österreich. Dazu ist schon eines festzustellen: Ich glaube, soviel Naivität hat auch Kollege Pumberger nicht, daß er nicht weiß: Wenn es opportun ist und wenn es in den Ländern einen Wahlkampf gibt, dann absentiert man sich von den anderen. Dasselbe gilt ja auch für Abgeordneten Pawkowicz in Wien; dieser führt ja auch einen Wahlkampf.
Letztendlich traue ich mich auch zu behaupten, daß Wahlkampfauswirkungen auch in dieses Hohe Haus hereingetragen werden und daß viel von Wahlkampftaktik und Wahlkampfgeplänkel hier heute geboten wird.
Der Beginn der heutigen Debatte, Herr Dr. Ofner, hat mich sehr nachdenklich gestimmt, und zwar deswegen, weil Sie den Versuch unternommen haben, in sehr seriöser Art und Weise aufzuzeigen, wie unsere Vorfahren respektive die Älteren unter uns in der Zwischenkriegszeit – wir zum Beispiel gehören dazu – gelebt haben, aufgewachsen sind, was sie mitgemacht haben, unter welcher Voraussetzungen sie dann 1945 in die Zweite Republik eingetreten sind und wieder die Freiheit gefunden haben. Viele, die damals im Kinder- und im Jugendalter waren, haben erlebt, gesehen, was es heißt, in einem sozial nicht abgesicherten Staat zu leben. Bei 1,6 Millionen unselbständig Beschäftigten – jetzt haben wir fast doppelt soviel – hat es 600 000 Arbeitslose gegeben, und diese 600 000 Arbeitslosen waren nach einer gewissen Zeit ausgesteuert. Wenn man heute die Jugend fragt, was "ausgesteuert" heißt, dann wissen sie nichts damit anzufangen. Das heißt, sie sind ohne jedweden Schilling – den Schilling hat es damals schon gegeben – dagestanden.
Man kann sich nicht rückversetzen in diese Zeit, aber man sollte das der Jugend sagen, und wir hoffen, daß sie nicht in die Situation kommen wird, das jemals zu erleben. Wir sollten das, was wir jetzt zu genießen imstande sind, in einem ganz anderen Lichte sehen. Wir müssen einfach die Entwicklungen der letzten Jahre sehen: Wir haben uns von einem Sozialstaat zu einem Wohlfahrtsstaat und zu einer Wohlfahrtsgesellschaft entwickelt. Die Entwicklung dieses Sozialstaates in den letzten 50 Jahren ist von einigen Prämissen ausgegangen, nämlich: Wirtschaftswachstum gibt es immer – Erfahrungen der Zwischenzeit zeigen, das gibt es nicht immer –, ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Beitragszahler und -empfänger – auch das gibt es nicht mehr und wird es nicht immer geben –, der Typ des Betroffenen: der männliche Industriearbeiter, 40 bis 45 Jahre im Betrieb arbeitend und nur 10 bis 15 Jahre in Pension. Das hat sich ja alles verschoben. Es gibt heute eine längere Ausbildung, eine kürzere Arbeitszeit und eine längere Inanspruchnahme der Versorgung im Alter.
Es ist auch von der unbezahlten Frauenarbeit ausgegangen worden, von Frauen als Anhängsel eines Systems, in dem es keinen Anspruch auf soziale Absicherung gegeben hat. Das bitte sind Entwicklungen der letzten 50 Jahre, die wir in Österreich mitgemacht und miterlebt haben, die wir nicht wegdiskutieren wollen und uns nicht wegdiskutieren lassen.
Auch die anderen europäischen Sozialversicherungssysteme haben die gleichen Sorgen wie unsere, nämlich daß es Transferleistungen immer geben wird, aber die Umverteilungswirkung relativ gering ist. Auf den Schilling bezogen macht sie 18 bis 20 Groschen in Deutschland und in Österreich aus, hingegen in Schweden – mit unterschiedlichen Erfahrungen und Ergebnissen – 30 bis 40 Groschen.
Heute haben wir veränderte Rahmenbedingungen, langfristige Wachstumskrisen, demographische Veränderungen, wir haben mit der Migration zu leben, einer steigenden Frauenarbeit und einer steigenden Arbeitslosigkeit. Immer mehr wird verlangt, daß sich der Staat zurückzieht. Es werden Interessen von Arbeitsplatzbesitzern gegen Interessen von Arbeitslosen ausgespielt, und sehr oft kommt es vor, daß man einfach sagt: Wenn du nicht zu diesen Bedingungen bereit bist zu arbeiten – ich habe genug andere an der Hand. Das, was man früher einmal Arbeitslosenreserve genannt hat, wird dann eben herangezogen.
So gibt es Erscheinungen, die, wenn man es scharf ausdrücken möchte, Krisensymptome des Sozialstaates sein könnten, nämlich das Fehlen einer allgemeinen politischen Diskussion über den Sozialstaat. Wir diskutieren meistens nur dann über ihn, wenn es irgendeinen opportunen Anlaß gibt, und sonst nichts; warum Sozialstaat, die Rolle von Bund, Ländern, privaten Initiativen?