Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 40. Sitzung / Seite 120

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Wir gehen nunmehr in die Tagesordnung ein.

Als erster Redner hat sich Herr Abgeordneter Nürnberger zu Wort gemeldet. – Ich erteile es ihm.

18.40

Abgeordneter Rudolf Nürnberger (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich kurz einige Bemerkungen zur Novelle des Arbeitsverfassungsgesetzes und zu dessen wichtigstem Punkt, die Einführung Europäischer Betriebsräte, machen.

Seit den frühen siebziger Jahren diskutieren die Mitgliedstaaten der Europäischen Union über Euro-Betriebsräte und konnten sich erst 1994 auf eine gemeinsame Richtlinie einigen. Jetzt – wieder zwei Jahre später – tritt sie in Kraft und wird von einzelnen Ländern ins nationale Recht umgesetzt. Belgien, Finnland, Schweden, Irland, Deutschland und Dänemark haben das schon erledigt, und heute sind wir aufgerufen, diese gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Immerhin werden rund 30 österreichische Großbetriebe und an die 200 Niederlassungen ausländischer Unternehmungen davon betroffen sein. Die langen, teilweise zähen Verhandlungen zeigen sehr gut, wie weit wir tatsächlich noch von einem sozialen Europa, von einem gemeinsamen Europa der Arbeitnehmer entfernt sind, wie schleppend die Verwirklichung vorangeht. Trotzdem ist gerade diese Richtlinie 94/45 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrates ein weiterer kleiner Schritt in die richtige Richtung, ein Schritt, der nicht zuletzt in Zeiten zunehmender Globalisierung und grenzüberschreitender Multis dringend notwendig war.

Bestes Beispiel hiefür ist sicherlich Semperit-Traiskirchen. Was hier vor sich geht, wie verantwortungslos die deutsche Konzernleitung trotz Rekordgewinnen und Megadividenden mit Arbeitsplätzen umgeht, wie brutal sie die einzelnen Standorte gegeneinander ausspielt, zeigt sehr gut, daß es dafür nur eine Gegenstrategie gibt: die internationale Zusammenarbeit der Arbeitnehmer.

Gefordert sind da in erster Linie natürlich die Betriebsräte. Sie müssen lernen, nicht nur an ihren eigenen Standort zu denken. Sie müssen erkennen, daß sie Teil eines größeren europäischen Ganzen sind, wo es nichts hilft, den Kopf einzuziehen und froh darüber zu sein, daß es einen nicht erwischt hat, sondern den anderen, denn morgen schon könnte man selbst an der Reihe sein. Notwendig ist da sicher eine neue Kultur zur Zusammenarbeit, und zwar sowohl zwischen den Betriebsräten untereinander als auch zwischen Sozialpartnern auf Konzernebene.

Bei Conti scheinen die Betriebsräte das schon begriffen zu haben. Das Europaforum der Betriebsräte hat bei seiner jüngsten Europatagung eine Resolution beschlossen, in der die Betriebsräte aus ganz Europa den Vorstand vor dem hohen Risiko bei Auslandsaktivitäten warnen. Sie drücken dabei ihre Sorge über die Unternehmenspolitik aus, die darauf ausgerichtet ist, zu Lasten der meisten europäischen Standorte weltweit in Ländern mit niedrigen Lohnkosten zu produzieren.

Genau das ist es, wozu Euro-Betriebsräte da sind: solidarische Vorgangsweise im Sinne aller europäischen Arbeitnehmer. Trotzdem ist festzuhalten, daß die vorliegende EU-Richtlinie bei weitem noch nicht genügt und daß vieles noch vor uns liegt, wollen wir das europäische Sozial- und Gesellschaftsmodell mit all seinen sozialen Grundwerten tatsächlich verwirklichen und so einen humanen Ausgleich zum Binnenmarktmodell schaffen.

Zweifellos ist das Anhörungs- und Informationsrecht für Arbeitnehmer als wichtiger sozialpolitischer Fortschritt und als Erfolg der europäischen Gewerkschaftsbewegung zu werten, die in den letzten Jahren großen Druck gemacht hat. Die logische Konsequenz kann aber nur sein, daß Europäischen Betriebsräten auch Mitbestimmungsrechte zugestanden werden. Gerade bei langfristigen strategischen Konzernentscheidungen ist das besonders wichtig.


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