Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 51. Sitzung / Seite 93

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die Zahlen erheben lassen, nicht einmal die Grundlagen dafür liefern, sich auf einer einigermaßen seriösen Ebene mit dem Thema "Armut in Österreich" auseinanderzusetzen.

Sie tragen die Verantwortung dafür, daß es keine Zahlen betreffend Armut gibt, daß es keine Armutsbeobachtung gibt und dementsprechend auch keine Armutspolitik. Weder in der Koalitionsvereinbarung der Regierungsparteien noch in der Regierungserklärung von 1996 hat das Thema "Armut" eine Rolle gespielt. Es kommt nicht einmal vor. Auch in den vorherigen Regierungserklärungen und Koalitionsvereinbarungen war Armut kein Gegenstand, Armut existiert offensichtlich für die Regierungspolitik und für die offizielle Politik in diesem Land nicht.

Joachim Riedl schreibt in einem Kommentar zur Bettelverordnung in der "WirtschaftsWoche" vom 5. Dezember 1996: Armut ist ein sozialer Schmerz, ein Alarmsignal, das den gesellschaftlichen Organismus daran erinnert, daß er nicht unverwundbar ist. – Zitatende.

Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Wenn dieser Schmerz wirksam werden soll, dann müssen Sie ihm zum Durchbruch verhelfen. Sie tragen mit dafür die Verantwortung, daß die Armut in diesem Land privatisiert wurde, daß sie als das Schicksal von einzelnen begriffen wird, die selbst die Verantwortung dafür tragen.

Herr Bundeskanzler! Ich halte es nicht für sinnvoll, wenn Sie als Regierungsvertreter zum Thema "Armut" nichts unternehmen und Ihre Frau dafür Charity-Veranstaltungen organisiert. Das ist zuwenig. Wenn man sich ernsthaft mit dem Thema "Armut" auseinandersetzen will, nützt es wenig, es auf die Spendenebene abzuschieben, so ehrenwert es auch in Einzelfällen ist zu spenden. Wir verlangen eine Regierungsverantwortung gegenüber der Armut in diesem Land. Wir verlangen eine Regierungspolitik zur Bekämpfung der Armut in diesem Land. (Beifall bei den Grünen.)

Herr Bundeskanzler! Ich bringe Ihnen ein Beispiel – ich zeige Ihnen das dann noch, ich möchte es aber zunächst hier den Damen und Herren im Hohen Haus zeigen –, was es heißt, heute in diesem Land arm zu sein, weil man arbeitslos ist. (Der Redner zeigt dem Plenum eine Tafel, auf der die Tagsätze eines Notstandshilfebeziehers in Österreich angeführt sind. – Abg. Dr. Haider: Es hat lange gebraucht, aber jetzt hat er’s!)

Es handelt sich um einen Herrn aus Wien, der Bauer war, dann Kaufmann war und sich im zweiten Bildungsweg fortgebildet hat. (Abg. Dr. Haider: Kollege, also daß du mich kopierst! Der Kollege auf meinen Spuren!) – Kein Problem Herr Haider. Er war als Managementberater tätig, hat 20 Jahre gearbeitet und ist inzwischen über 50 Jahre alt. – Und seit 1. Jänner 1991 ist er arbeitslos.

Er hat mit einem Arbeitslosengeld-Tagsatz von 384 S begonnen. Inzwischen erhält er dank der Sparpakete, die Sie, meine Damen und Herren, hier beschlossen haben, einen Tagsatz von 262 S. Da ist nicht nur die Preissteigerung der folgenden Jahre an ihm spurlos vorübergegangen, da ist auch alles Leben an ihm spurlos vorübergegangen. Nicht nur, daß dieser Mann – und er ist kein Einzelfall – kein Geld hat, um in diesem Land menschenwürdig zu leben, er hat auch keinen Job, und es gibt offensichtlich niemanden, der sich um die Verantwortung des Staates, des Bundes gegenüber diesen Armen, gegenüber Arbeitslosen kümmern will.

Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler! Können Sie mir sagen, wie man mit 262 S Tagsatz Notstandshilfe in diesem Land nicht nur überleben soll, sondern sich auch tatsächlich aktiv in diese Gesellschaft einbringen soll?

Herr Maderthaner ist der Meinung, diese Notstandshilfe von 262 S soll weiter gesenkt werden. Frau Reitsamer hat ihm in einer Aussendung zu Recht entgegengehalten, daß das von einer erschreckenden Menschenverachtung zeugt, wenn Maderthaner die Kürzung der Notstandshilfe vorschlägt, wissend, daß damit Menschen unter das Existenzminimum gebracht werden. Was Frau Reitsamer nicht erwähnt hat, ist die Tatsache, daß es diese Bundesregierung war, die die Notstandshilfe zuvor schon für viele auf ein unerträgliches Minimum abgesenkt hat.


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