: Die LehrerInnen befürworten mehrheitlich das Offen­halten der Schulen, und auch das zeugt von ihrem hohen Verantwortungsbewusstsein. Das ist lobenswert. Auch dort gibt es Personalmangel. Mir hat gerade noch eine Kollegin, eine liebe Freundin, die Pädagogin ist, geschrieben: Vergesst nicht, zu erwähnen, dass die schwangeren Pädagoginnen, die jetzt freigestellt werden, in den Schulen nicht ersetzt werden! Das bestehende Personal, das unter Druck ist, muss auch das Fehlen dieser schwangeren Pädagoginnen, die zum Glück freigestellt werden, ausgleichen. Der Druck wird also immer mehr und die Spirale beschleunigt sich.

Die SchülerInnen wiederum wünschen sich mehrheitlich eine klare Entscheidung. Ich habe es schon mehrfach erwähnt: Ich leite eine Kindergruppe. Jeden Mittwochnach­mittag treffe ich mich mit diesen Kindern, gestern natürlich online, wir können uns nicht real treffen. Ich habe ihnen erzählt: Morgen treffe ich Bildungsminister Faßmann. Was wäre eure Botschaft? Was soll ich ihm sagen? Sie haben ein bisschen diskutiert, aber sie haben im Wesentlichen gemeint: Wir wollen kein Entweder-oder. Wir wollen wissen, wie wir es am besten machen und wie wir es richtig machen. Das zeigt diese Unsicher­heit, dass sie Orientierung brauchen und dass man ihnen in dieser Krisensituation Klar­heit geben sollte.

Ich frage mich, Herr Minister – und das ist eine unserer vielen Fragen –, inwiefern und inwieweit diese Personengruppen, die SchülerInnen, die Lehrenden, die Eltern in diese weitreichenden Entscheidungen im Bildungsbereich eingebunden werden. Ich habe das Gefühl, das passiert auf der Ebene Ihres Ministeriums nicht wirklich, denn alle meine PädagogInnenkollegInnen haben mir gesagt, auch sie haben am Freitagnachmittag davon erfahren, dass am Montag sozusagen diese neue Situation eintreten wird. Das spricht nicht dafür, dass viele Stakeholder und die entsprechenden Gruppen eingebun­den waren.

Vielleicht erinnern Sie sich, Herr Minister, ich habe vor ungefähr einem Jahr hier auch darauf hingewiesen, dass einige SchülerInnen im Laufe dieser Pandemie quasi von der Bildfläche verschwunden sind. Das bedeutet, es gibt oft keinen Kontakt mehr zwischen den Schulen und den Kindern und Jugendlichen, und das macht uns enorme Sorgen. Was ist mit diesen jungen Menschen, von denen wir jetzt nichts mehr wissen, die keine professionellen Bezugspersonen mehr haben? Wie geht es ihnen? Schon damals hätte ich mir gewünscht – und ich warte immer noch darauf –, dass möglicherweise gemein­sam mit der Kinder- und Jugendhilfe auch aufsuchende Angebote entwickelt werden. Wer fragt bei diesen jungen Menschen nach? Wer fragt bei diesen Familien nach: Wie geht es euch? Was könnten die nächsten Schritte sein? (Beifall bei der SPÖ.)

Nicht nur in der Schule fehlen diese jungen Menschen, ich weiß, dass auch in den Kindergärten die Zahl der Abmeldungen mittlerweile enorm zugenommen hat. Man kann jetzt den Kopf in den Sand stecken, aber irgendwann wird uns dieses Thema einholen, zum Beispiel wenn diese Kinder in die Schule eintreten und nicht in den elementaren Einrichtungen gebildet wurden. Es wird im Bildungssystem aufschlagen, und es wird junge Menschen geben, die keinen Schulabschluss haben.

Ich habe das Gefühl, niemand in dieser Regierung zerbricht sich den Kopf so, wie wir ihn uns zerbrechen. Vielleicht irre ich mich, vielleicht haben Sie auch dazu heute Ant­worten für mich.

