In der Sache geht es im Rahmen dieses Dringlichen Antrags um einen ganz zentralen Punkt, und deswegen ist es auch wichtig, daß der Bundeskanzler der Republik Österreich dazu Stellung nimmt. Denn aller Voraussicht nach ist heute die letzte Gelegenheit, auch vor einer wichtigen Entscheidung über die weitere österreichische Vertretung in der Europäischen Union der Bevölkerung in einer ganz zentralen Frage Klarheit zu bieten, und zwar einmal mehr in der Frage der Neutralität.
Herr Bundeskanzler! Dieser Dringliche Antrag geht über die Dringliche Anfrage, die wir vor der Sommerpause gestellt haben, noch um einiges hinaus. Wir glauben auch, daß es Anlaß dazu gibt, von Ihnen heute endlich eine Klarstellung zu erhalten, so oder so. Nicht nur wir in diesem Haus haben diesen Anspruch, sondern auch die österreichische Bevölkerung.
Der zentrale Punkt des Dringlichen Antrags bezieht sich darauf, daß wir von Ihnen, Herr Bundeskanzler, verlangen, und zwar für die ganze Bundesregierung verlangen, daß jede Revision des Maastrichter EU-Vertrages, die zu einer weiteren Einbindung Österreichs in die WEU oder gar in die NATO führen wird, ebenso wie ein WEU- oder NATO-Beitritt vor Aufnahme von Beitrittsverhandlungen einer Volksabstimmung zu unterziehen ist. Das heißt, es geht auch um die vorbereitenden Schritte, die Österreich in Richtung einer allfälligen WEU- oder NATO-Mitgliedschaft führen. Daß es dafür gute Gründe gibt, diesen Dringlichen Antrag einzubringen, das erklärt sich nicht nur aus dem Koalitionsübereinkommen, sondern das erklärt sich auch aus Ereignissen vom heurigen Sommer, die unserer Meinung nach mit der österreichischen Neutralität und mit einer aktiven Neutralitätspolitik schon lang nicht mehr im Einklang stehen.
Ich fürchte, Herr Bundeskanzler, es passiert dasselbe wie mit den Versprechungen der Bundesregierung zur Wirtschaftspolitik, zur Sozialpolitik. Auch da habe ich ja noch im Ohr, daß praktisch alle Vertreter der Bundesregierung, Sie miteingeschlossen, damals, vor dem 12. Juni 1994, immer wieder erklärt haben, es wird an den österreichischen Standards nicht gerüttelt. Sie haben sogar eine Garantie abgegeben: ein Plus an Arbeitsplätzen und keine Mehrbelastungen im Weg von Steuern.
Die österreichische Bevölkerung ist heute wie ein gebranntes Kind, denn diese Versprechungen wurden ganz klar nicht eingehalten: Belastungspaket nach Belastungspaket! Mit der Neutralität halten Sie es jetzt allerdings ein bißchen anders. Dort wird nämlich bereits vor einem allfälligen WEU- oder NATO-Beitritt eine Politik der scheibchenweisen Aufgabe der österreichischen Neutralität praktiziert. Es sind keine Ankündigungen mehr, sondern das findet in der Realität statt.
Koalitionsübereinkommen vom 11. März 1996: Es wird das Interesse an einer weiteren Konvergenz bekundet, also an einem Zusammenführen von EU und WEU, und auch, daß Österreich im Rahmen der Regierungskonferenz dafür eintreten wird, daß eine Beteiligung bei den sogenannten Petersberger Aufgaben möglich sein wird. Die Petersberger Aufgaben – darauf komme ich im folgenden noch zu sprechen – beinhalten ganz klar auch offensive Militäroperationen. Da geht es nicht mehr um die Verteidigung, sondern da geht es um die Angriffsbereitschaft.
Weiters, Herr Bundeskanzler, August 1996: 39 österreichische Berufssoldaten nehmen an Manövern im Rahmen der NATO-"Partnership-for-Peace" teil, und es wird dort zum Beispiel geübt, wie man in Dörfern Heckenschützen ausschaltet. Diese Dörfer ähneln etwa südamerikanischen Ortschaften, in denen die USA bereits ganz offensiv ähnliche Einsätze nicht geübt, sondern praktiziert haben.
Herr Bundeskanzler! Die Aufweichung der österreichischen Neutralität oder die potentielle Aufweichung der österreichischen Neutralität geht noch weiter. Im zuständigen Ausschuß des Europäischen Parlamentes wurde ein Bericht verfaßt. Berichterstatter war Herr Leo Tindemans, ein maßgeblicher Vertreter der europäischen militärischen Sicherheitspolitik. Und dieser Bericht findet eine klare Sprache im Zusammenhang mit der österreichischen Neutralität und mit dem Weg für die Zukunft.