Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 51. Sitzung / Seite 90

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Geschäftsordnung die Redezeit für die Begründung nicht länger als 20 Minuten sein darf. – Bitte, Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.

15.01

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn das Betteln und damit die Armut von den Straßen mit polizeilichen Mitteln entfernt werden soll, dann ist es höchste Zeit, hier im Hohen Haus dringlich eine Debatte über die Armut in Österreich zu führen.

Herr Bundeskanzler! Es ist höchste Zeit, die Armut hier in dieses Hohe Haus hereinzulassen, wo sie noch nie war. Wir hatten noch nie ein Debatte über Armut in Österreich. Es war noch nie Gegenstand einer ausführlichen parlamentarischen Behandlung, hier in diesem Hohen Haus über Armut in Österreich zu sprechen.

Meine Damen und Herren! Dringlich ist die Debatte nicht nur wegen des Vorfalls mit der Bettelei in Graz. Dieser Vorfall in Graz kann jederzeit woanders in Österreich passieren. Meine Damen und Herren! Und das passiert auch, weil viele jetzt den Mut gefaßt haben, anders mit Bettlern umzugehen.

Dringlich ist die Debatte nicht nur deswegen, weil gestern der Tag der Menschenrechte war, weil das Jahr der Armutsbekämpfung der UNO gerade zu Ende geht, ohne daß Österreich in diesem Jahr der Armutsbekämpfung irgendeine Maßnahme gesetzt hätte.

Dringlich ist die Debatte auch deswegen, weil eine EU-Regierungskonferenz vor uns steht und Österreich in seiner Stellungnahme für diese Regierungskonferenz keine sozialpolitischen Forderungen erhoben hat und das Thema Armut daher auch offensichtlich von österreichischer Seite nicht zur Debatte steht.

Dringlich ist die Debatte aber auch deswegen, weil wir in Europa derzeit an die 50 Millionen armutsgefährdete Menschen haben, und einige Hunderttausende sind auch hier in Österreich zu Hause.

Dringlich ist die Debatte aber vor allem deshalb, weil die Regierung, die Koalition, in diesem Jahr nicht die Armut bekämpft hat, nicht die Arbeitslosigkeit bekämpft hat, sondern die Armen und die Arbeitslosen. Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, haben Belastungen produziert, die Menschen in diesem Land arm machen.

Ich erinnere dabei an die Kürzung der Familienbeihilfen und ihre Nicht-Valorisierung, an die Streichung der Geburtenbeihilfe, die Kürzung des Karenzgeldes und seine Nicht-Valorisierung, die Streichung der Familienbeihilfen für im Ausland lebende Kinder, sprich für die Kinder von Gastarbeitern, die radikale Kürzung der Notstandshilfe, die Nicht-Valorisierung von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe, die Streichungen bei der Schülerfreifahrt und bei der Heimfahrtsbeihilfe, die Leistungseinschränkungen im Rahmen der Sozialhilfe, die Tarif- und Preiserhöhungen in diesem Jahr und zu Beginn des nächsten Jahres.

Zwei Beispiele: Das eine betrifft die Kostenexplosion bei den Mieten und bei den Betriebskosten. Das zweite Beispiel betrifft eine Maßnahme, die im Bereich der ÖBB gesetzt wurde, als der Preis für die Seniorenkarte um 33 Prozent hinaufgesetzt wurde, von 260 S auf 350 S.

Das mag Ihnen, meine Damen und Herren hier in diesem Hohen Haus, nicht viel vorkommen, aber für Menschen, die arm sind – es gibt deren genug in Österreich –, ist das viel Geld.

Jede einzelne dieser Maßnahmen bedeutet für Menschen mit niedrigem Einkommen Belastung, Kampf um die Existenz für die nächsten Wochen, für die nächsten Tage, weil man es sich richten muß, daß man diese Schillinge, die zusätzlich anfallen, irgendwo herbekommt.

Was müssen diese Leute denken, meine Damen und Herren, wenn der Vizekanzler dieser Bundesregierung in dieser Situation erklärt: "Ich erteile den linken Belastungsüberlegungen eine Absage."?


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