Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 37. Sitzung / Seite 56

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12.17

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Herr Präsident! Frau Minister! Herr Minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben ja schon einiges heute über die möglichen Ursachen der Misere auf dem Lehrlingssektor gehört. Ich frage mich: Sind das die wirklichen Gründe? Sind wirklich die Kosten für die Lehrlinge zu hoch? Ist es wirklich das Schutzniveau bei den Lehrlingen, das die Ursache dafür ist, warum so wenig ausgebildet wird? Ist wirklich die lange Ausbildungszeit, die Lehrlinge in der Schule verbringen müssen, die Ursache dafür, daß so wenige Lehrlinge ausgebildet werden, oder liegen die Ursachen nicht viel eher in einem Wirtschaftssystem, das immer kurzatmiger wird, immer mehr auf den schnellen Profit orientiert ist? Liegen die Ursachen nicht auch in einer Wirtschaftspolitik, die dem zu folgen versucht? Liegen die Ursachen nicht auch in einer Bildungspolitik, die nicht mehr innovativ ist, die für die Lehrlinge in einer Sackgasse endet?

Ich erinnere daran, daß Anfang Juli in den "Salzburger Nachrichten" ein längerer Bericht über Lehrlingsausbildung zu lesen war. Da wurde ein Fachmann von ABB, der Personalchef, zitiert, der zum Thema Lehrlingsausbildung gesagt hat: ABB hat Ende der achtziger Jahre einen Lehrlingsstand von 100 gehabt. Vor drei Jahren ist die Lehrwerkstatt in diesem großen Unternehmen in Österreich geschlossen worden. Dann wurde er nach den Gründen gefragt. Darauf sagte der Personalchef, man habe die Frage kurzfristig betriebswirtschaftlich betrachtet und keine langfristigen volkswirtschaftlichen Überlegungen angestellt.

Wohin dieses kurzfristige Denken führt, meine Damen und Herren, illustriert ein anderer Artikel, und zwar in der "Neuen Zürcher Zeitung". Da steht unter dem Titel "Qualifikation wird in den USA zur Mangelware", daß klein- und mittelständische Unternehmen Alarm schlagen, weil das Ausbildungssystem, auch das System beruflicher Bildung in Amerika völlig versagt, weil die Leute, die in die Betriebe kommen, nicht einmal mehr Englisch können – das in Amerika! –, nicht Mathematik können, nicht mehr die grundlegendsten Qualifikationen haben.

Wenn ich das höre und lese, erinnere ich mich dabei daran, daß es in Österreich einen Streit darüber gegeben hat, und zwar bei der Berufsausbildung, ob wir in den Berufsschulen überhaupt den Unterrichtsgegenstand Englisch oder auch Deutsch brauchen, ob das nicht etwas ist, was man am besten vergessen kann.

Meine Damen und Herren! Was wir für die berufliche Bildung in Österreich brauchen, ist die gemeinsame Verantwortung, die gemeinsame Verantwortung von Staat und Unternehmen – und etwas weniger Ideologie auch in diesem Bereich. Wir brauchen die gemeinsame Verantwortung von Staat und Unternehmen, die sich die Kosten der Ausbildung zu teilen haben, und da muß eine klare Rechnung gemacht werden. Staat und Unternehmen haben auch die berufliche Ausbildung zu übernehmen.

Da stellt sich schon die Frage: Übernehmen diese Ausbildung der Staat, die öffentliche Hand, die Länder und die Gemeinden in ausreichendem Maße? Ich würde sagen, daß das nicht der Fall ist. Selbstverständlich gibt es auch im Bereich der öffentlichen Hand genügend Möglichkeiten, Lehrlingsausbildung zu betreiben.

Warum kann es nicht den Sozialversicherungskaufmann geben? Warum kann es nicht den EDV-Lehrling im öffentlichen Bereich, in den Diensten der öffentlichen Hand geben? Warum nicht den Arbeitsvermittler, der das Handwerk von der Pike auf lernt? Warum nicht Medien- und Marketingleute auch im öffentlichen Dienst? Das sind doch alles Fragen, die offen und ernst diskutiert werden müssen.

Selbstverständlich ist es notwendig, daß sich beide, nämlich Staat – also öffentliche Hand – und Unternehmen diese Kosten teilen, daß also ein Lastenausgleich erfolgt. Es kann meiner Ansicht nach nicht so sein, daß man, wenn man über den Lastenausgleich redet, nur den Lastenausgleich im Bereich der Privatwirtschaft meint. Nein, auch die öffentliche Hand, die nicht ausbildet, soll an diesem Lastenausgleich beteiligt werden.

Sinnvoll wäre es meiner Ansicht nach auch, sich zu überlegen, ob bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen – derzeit ist ja ein Bundesvergabegesetz in Diskussion beziehungsweise


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