Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 51. Sitzung / Seite 91

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Was müssen sich Leute in diesem Land denken, wenn ein katholischer Bischof erklärt – es ist Bischof Krenn –: "Es könnte sein" – so Krenn –, "daß jeder Aufschrei über wachsende Armut übertrieben ist. Wie halt jeder, der eine gute Ernte braucht, jammert, wenn es regnet und trotzdem eine gute Ernte einfährt, so ist auch der soziale Jammer manchmal ein Stück Politik."

Ich weiß, das ist nicht die Aussage der Katholischen Kirche. Gott sei Dank gibt es auch in der Katholischen Kirche genügend – mehr als in anderen Organisationen – Kräfte, die das Thema Armut zum Gegenstand ihrer Überlegungen und Forderungen machen. (Beifall bei den Grünen.)

Meine Damen und Herren! Eine Frage: Können Sie sich, können wir uns vorstellen, was Armut für diese Personengruppen in Österreich bedeutet? – Kein Mensch in diesem Hohen Haus ist von Armut betroffen. Keiner hat mit dem Problem an sich zu tun, und ich denke, auch Ihre Familien und unsere Familien zum Großteil nicht. Deshalb ist es schwierig, über dieses Thema hier im Parlament zu sprechen, aber es ist notwendig. Es ist notwendig, weil noch nie darüber gesprochen wurde, und es ist deswegen notwendig, weil diese Armut zunimmt.

Meine Damen und Herren! Es gibt viele Themen, bei denen wir uns, bei denen Sie sich kompetent fühlen. Wie schaut es aus beim Thema Armut? – Auch deshalb haben wir diese Debatte gemacht, damit diese Armut hier in diesem Hohen Haus ein bißchen spürbar wird, damit man wenigstens ein bißchen darüber redet. Haben Sie eine Ahnung davon, wie entwürdigend es ist, sich am Sozialamt um eine Geldleistung anstellen zu müssen? – Ich habe eine Ahnung. Ich habe mir die Sozialämter auch angesehen, meine Damen und Herren! Ich weiß es. Es gibt in den meisten Sozialämtern nicht einmal Sitzgelegenheiten für die Kunden. So schaut die Realität in den Sozialämtern aus!

Wissen Sie, wie deprimierend es ist, aus einer Wohnung vertrieben zu werden? Wissen Sie das? – Es gibt allein in Wien, im Bezirk Brigittenau im Unterschied zum vorigen Jahr – das ist nur eine Zahl von 1996 –, wo es über das ganze Jahr 300 Delogierungen gegeben hat, schon nach sechs Monaten 300 Delogierungen. Und man rechnet, daß die Zahl der Delogierungen allein in einem Wiener Bezirk 400 bis 500 ausmachen wird.

Wissen Sie, wie es ist, wenn man delogiert wird? (Zwischenruf des Abg. Großruck. ) Ich weiß es. (Abg. Großruck: Sind Sie delogiert worden?) Das beantworte ich Ihnen.

Wissen Sie, was es für eine alleinerziehende Mutter heißt, wenn ihr Kind nicht am Schikurs teilnehmen kann oder an einer Landschulwoche, weil der Mutter, den Eltern das Geld fehlt?

Wissen Sie aber auch, was es heißt, wenn das Kind trotzdem teilnimmt, weil die Mutter dem Kind die Schande ersparen will, nicht teilnehmen zu dürfen? Wissen Sie, was das für eine Belastung für diese Frauen, diese Personen, diese Eltern ist? Haben Sie eine Ahnung, was die Schule trotz Gratisbüchern und Schulfreifahrt für die Eltern, für arme Eltern kostet? Haben Sie eine Ahnung davon, wie hoch die Belastungen sind, was es heißt, hier in Österreich mit 7 000 S, 8 000 S oder 9 000 S leben zu müssen? – Ich verstehe Ihre Erregung nicht ganz. Herr Kollege, warum sind Sie so erregt, wenn man dieses Thema anspricht? (Zwischenruf des Abg. Großruck. )

Wissen Sie, was es heißt, auf Sozialhilfe, auf Wohnungsbeihilfe angewiesen zu sein, auch wenn man arbeitet? Wissen Sie, was es bedeutet, seit Jahren einen Job zu suchen?

"Hohes Haus! Seit geraumer Zeit steht die ganze Öffentlichkeit unter dem Eindruck des erschreckenden Wachstums der Arbeitslosigkeit. Wir haben derzeit in Österreich ungefähr 300 000 Arbeitslose, mehr als wir jemals in den schlimmsten Zeiten gehabt haben.

Hohes Haus! Es ist sehr leicht, solche Zahlen anzuführen. Es ist menschenunmöglich, sich vorzustellen, wieviel menschliches Leid sich in diesen Zahlen birgt. Es ist unmöglich, sich auszumalen, welche Gefahren für die Gesundheit und für die Arbeitskraft Hunderttausender Erwachsener und für die Gesundheit und für die Zukunft von Hunderttausenden Kindern in diesen Zahlen stecken!"


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