Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 51. Sitzung / Seite 111

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16.38

Abgeordneter Dr. Josef Cap (SPÖ): Herr Präsident! Hohes Haus! Was mich stört, ist ein wenig die Art und Weise, wie diese Diskussion geführt wird. Bei den Grünen sind es beispielsweise 770 000 bis 1,5 Millionen Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, bei den Freiheitlichen sind es 1,5 Millionen. Da wird mit den Hunderttausenden nur so in der Gegend herumgeworfen. – Das ist die Gefahr bei dieser Debatte, daß man vor lauter Statistiken und Zahlen den menschlichen Bezug zu den menschlichen Schicksalen zu verlieren droht. Das ist etwas, was wir uns mehr ins Gedächtnis rufen sollten. (Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Wir tun uns seit längerem in der Debatte auch schwer – alle miteinander –, zu definieren, was Armut überhaupt ist, Kriterien dafür festzulegen. Wir kennen die verschiedensten Studien und sehen, wie schwierig es ist, das überhaupt eindeutig festzumachen.

Es wurde gesagt, daß die Armut heute anders ausschaue als früher. – Man kann das auch anders sehen. Man kann sagen: Armut in Europa ist teilweise anders zu definieren als Armut in verschiedenen asiatischen oder afrikanischen Ländern. Ich glaube daher, daß die entscheidende Frage ist: Wie geht eine Gesellschaft mit diesen Phänomenen um? Welche soziale, welche humane Sensibilität kann sie entwickeln? Und: Ist sie bereit, in ihre Politik immer wieder das Kriterium der Verteilungsgerechtigkeit und des Kampfes gegen Verarmung, gegen die Privatisierung von Armut – was es auch immer sei – einfließen zu lassen? Das ist die entscheidende Frage! (Beifall bei der SPÖ.)

Daher ist eine Diskussion über Armut – wenn man diesen Begriff schon verwenden will, obwohl er sehr unpräzise ist, und wiewohl ich vorher versucht habe, ihn anders zu definieren, einen anderen Zugang zu finden – immer auch eine Diskussion über die gerechte Verteilung von Reichtum. Das ist die entscheidende Frage!

Ich war einigermaßen konsterniert, als ich von Vizekanzler Schüssel gehört habe, er sei nicht für Umverteilung, sondern für Leistung. Was ist das für ein seltsamer Gegensatz? Man kann für Verteilungsgerechtigkeit und trotzdem auch für Leistung sein, und es kann sogar Verteilungsgerechtigkeit ein Leistungsanreiz sein. – Das ist ein Zugang zu dieser Frage, der mir schleierhaft ist und mit dem ich wirklich nicht sehr viel anfangen kann.

Ich habe auch Probleme mit Bischof Krenn, der den "sozialen Jammer" als "Stück der Politik" bezeichnet hat; es wurde bereits zitiert. Sein Chef ist nicht von dieser Welt, und seine Leistungsbeurteilung wird im Jenseits stattfinden, aber es wäre auch die Kirche gut beraten, einen Diskussionsprozeß in ihren Reihen zu führen, weil auch da kann man über Verteilungsgerechtigkeit und wie man damit umgeht, zum Beispiel in Ländern der dritten Welt, Stichwort "Theologie der Befreiung" und so weiter, sehr wohl kontroversiellste Debatten führen.

Ich will damit sagen: Es geht um die Frage der Verteilung. Es ist dies eine berechtigte Frage, und man muß dabei natürlich auch berücksichtigen, in welcher Situation sich ein Land befindet. Wenn man einen Kampf um Standortsicherung führen muß, auch eine Diskussion über Lohnkosten, Lohnnebenkosten und all diese Dinge, dann kommt man nicht darum herum, daß man international gegen einen Wettbewerb kämpfen muß, bei dem es nur darum geht, welches Land die niedrigsten Löhne bezahlt, damit man dort seine Industriestandorte absichern kann. Das geschieht auch. Der Herr Bundeskanzler fordert das bei jedem seiner europäischen Auftritte ein, gekoppelt mit beschäftigungspolitischen Programmen und Initiativen, damit auf dieser Ebene – Stichwort Währungsunion, Stichwort Euro, Stichwort: Debatte über die künftige wirtschaftliche Organisation in Europa – nicht all das mißbraucht wird, um neoliberalen Wirtschaftskonzeptionen zum Durchbruch zu verhelfen.

In diesem Zusammenhang hört man immer wieder: Was regt ihr euch auf? Die Gründe für die Arbeitslosigkeit sind zu hohe Löhne, sind die Arbeitslosengelder, der wichtigste Grund für die Staatsverschuldung ist der ausufernde Sozialstaat. Das hören wir von Ihnen (zu den Freiheitlichen gewendet) meistens (Abg. Aumayr: Was sagt Ihr Kollege Lafontaine?), und das einzige Ziel ist letztlich die Erhaltung des Geldwertes. Da war der Streit zwischen Helmut Schmidt und Herrn Tietmayr von der Deutschen Bundesbank – das kann uns nicht ganz egal sein, weil der


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