Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 51. Sitzung / Seite 110

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

radezu ein lichtvolles Vorbild sein. Dort ist die Einkommensbesteuerung um 30 Prozent höher als in Österreich, immer in Relation zum Sozialprodukt, und die Vermögensbesteuerung ist sage und schreibe viermal so hoch wie in Österreich.

Herr Bundeskanzler! – Darf ich vielleicht bei dieser Gelegenheit sagen, wie unangenehm es mir ist, den Bundeskanzler anzusprechen und ihn in meinem Rücken zu haben. Die Sitz- beziehungsweise Stehordnung in diesem Haus ist wirklich denkbar ungeeignet. (Abg. Dr. Mertel: Wir könnten in den Reichsratssaal gehen! Dann stehen Sie hinter ihm!) Vielleicht ist es dort besser.

Herr Bundeskanzler! Sie haben richtig diagnostiziert, daß das Armutsrisiko sehr stark steigt, wenn nicht beide Partner in einer Ehe oder einer Lebensgemeinschaft berufstätig sind. Sie haben richtig diagnostiziert, daß das Armutsrisiko steigt, wenn die Gefährdung durch Arbeitslosigkeit steigt. Das heißt, diese beiden Dinge korrelieren stark, und die Arbeitslosigkeit und damit auch die Armut korrelieren wiederum sehr stark mit der Schulbildung. – Ich weiß nicht, ob wir aus dieser Erkenntnis, die ich für korrekt halte, bereits die Konsequenzen gezogen haben.

Meine Damen und Herren von den Freiheitlichen! Wenn diese Diagnose richtig ist, dann spricht das eben schon gegen die Haushaltsbesteuerung beziehungsweise das Familiensplitting, selbst wenn Sie die Wahlfreiheit offenlassen. Konsequenz aus dieser Überlegung kann nur sein, daß man mit allen Mitteln verhindern muß, daß Frauen, wenn auch aus eigenem Entschluß, zurück an den Herd kommen. Das ist eine Entscheidung, die sie später bereuen könnten.

Weiters ist zu berücksichtigen, daß Armut, wenn sie schon eintritt – und die Politik wird nicht immer verhindern können, daß sie eintritt –, nur transitorisch sein soll. In diesem Punkt bin ich mit Herrn Kier, wenn ich ihn richtig verstanden habe, einer Meinung.

Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, die klassischen Instrumente sind wichtig: die wirtschaftspolitischen, die arbeitsmarktpolitischen, die bildungspolitischen Instrumente. Er hat weiters gesagt, Österreich müsse weiterhin versuchen, qualitativ hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen; das sei der materiell wichtigste Schritt.

Herr Bundeskanzler! Es ist das sicher ein materiell wichtiger Schritt. Es ist notwendig und richtig, diese klassischen Instrumente der Arbeitsmarktpolitik einzusetzen, aber das wird nicht reichen. Es reicht jetzt schon nicht. Sie werden nach wie vor nicht verhindern können, daß nicht alle Österreicher Diplom-Ingenieure werden und dadurch diese qualitativ hochwertigen Arbeitsplätze besetzen. Wir werden nach wie vor einen gewissen Prozentsatz haben, der aufgrund soziologischer, sozialer, vielleicht auch anderer Ursachen diese Art der Bildung nicht schafft und insofern von Haus aus einen Startnachteil im Arbeitsleben hat, der durch diese klassischen Maßnahmen nicht wettgemacht werden kann. Ganz abgesehen davon, daß noch die geschlechtsspezifischen Diskriminierungen bleiben, die altersspezifischen Diskriminierungen, die ethnischen Diskriminierungen, und es bleibt auch die Frage, ob Sie die ländliche Armut oder die vererbte Armut auf diesem Wege in den Griff bekommen können.

Noch kurz zum Wohnbau, weil der Herr Bundeskanzler das erwähnt hat. Das ist nur ein kleines Problem, aber vom Fiskalischen her ist es kein kleines Problem. Herr Bundeskanzler! Das ist es ja, daß wir jahraus, jahrein 30 bis 40 Milliarden Schilling, je nachdem, wie Sie es rechnen, in die Wohnbauförderung stecken, aber nur wenig davon bei den Leuten, die es brauchen, ankommt. Das ist ja gerade das Phänomen, daß das enorm teuer ist und in Wirklichkeit eine Finanzierung des oberen Mittelstandes darstellt.

Zusammenfassend: Herr Bundeskanzler! Der Einsatz der klassischen wirtschaftspolitischen Instrumente – das, was Sie gesagt haben – ist notwendig. Er wird auch weiterhin notwendig sein, aber er ist nicht hinreichend für die Armutsbekämpfung. Das hat sich bisher leider schon gezeigt, und das wird sich auch leider in Zukunft zeigen. Die neuen Phänomene der Armut oder, wenn Sie wollen, die Phänomene der neuen Armut werden durch diese klassischen Politikinstrumente bestenfalls gestreift. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)

16.38

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Cap. – Bitte.


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite