Die Justiz kann sich dieser Einsicht nicht verschließen, sondern mußte und muß in ihrem Bereich kreative Lösungen entwickeln, um auf ein äußerst vielschichtiges und komplexes Problem adäquate Antworten zu finden. So haben wir es mit dem geltenden Suchtgiftgesetz gehalten, und so soll es auch mit dem neuen Suchtmittelgesetz bleiben.
Grundlegende Überlegung dieses – zu Recht gesagt – keineswegs neuen Konzeptes "Therapie statt Strafe" ist es, daß dort, wo medizinische und therapeutische Maßnahmen notwendig, sinnvoll, erfolgversprechend und adäquat sind, das Strafrecht vorerst einen Schritt zurücktreten und der Behandlung und Betreuung die Möglichkeit geben soll, dem Abhängigen zu helfen und diesen quasi unter dem Damoklesschwert des Strafrechts zur Inanspruchnahme des Hilfsanbotes zu motivieren. Nur dort, wo schwerere Verbrechen, organisierte Kriminalität, Drogenhandel am Werk sind, soll sogleich mit voller Härte vorgegangen werden.
Das beste Mittel für sicherheitspolitische Aktivitäten ist immer noch, Gesetzesverstöße für die Zukunft möglichst zu verhindern, auch und gerade dann, wenn das Recht bereits gebrochen wurde. Dies gilt im besonderen Maße im Drogenbereich für den Abhängigen selbst, dessen Sucht ihren Ursprung ja nicht in der Böswilligkeit krimineller Energie hat, sondern eine körperliche und seelische Krankheit mit sozialen Ursachen ist.
Wie sehr auch das neue Suchtmittelgesetz diesem Grundgedanken Rechnung trägt, kann an den beiden strafrechtlichen Schwerpunkten des Gesetzes festgemacht werden, bei der vorläufigen Anzeigezurücklegung und beim vorläufigen Aufschub des Strafvollzuges.
Die vorläufige probeweise Anzeigezurücklegung bei nicht großen Mengen von Suchtmitteln wird durchaus maßvoll und in Übereinstimmung mit den Wünschen der Praxis nach Lockerung des sich bisher als zu eng erwiesenen Korsetts ausgedehnt auf weniger schwere Fälle strafbarer Handlungen im Zusammenhang mit der Beschaffung eines Suchtmittels. Damit wird fakultativ und keineswegs zwingend ermöglicht, daß nicht nur der Süchtige, der bloß wegen des Erwerbs oder des Besitzes von Suchtmitteln angezeigt wird, sondern auch der, der sich etwa im Wege eines geringeren Eigentumsdeliktes oder einer Rezeptfälschung die Mittel für seine Sucht beschafft hat, nicht jedenfalls mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen verurteilt werden muß, sondern unter bestimmten präzisen Voraussetzungen sogleich einer Behandlung und Betreuung zugeführt werden kann.
Zur Klarstellung: Die bloße Behauptung der eigenen Sucht reicht keinesfalls aus, und das diesbezüglich von Herrn Abgeordneten Dr. Ofner gebrachte Beispiel des Straßenhändlers ist weder bisher noch künftig ein Fall der vorläufigen Zurücklegung.
In schwereren Fällen, in denen der Staatsanwalt Anklage erhebt und das Gericht eine unbedingte Freiheitsstrafe verhängt, soll das Gericht nicht nur wie bisher den Vollzug einer Strafe von bis zu zwei Jahren vorerst aufzuschieben haben, um den Verurteilten die Möglichkeit zu geben, durch Absolvierung einer Therapie aus dem Teufelskreis von Sucht und Kriminalität auszubrechen, sondern darüber hinaus künftig – gerade auch auf Wunsch der Praxis nach mehr Flexibilität –, ebenfalls keineswegs zwingend, sondern fakultativ, die Möglichkeit erhalten, in Einzelfällen auch Personen, die zu einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren, und Süchtigen, die wegen weniger schwerer Fälle der Beschaffungskriminalität verurteilt wurden, die Chance auf Therapie statt Strafe als Brücke in ein drogen- und verbrechensfreies Leben zu gewähren.
Auch in diesem Zusammenhang eine Klarstellung: Der vom Herrn Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses als Beispiel gebrachte aktuelle Fall ist weder nach der geltenden noch nach der künftigen Rechtslage ein Fall des vorläufigen Strafaufschubes.
Hohes Haus! In wenigen Gebieten ist jeder einzelne Staat so sehr auf internationale Zusammenarbeit und Solidarität angewiesen wie im Bereich der Bekämpfung der Drogenabhängigkeit und des Drogenhandels. Schon früh hat sich die internationale Staatengemeinschaft zusammengefunden und völkerrechtliche Verträge abgeschlossen, um das Drogenproblem zu bekämpfen. Wien als Sitz der Vereinten Nationen hat hier historische Bedeutung. Nicht nur die wesentlichen mit Drogenbekämpfung befaßten UN-Organisationen haben ihren Sitz in Wien, sondern es wurden in Wien auch die bedeutendsten einschlägigen internationalen Rechtsinstru