Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 31. Sitzung / Seite 101

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Klinke in die Hand gegeben hat, hat man aus dem Hof alle halben Stunden oder jede Stunde Musik gehört: Irgendwelche einzelnen Personen oder Gruppen haben musiziert und gehofft, Groschenbeträge hinuntergeworfen zu bekommen. – Das war die erste schreckliche Zeit, die die älteren Menschen erlebt haben, die sie durchstehen haben müssen.

Dann ist der Krieg gekommen mit Elend und Tod, für sehr viele mit bleibender Invalidität, für fast alle mit Gefangenschaft, oft weit über die Dauer von zehn Jahren hinaus.

Und dann kam die Nachkriegszeit mit Hunger und Not und Plage, in Ausmaßen, wie jüngere Menschen es sich zum Glück nicht mehr vorstellen können. Niemand kann sich vorstellen, was es in einer Großstadt bedeutet, wenn es nichts zum Heizen – vom Essen rede ich gar nicht –, kein Wasser, kein Gas, keinen Strom, keine Leichenbestattung, keine Müllabfuhr Jahre hindurch gibt, wenn in den Parkanlagen Gräberfelder wie auf Friedhöfen angelegt werden, wenn auf den öffentlichen Plätzen zwei Meter hoch der ohnehin nur spärlich anfallende Müll gestapelt wird – in Wien bis ins Jahr 1948, bis drei Jahre nach dem Krieg –, wenn alle Fensterscheiben kaputt sind und auch im Winter nur mit Papier und Sperrholz und ähnlichem zugenagelt sind, wenn dann endlich – nur stundenweise an manchen Tagen – der Strom kommt, das Wasser kommt und ähnliches mehr.

Man kann sich das alles gar nicht mehr vorstellen, und man könnte stundenlang darüber erzählen, wie das alles war. Aber es hört ja den älteren Menschen bei diesen Dingen niemand mehr zu, und vielleicht ist es gut so, daß die Jüngeren gar nicht wissen wollen, was es alles geben kann.

Wenn daher die Aufbauleistung, die dann unter heute nicht mehr vorstellbaren Bedingungen, mit knurrendem Magen und mit erbärmlichem Werkzeug, hat durchgeführt werden müssen und durchgeführt worden ist, und das mit einer Aufbruchsstimmung sondergleichen, wenn diese nur mit dem einzigen Satz erwähnt wird: "aus einem armen Nachkriegsösterreich ein wohlhabendes Land gemacht", Herr Bundeskanzler, dann sind Ihre Werbeleute schlechte Historiker, schlechte Zeitgeschichtler. Sie haben nur einen winzigen Ausschnitt der Tragödie der älteren Generation zum Gegenstand Ihrer Werbeaussendung gemacht. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ich habe darüber nachgedacht, was man dieser älteren Generation für eine zusätzliche Bezeichnung geben könnte. Ich möchte sie als die "geschundene Generation" bezeichnen, und ich glaube, daß ich mit dieser Bezeichnung nicht weit von den Tatsachen entfernt bin.

Eben diese geschundene Generation wird jetzt ganz besonders durch dieses Paket – aber nicht nur durch dieses Paket – belastet. Und warum geschieht das? Ich unterstelle – und ich warte darauf, daß man mir das Gegenteil beweist –, daß es deshalb geschieht, weil sie über keine wirksame Lobby verfügt. Alle anderen verstehen es, sich entsprechend bemerkbar zu machen. Alle anderen haben jemanden, der für sie auf die Barrikaden steigt. Alle anderen Altersgruppen, Berufsgruppen haben Organisationen, die sich für sie stark machen. Sie haben Medien, die sich ihrer annehmen. – Die armen alten Leute haben nichts!

Sie sind nicht immer finanziell arm. Sie sind zum Glück nicht immer krank. Aber ihrer großen Zahl, ihrer relativ immer größer werdenden Zahl, ihrer Kraft, die sie moralisch verkörpern, steht keine entsprechende politische Bedeutung gegenüber, weil sie es nicht verstehen, sich entsprechend durchzusetzen, und weil ihnen von der anderen Seite nicht entgegengekommen wird.

Ich sehe es als eine Aufgabe eigentlich von uns allen an, den älteren Menschen, ihrer großer Zahl, ihrer schweren persönlichen Schicksalsgeschichte entsprechend auch Bedeutung in der österreichischen politischen Szene zu verschaffen, meine Damen und Herren! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Aber wie geht das alles weiter? Bleibt es dabei, daß man ihnen jetzt einen zusätzlichen Prozentsatz, nämlich 0,25 Prozentpunkte, abknöpft aus dem Titel der Krankenkassensanierung? Ist das eine einmalige Angelegenheit?


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