Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 25. Sitzung / Seite 35

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Ja, ich verstehe das. Wären alle Staaten der Welt Rechtsstaaten, selbst mit allen Mängeln wie der unsrige, so könnte ich Ihrem Gedanken folgen. Aber gerade weil wir wissen, daß Serbien kein Rechtsstaat ist, und weil wir wissen, daß Kroatien kein Rechtsstaat ist, und weil wir wissen, daß Ruanda kein Rechtsstaat ist, deswegen müssen wir mit gutem Beispiel vorangehen und erwarten, daß sich die internationale Staatengemeinschaft durchsetzt. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Dr. Ofner: Man sollte eher schauen, daß sich die Rechtsstaatlichkeit durchsetzt!)

Meine Damen und Herren! Recht ohne Macht ist Illusion und Romantik. Das war bisher die Schwäche der UNO, das war die Schwäche des humanitären Völkerrechtes. Die großen Konventionen der UNO, die Menschenrechtskonventionen der UNO, sind deswegen totes Recht, toter Buchstabe, weil es kein Gericht gibt, vor dem sich der Rechtsbrecher verantworten muß und von dem er eine Sanktion gewärtigen muß. Recht ohne Macht ist Illusion. Macht ohne Recht, meine Damen und Herren, ist Tyrannei. Beides haben wir am Balkan erlebt.

Wir haben die Macht ohne Recht mit den Konzentrationslagern und den Massenmorden erlebt, und wir haben das Recht ohne Macht erlebt, nämlich in Gestalt der Völkergemeinschaft, der UNO, die dieses Massenmorden, diese Greuel nicht verhindern konnte. Daher muß es unsere Zielsetzung sein, dem Recht Zähne zu verleihen, dem Recht zum Durchbruch zu verhelfen, und dafür braucht es vor allem ein Gericht.

Meine Damen und Herren! Hätte es eine mit Waffen bewehrte Völkergemeinschaft gegeben, so hätte der Gewalteinsatz, der militärische Einsatz, der brutale Einsatz in Jugoslawien, hätte der ganze Krieg in Jugoslawien – das serbische Wort dafür ist "rat", das kroatische auch; es zeigt die Aggressivität des Ganzen – vermieden werden können. Die Völkergemeinschaft hätte, wenn sie ihre Machtmittel rechtzeitig eingesetzt hätte, diesen furchtbaren Krieg verhindern können und müssen.

Es blieb das Recht ohne Macht. Man hat sich sehr spät entschlossen, Gewaltmittel einzusetzen. Erst als die UNO die NATO beauftragte und die NATO die Vereinigten Staaten ins Spiel brachte, bekam das Recht Zähne, und der Friedensvertrag von Dayton wurde letztlich geschlossen. Daraus müssen wir lernen!

Auch die individuelle Verantwortung ist angesprochen, meine Damen und Herren. Solange Folterknechte – seien sie in Uniform oder nicht in Uniform – die Gewißheit haben, daß der eigene Staat sie schützt, daß sie nicht zur Verantwortung gezogen werden, wird es immer Folterknechte geben. Weil wir aber keine Folterknechte wollen und weil wir wollen, daß auch präventiv eine abschreckende Wirkung ausgestrahlt wird, stimmen wir von der Volkspartei diesem – und da stimme ich mit Herrn Ofner überein – qualitativ neuen Schritt zu. Wir glauben, daß das im Interesse des Rechtes und im Interesse der Menschlichkeit ist. (Beifall bei der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Peter Handke hat in seinem Buch "Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina" aus seiner Sicht, die ich in vielem nicht teile, in bewegender Weise viele Fragen gestellt. Auf Seite 121 findet sich die folgende Passage: ",Du willst doch nicht auch noch das Massaker von Srebrenica in Frage stellen?‘, sagte dazu S. nach meiner Rückkehr. ,Nein‘, sagte ich, ,aber ich möchte dazu fragen, wie ein solches Massaker denn zu erklären ist. Begangen, so heißt es, unter den Augen der Weltöffentlichkeit und dazu nach über drei Jahren Krieg, wo, sagt man, inzwischen sämtliche Parteien, selbst die Hunde des Krieges, tötensmüde geworden waren, und noch dazu, wie es heißt, als ein organisiertes, systematisches, lang vorgeplantes Hinrichten. Warum solch ein tausendfach Schlachten? Was war der Beweggrund? Wozu?‘" – Das sind die dichterischen Fragen dazu. Wir werden am 3. Juni hier im Parlament den Dichter selbst hören, und ich trete dafür ein, daß wir ihn hören und daß wir uns mit ihm auseinandersetzen.

Ein Beitrag dazu, daß solche Fragen vielleicht eine Antwort bekommen, ist die Beschlußfassung über das heutige Verfassungsgesetz. (Beifall bei der ÖVP.)

10.24

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Schieder. Er hat das Wort.


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