Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 51. Sitzung / Seite 92

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Meine Damen und Herren! Das stammt nicht von mir, sondern das hat Otto Bauer im Parlament anläßlich einer Dringlichen Anfrage zum Thema Arbeitslosigkeit im Jahr 1930 gesagt. Damals hat Otto Bauer, der Führer der Sozialdemokratischen Partei, eine Zahl von 300 000 Arbeitslosen als erschreckend für dieses Land bezeichnet. Ich brauche Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, nicht daran zu erinnern, was damals die Konsequenz dieser Entwicklung war.

Ich zitiere Otto Bauer weiter: "Es ist höchste Zeit, daß diese anderen Fragen verschwinden und wir uns auf die eine Frage konzentrieren, wie wir die Flut der Arbeitslosigkeit eindämmen können. Ich staune über den Mut, den diejenigen aufbringen, die eine Zeit so außerordentlichen Massenelends zu nichts anderem auszunutzen wissen, als zu einer Agitation, für eine Verschlechterung und Einengung der Arbeitslosenversicherung." – Zitatende.

Meine Damen und Herren! Da sind wir genau am Punkt. Was gerade Sie von der Sozialdemokratischen Partei in den letzten Monaten gemacht haben, war nichts anderes, als diese Verschlechterung im Bereich der Arbeitslosenversicherung hervorzurufen und weiterzuführen.

Armut in Österreich, das ist nicht nur Arbeitslosigkeit und ihre Folgen, das sind nicht nur die Sparpakete. Armut in Österreich betrifft sehr oft Familien mit Kindern. Armut in Österreich, das bedeutet nicht verhungernde Kinder und Massenelend. Armut in Österreich ist versteckt, gerade weil wir ein reiches Land sind und weil Armut in einem reichen Land viel entwürdigender als in einem armen Land ist.

Meine Damen und Herren! Ohne die Armen, die Sie jetzt mit polizeilichen Verordnungen wegsperren wollen, hätte diese Republik nach 1945 nicht aufgebaut werden können, denn damals war jeder in Österreich arm.

Armut hat hier wie anderswo ein Geschlecht: Es ist das weibliche Geschlecht, das viel mehr von Armut betroffen ist als das männliche. Armut hat auch ein Alter: Es sind die Alten mehr betroffen als die Jüngeren. Armut hat auch ein ethnisches Gesicht: Es sind die Ausländer in diesem Land, die mehr unter Armut leiden, auch wenn viele Österreicher auch darunter leiden.

Armut hat auch eine Behinderung: Es sind die Behinderten, die Pflegebedürftigen, die trotz der Pflegegeldleistungen in vielen Fällen am Existenzminimum leben müssen. Armut hat auch einen Ort, an dem sie stattfindet, nämlich den ländlichen Raum. Am Land ist Armut ein noch viel größerer Makel als in der Stadt.

Armut heißt aber oft auch, kein Dach über dem Kopf zu haben. Es gibt zigtausend Obdachlose, es gibt jedoch niemanden, keine offizielle Stelle, keine Regierungsstelle, keine Landesstelle, keine kommunale Stelle, die die Obdachlosen in diesem Land überhaupt erhebt und etwas tut, um Obdachlosigkeit zu verhindern, meine Damen und Herren!

Armut hat Kinder. Es sind vielfach die kinderreichen Familien oder die Alleinerziehenden mit Kindern, die armutsgefährdet sind. Armut kennt auch keine Grenzen. Ein mittleres Einkommen schützt in vielen Fällen nicht mehr vor Armut, gerade dann, wenn man viele Kinder zu ernähren hat.

Armut ist in diesem Land auch vererbbar, nach wie vor. Wer arm auf die Welt kommt, hat eine wesentlich höhere Chance, auch arm zu bleiben.

Meine Damen und Herren! Armut hat aber auch ein Gegenüber: den Reichtum in diesem Land. Sowenig, wie man in diesem Land über Armut spricht, so wenig ist man auch bereit, über den Reichtum in diesem Land zu sprechen. Sie finden in der Dringlichen Anfrage ein Zitat des damaligen Finanzministers Lacina. Er sagt: Man zählt in diesem Land jeden Obstbaum, aber den Reichtum in diesem Land, den erfaßt man nicht. Da gibt es politische Widerstände. – Das hat damals der Finanzminister dieser Republik gesagt und darauf hingewiesen, daß es schwierig ist, überhaupt Aussagen über den Reichtum in diesem Land zu treffen.

Herr Bundeskanzler! Das Schlimmste aber ist, daß Armut in diesem Land unsichtbar bleibt, weil Sie als Regierungsmitglied nichts dafür tun, die Armut sichtbar zu machen, weil Sie nicht einmal


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