Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 38. Sitzung / Seite 145

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Vorwände, die den Befreiungsschein betroffen haben, Vorwände wie: Die Ausländer streiten zuviel, die können das sowieso nicht richtig machen!, und was da noch alles gesagt wurde.

Meine Damen und Herren! Diese Debatte im Rückblick betrachtet – und ich glaube, wenn man noch weiter in die Annalen zurückgehen würde, würde man ähnliche Debatten wiederfinden – macht deutlich, wie man argumentiert, wenn es darum geht, den Ausländern Rechte zu geben, wenn es darum geht, soziale Rechte in Europa zu verwirklichen.

Meine Damen und Herren! Gestern haben wir eine wunderbare Debatte gehabt, und wir alle waren einer Meinung, es gehe darum, soziale Rechte in Europa zu verwirklichen, eine Sozialcharta zu verwirklichen. Ich möchte Sie schon darauf aufmerksam machen, daß das, was Sie hier den Ausländern heute noch immer vorenthalten, in der Sozialcharta des Europarates enthalten ist, in der Sozialcharta der Europäischen Union gewährleistet ist, in den ILO-Verträgen gewährleistet ist und natürlich auch im EU-Vertrag von uns verlangt wird. Nur Österreich kann – als einziges europäisches Land! – hergehen und trotz ratifizierter Verträge, trotz unterschriebener Verträge – wie dem EU-Vertrag – sagen: Das interessiert uns eigentlich nicht, wir haben ja gute Gründe, warum wir trotzdem dagegen sind. – Und das nicht nur Jahre, nachdem diese Verträge ratifiziert worden sind, sondern Jahrzehnte, nachdem sie ratifiziert worden sind.

Ich möchte Sie daran erinnern, daß das ILO-Übereinkommen Nr. 87, das die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes garantiert, in den fünfziger Jahren von diesem Parlament beschlossen wurde. Damals hat natürlich noch niemand daran gedacht, daß das passive Wahlrecht irgendein Problem werden könnte, weil es ja damals keine Gastarbeiter in diesem Sinne gegeben hat. Damals hat man diese Frage für nicht relevant erachtet bei der Prüfung, bei der Ratifizierung. Aber heute, meine Damen und Herren, müßte man – würde Österreich in die Lage versetzt, jetzt noch einmal dieses ILO-Übereinkommen aus 1947 ratifizieren zu müssen – zu dem Ergebnis kommen: Wir können es nicht ratifizieren, weil wir innerstaatlichen Anpassungsbedarf haben.

Das muß man sich einmal vorstellen! Wir haben einen Vertrag, einen gültigen Vertrag aus 1947, veröffentlicht im Bundesgesetzblatt von 1950, und eigentlich ist die Vertragsgrundlage nach wie vor, 45 Jahre danach, von Österreich noch immer nicht erfüllt! Ich halte das eigentlich für unanständig, wie Österreich mit seinen Verträgen umgeht.

Es gibt aber nicht nur diesen ILO-Vertrag. Es gibt auch noch andere Verträge: Ich erinnere nur an einen Vertrag, den wir im Vorjahr – oder vor eineinhalb Jahren – beschlossen haben, an den Beitrittsvertrag zur EU. Auch der würde von uns verlangen, daß wir zumindest den türkischen Staatsangehörigen, die in unserem Land tätig sind – zumindest ihnen, weil wir ja auch das entsprechende Assoziationsabkommen mit der Türkei geschlossen haben –, das passive Wahlrecht garantieren, genauso garantieren, wie wir es allen EU-Bürgern und EWR-Bürgern in diesem Land garantieren müßten.

Bei den EU-Bürgern und EWR-Bürgern – ich erinnere an die Debatte von 1994 – hat es damals im Parlament geheißen: Das stimmt schon, wir sind ja ohnehin dafür, und natürlich ist ihnen auch das passive Wahlrecht garantiert. Wir schreiben es nicht extra ins Gesetz hinein, aber selbstverständlich gilt es. Wir wollen nur – wie es im Volksmund heißt – keine schlafenden Hunde aufwecken. Wenn wir das ins Gesetz hineinnehmen würden, wenn wir da eine Gesetzesänderung machen würden, dann könnte ja irgend jemand daherkommen und das für andere auch noch fordern. (Präsident Dr. Neisser übernimmt den Vorsitz.)

Meine Damen und Herren! Das ist unseriös! Es ist unseriös, wie sich Österreich und Sie als Regierungsparteien um die Behandlung, um die Erfüllung von internationalen Verträgen, um die Erfüllung des EU-Vertrages in dieser Frage, um die Erfüllung des Assoziationsabkommens mit der Türkei herumdrücken.

Es ist nicht viel mehr dazu zu sagen. Es ist ein Menschenrecht, das Sie diesen Menschen, die hier in diesem Land arbeiten, vorenthalten. Es gibt keinen Grund hierfür. Es werden keine Hoheitsrechte Österreichs dadurch verletzt, daß wir ihnen das passive Wahlrecht für die Arbeiterkammerwahl und für die Betriebsratswahl zugestehen. Es sind keine Hoheitsrechte dadurch


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