Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 51. Sitzung / Seite 95

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Zwei Studien sind in diesem Zusammenhang zu zitieren: der auch in Ihrer Anfragebegründung zitierte Forschungsbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales "Von Ausgrenzung bedroht" und der angesprochene Verteilungsbericht des Instituts für Wirtschaftsforschung.

Armut wird in der Regel als das Unterschreiten eines Schwellenwertes definiert, der in einer Gesellschaft als minimaler Lebensstandard akzeptiert ist. Das Problem der Armut manifestiert sich in allen Lebensbereichen: beim Wohnen, bei der Arbeit, der Gesundheit, bei der Bildung, beim Einkommen, im sozialen Verhalten und damit bei den Möglichkeiten der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.

In der Regel wird die Armutsschwelle bei 50 Prozent der durchschnittlichen Verbrauchsausgaben angesiedelt. Ich glaube allerdings, zur Aufnahme einer wirklichen Diskussion wird es nicht ausreichen, die Definitionen, Indikatoren und Globalzahlen heranzuziehen, sondern ich glaube, die Analyse muß tiefer gehen und sich mit den bedrohten Gruppen auseinandersetzen. Aus meiner Sicht sind das die kinderreichen Arbeiter- und Bauernhaushalte, bei denen nur eine Person im Erwerbsleben steht, sind das Pensionistenhaushalte, die dann besonders gefährdet sind, wenn die Haushaltsvorstände in ihrem Erwerbsleben Hilfsarbeiter waren, angelernte Arbeiter, Bauern oder wenn Sie gewerblich tätig waren.

Die Analyse zeigt weiters, daß in den besonders bedrohten Gruppen auch alleinerziehende Frauen enthalten sind, die ein überdurchschnittliches Einkommensrisiko aufweisen. Wenn ich von Risiko spreche, dann meine ich, daß sie, solange sie das Einkommen beziehen, zwar nicht arm sind, jedoch ebenso armutsgefährdet sind wie Haushalte, deren Hauptverdiener arbeitslos wird.

Meine Damen und Herren! Darüber hinaus zeigen die Analysen auch auf, daß kaum eine armutsgefährdete Person einen über die Pflichtschule hinausgehenden Schulabschluß aufweist. Außerdem ist generell festzustellen, daß die Berufstätigkeit beider Partner in Familien das Verarmungsrisiko erheblich reduziert.

Meine Damen und Herren! Gleichzeitig ist festzuhalten, daß sich die Wohlstands- und Ausstattungsstandards in Österreich in den siebziger und achtziger Jahren erheblich verbessert haben und sich das Gesicht der Armut gewandelt hat – ich betone: das Gesicht der Armut, nicht die Armut selbst.

Zwei Zahlen in diesem Zusammenhang: 1971 haben 7 Prozent der armen Haushalte in Wien über ein Fernsehgerät und 34 Prozent über einen Telefonanschluß verfügt. Ende der achtziger Jahre verfügten 92 Prozent über ein Fernsehgerät und 79 Prozent über einen Telefonanschluß. (Abg. Dr. Krüger: Im Ostblock haben sie auch die höchsten Anschlußziffern!) – Sie haben schon recht, ich sage das auch gar nicht als Beschwichtigung, ich sage das nur, um meine Feststellung zu unterstreichen, daß sich das Gesicht der Armut geändert hat, die Armut an sich jedoch nicht verschwunden ist. – Ganz im Gegenteil: Ich meine, daß dieser gestiegene beziehungsweise vermeintlich gestiegene Lebensstandard die Gefahr sozialer Ausgrenzung in sich birgt, eine erheblich geringere Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, Freizeit, Sport, Kultur, Bildung, Urlaubsreisen et cetera mit sich bringt. Aus all diesen Gründen ist auch bei einem anderen Armutsbild die Problematik aus politischen ebenso wie aus humanitären Motiven nicht zu verharmlosen, sondern ernst zu nehmen. (Beifall bei der SPÖ.)

Was also sind die Schlußfolgerungen, meine Damen und Herren? – Die auf Studien basierende Feststellung, daß, ganz egal, welche Methode angewandt wird, Arbeitslose und Personen mit eingeschränkten Arbeits- und Verdienstchancen armutsgefährdet sind, ist entscheidend für die wirksamen Strategien zur Bekämpfung der Armut. Das heißt, sie ist in allererster Linie durch wirtschaftspolitische, arbeitsmarktpolitische und bildungspolitische Aktivitäten zu bekämpfen. Zentrale Aufgabe ist es dabei, die Arbeitsmarktchancen insgesamt und insbesondere bei den sozial benachteiligten Gruppen zu verbessern.

Hohes Haus! Mit anderen Worten: Wenn es gelingt – das ist in Wirklichkeit unser Bestreben –, bestehende, qualitativ hochwertige Arbeitsplätze zu sichern und solche qualitativ hochwertigen Arbeitsplätze neu zu schaffen, um damit mehr Menschen den Zugang zu ausreichend entlohn


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