Dezember vergangenen Jahres hat der deutsche Konfliktforscher Professor Czempiel in einem Artikel in der "Frankfurter Allgemeinen" auf diese Problematik aufmerksam gemacht. Er schrieb: "Das europäische System provozierte immer nur Konflikt-, wenn nicht sogar Kriegsordnungen. Dem 40jährigen kalten Krieg ging der Zweite Weltkrieg voran, der Aggressivität des nationalsozialistischen Deutschlands das Bündesystem, das sich an den Ersten Weltkrieg anschloß. Ihm wiederum war das Bündnissystem Bismarcks und seiner Nachfolger vorgelagert. Selbst die Ordnung des Wiener Kongresses war keine Friedensordnung im modernen Sinn, sondern wurde durch Machtgleichgewichte verwirklicht, die sich in der Regel auf Verteidigungsbündnisse stützten."
Diese Tradition, so Professor Czempiel, meldete sich 1946 zurück und erleichterte den mühelosen Übergang vom Alternativversuch der Vereinten Nationen zu den vertrauten Organisationsformen der Militärallianzen. "NATO und Warschauer Pakt waren ungleich in ihrem internen Charakter. Ihre Potentiale waren asymmetrisch und ungleichgewichtig. Identisch aber waren sie darin, daß sie eine jahrhundertalte Tradition der Gleichgewichtspolitik widerspiegelten: Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor. Dieser Satz ist so falsch, schließt Professor Czempiel, wie er alt ist, bringt aber die vertraute Konzeptionalisierung europäischer Ordnungspolitik auf den Begriff."
Meine Damen und Herren! Österreich muß dem Leitbild einer global orientierten, umfassenden Sicherheits- und Friedenspolitik folgen. Unser strategisches Hauptziel in der EU hat nicht bloß die Bewahrung von nationaler Unabhängigkeit und Sicherheit zu sein, vielmehr liegt es im Aufbau einer gesamteuropäischen Sicherheits- und Friedensordnung. Die Neutralität ist auch als spezifischer Beitrag zur Schaffung eines integrierten Systems kooperativer oder kollektiver Sicherheit zu verstehen.
Ich bin froh darüber, daß sich die Bundesregierung in ihrer Erklärung zu einer aktiven Außenpolitik bekannt hat. Denn eine aktive Außenpolitik ist einer der Faktoren, der wesentlich zur Krisen- und Kriegsvermeidung beitragen kann.
Meine Damen und Herren! Zu einem zweiten Punkt: Was das beabsichtigte Bundesverfassungsgesetz über Kooperation und Solidarität über die Entsendung von Einheiten in das Ausland betrifft, so wurde sofort nach Bekanntwerden der Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen verschiedentlich – hier im Haus von den Grünen – in der Öffentlichkeit der Eindruck zu erwecken versucht, mit diesem Bundesverfassungsgesetz werde die Neutralität Österreichs in irgendeiner Weise relativiert. (Abg. Wabl: Richtig!) Dem ist nicht so, wie aus dem klaren Wortlaut – warten Sie ab, Herr Kollege! – des Übereinkommens hervorgeht. (Abg. Wabl: Wieso?)
Zunächst wird hier auf die volle Mitwirkung an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union verwiesen, wie sie sich bereits aus dem Vertrag von Maastricht ergibt, und wie sie – mittlerweile unbestrittenerweise – mit der Neutralität vereinbar ist.
In weiterer Folge wird ausdrücklich betont, daß diese Mitwirkung im Rahmen der völkerrechtlichen Pflichten Österreichs erfolgt. Und darunter ist zunächst einmal die Neutralität zu verstehen, die durch die Notifizierung gegenüber den anderen Staaten eine von Österreich freiwillig übernommene Pflicht gegenüber der Staatengemeinschaft geworden ist (Abg. Scheibner: Der Außenminister ist da anderer Meinung!) , und zwar auch die Neutralität, aber – dies muß betont werden – nicht nur die Neutralität, denn Österreich hat sich im Rahmen seiner dynamischen Außenpolitik in ein ganzes Geflecht von sicherheitsrelevanten und den Frieden fördernden völkerrechtlichen Pflichten eingeordnet.
Dazu gehört insbesondere das kollektive Sicherheitssystem im Rahmen der UNO, in deren Rahmen alle Staaten – auch neutrale – aufgerufen sind, gemeinsam gegen Friedensbrecher vorzugehen. Schon bisher hat sich Österreich, wie Sie alle wissen, an solchen Friedenseinsätzen beteiligt. Es wird dies auch in Zukunft tun, insbesondere aber auch im Dienste der Sicherheitspolitik der Europäischen Union, soweit diese im Rahmen der kollektiven Friedenssicherung tätig wird.