Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 51. Sitzung / Seite 109

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unserer Gesellschaft geben kann, das nicht auskömmlich in seiner Existenz abgesichert ist, und wenn dann als einzige Antwort von der konservativen Seite zurückkommt, daß das die falsche Familienpolitik sei, obwohl wir immer wieder sagen, es gehe hier darum, einmal am Beispiel Kind zu zeigen, daß es möglich ist, das Versprechen einzulösen, niemanden im Stich zu lassen, dann macht mich das einfach traurig, weil ich meine, Armut ist nicht nur ein mitmenschliches, sondern auch ein wirtschaftliches Phänomen.

Wenn diejenigen, die diesen Argumenten nicht folgen können, beispielsweise nicht bemerken, daß sie sich ihre eigenen Märkte zerstören, wenn sie die Massenkaufkraft derer, die zunehmend ärmer werden, vernichten, dann sind sie eben sozial und im eigentlichen Sinne unintelligent. Ich meine, es ist wichtig, sich diesen Ansatz in Erinnerung zu rufen, denn nur mit der Sonntagsrede, nur mit der Predigt und nur mit der Nächstenliebe werden wir dieses Problem nicht lösen können.

Wir werden dieses Problem nur lösen können, wenn wir die Aufeinander-Angewiesenheit ernsthaft in den Mittelpunkt stellen, aber nicht dann, wenn etwas nicht funktioniert, die Schuld immer nur bei den anderen suchen. – Danke schön. (Beifall beim Liberalen Forum.)

16.30

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Van der Bellen. Er hat das Wort.

16.30

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (Grüne): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Meine Damen und Herren! Ob die Sozialdemokratie das neue Phänomen Armut wirklich zur Kenntnis genommen hat, bin ich mir noch nicht so sicher. Warum bin ich mir noch nicht so sicher? – Es besteht Übereinstimmung in verschiedenen Punkten der Diagnose, daß es bestimmte Gruppen sind, die besonders betroffen sind: alleinerziehende Frauen – sie wurden schon genannt –, bestimmte Pensionistenhaushalte und so weiter. Aber traditioneller Schwerpunkt, sagen wir einmal, der "Überbaupolitik" der Sozialdemokraten – ob sich das in der Realität widerspiegelt, ist ja immer eine andere Frage –, der Ideologie der Sozialdemokratie ist etwas anderes, nämlich die Bekämpfung einer zu großen Ungleichheit der Einkommen und der Vermögen.

Ungleichheitspolitik oder Bekämpfung der Ungleichheit in einer Wirtschaft und Gesellschaft ist jedenfalls tendenziell etwas ganz anderes als Bekämpfung der Armut. Bekämpfung der Ungleichheit heißt, Sie nehmen oben jemandem etwas weg, aber ob das dann unten auch ankommt, das ist eine ganz andere Frage. Wir könnten theoretisch die Panzerkäufe, denen Sie jetzt zugestimmt haben, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, in der Höhe von 8 Milliarden Schilling natürlich durch einen Zuschlag bei den oberen Einkommen finanzieren. Dann hätten wir 8 Milliarden zusätzlich, aber Armutsbekämpfung ist das natürlich keine. Damit ist diesbezüglich noch nichts gewonnen.

Ich habe mit Interesse den Zeitungen entnommen, daß etliche Mitglieder der Sozialdemokratie – zugegebenerweise eher in der Provinz – neuerdings Vorschläge dahin gehend machen, daß die Grenzsteuersätze in der Einkommensbesteuerung angehoben werden sollen, daß ein sogenannter Solidarbeitrag oder Solidarzuschlag und so weiter eingeführt werden soll. – Darüber kann man ja diskutieren, aber persönlich halte ich das – so isoliert betrachtet – für wachstumspolitisch problematisch. Aber abgesehen davon ist das bestenfalls klassische Ungleichheitspolitik oder Bekämpfung der Ungleichheit. Mit Armutsbekämpfung hat das überhaupt nichts zu tun.

Ich könnte Ihnen Fälle konstruieren, wo geradezu ein Widerspruch zwischen der klassischen Ungleichheitspolitik und einer Politik der zielgerichteten Bekämpfung der Armutsgefährdung entsteht.

Abgesehen davon: Wenn Sie wirklich eine Steuerpolitik in diese Richtung hätten betreiben wollen, hätten Sie genügend Zeit gehabt. Ich sage einmal spöttisch: Schauen Sie sich doch einmal das schweizerische Steuersystem an. Das muß doch aus sozialdemokratischer Sicht ge


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