Auch unsere Lehrlinge haben es sich verdient, dass wir auf sie schauen und dass wir hinschauen. In den Regierungsstatements finden sie kaum Erwähnung, kaum habe ich das Wort Lehrlinge gehört. Es gibt in den Berufsschulen einen speziellen Jahreskreis, einen speziellen Rhythmus, der sich jetzt durch die Lockdowns auch mehrfach verän­dern musste und nicht eingehalten werden konnte. Darunter leiden natürlich die Lehr­linge, aber auch ihr berufliches Fortkommen und schlussendlich auch die Betriebe.

Gerade angesichts unseres Fachkräftemangels müsste man doch genau diese Gruppe hegen und pflegen und sie an der Hand nehmen und sicher durch diese Krise begleiten. Wir fragen uns: Wo sind die zusätzlichen Förderangebote für diese Lehrlinge und in den Berufsschulen? Wie werden diese Defizite je wieder ausgeglichen werden können? Auch dazu haben wir Fragen gestellt.

Jetzt noch zu den Studierenden: Sie tun mir echt leid. Wenn ich an meine Studienzeit zurückdenken darf: Ich hatte das Gefühl, die Welt steht mir offen, endlich bin ich in der großen Stadt. Das war eine schöne Zeit. Ja, ich musste auch arbeiten, um mir das Studium leisten zu können, aber ich war nicht so massiv unter Druck wie die jetzige Studierendengeneration, für die Mindeststudienzeiten gelten, die wirklich knackig sind.

Für viele dieser Studierenden fällt seit Monaten jeglicher Sozialkontakt weg, das Lernen in der Gruppe, das Lernen mit anderen. Das führt natürlich auch zu Einsamkeit und dazu, dass die Motivation zu lernen sinkt. Auch die finanzielle Situation dieser Studierenden ist oftmals wirklich fatal. Die vielen Hilfsjobs in der Gastronomie et cetera sind bei­spielsweise weggefallen. Dieser Druck, gepaart mit der finanziellen Situation, ist ein Nährboden für psychische Belastungen und wird wahrscheinlich auch zu einer massiven Zahl an Studienabbrüchen führen. Auch das können wir nicht sehenden Auges in Kauf nehmen. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich erwähne jetzt noch die Erwachsenenbildung und die Elternbildung, die auch mir so wichtig wären. Viele dieser Angebote mussten jetzt entweder abgesagt oder auf online umgestellt werden. Ich würde mir wünschen, dass es spätestens nach der Pandemie wirklich großzügige Anreizsysteme gibt, große Gutscheinaktionen, Bonuspakete, dass Menschen sich wieder bilden können, sich fortbilden können, die Angebote der Erwach­senenbildung in Anspruch nehmen können. Es braucht das. Wir wissen: Weiterbildun­gen sind relevant, sich selber weiterzuentwickeln ist relevant. Da könnte man schon vor­sorglich Systeme entwickeln und den Menschen Angebote machen, damit diese Dinge wieder in Gang kommen. (Beifall bei der SPÖ.)

Überhaupt stellt sich für mich und wahrscheinlich auch für unsere Zuseherinnen und Zuseher die Frage, Herr Minister: Was wird im Jänner sein? Was wird nach den Weih­nachtsferien sein, die hoffentlich ein bisschen Durchschnaufen bringen? Womit haben die Kindergärten, die Schulen, die Lehrlinge, die Studierenden nach den Weihnachts­ferien zu rechnen?

Wir wünschen uns klare Ansagen aufgrund klarer Entscheidungskriterien, damit man sich darauf einstellen kann, damit man planen kann, damit man eine Orientierung hat. Herr Minister, wir sind jetzt neugierig auf Ihre Antworten. – Herzlichen Dank für die Auf­merksamkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

19.04

Präsident Dr. Peter Raggl: Zur Beantwortung hat sich der Herr Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm dieses. – Bitte.