Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 76. Sitzung / Seite 79

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dem Obersten Gerichtshof wurde dieses Urteil der ersten Instanz aufgehoben, weil es – darauf werde ich noch zurückkommen – tatsächlich zahlreiche Widersprüche aufwies. Als Folge davon ist Dr. Gross freigekommen. Der Oberste Gerichtshof hat entschieden, daß dieses Verfahren neu aufgerollt werden sollte, doch ist es nie wieder zu einer Neuaufnahme des Verfahrens gekommen, weil die Staatsanwaltschaft im Jahre 1951 befunden hat, daß es keinen Grund gäbe, dieses Verfahren wiederaufzunehmen.

Im Jahre 1979 erfolgte der Beginn einer gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen Dr. Gross und Dr. Vogt, der seitens der Gruppe "kritische Mediziner" für ein Flugblatt verantwortlich war, in dem Dr. Gross für die Tötung Hunderter Kinder im Rahmen der Euthanasieprogramme der Nazis verantwortlich gemacht wurde. Dr. Gross fühlte sich dadurch in seiner Ehre beleidigt und hat einen Prozeß angestrengt, den er in erster Instanz gewonnen hat. In zweiter Instanz – darauf werde ich noch zurückkommen – hat das Oberlandesgericht zum ersten Mal eine eigene Beweisführung vorgenommen. Das wurde nämlich 1950 nicht gemacht. Das Oberlandesgericht hat Fakten erhoben und ist zu dem Urteil gekommen, daß dieser Vorwurf gegenüber Dr. Gross seitens des Dr. Vogt zu Recht erhoben wurde und daß Dr. Gross – das ist ein entscheidender Punkt in diesem Verfahren – über Jahrzehnte hinweg immer wieder seine Verantwortung geleugnet hat. Es ist daher zu dem Urteil gekommen, da Dr. Gross diese Lügen von der Berufungsinstanz nachgewiesen werden konnten und er tatsächlich an der Tötung von Kindern beteiligt war.

Trotzdem hat es die Staatsanwaltschaft, haben es die österreichischen Justizbehörden nach diesem Urteil des Oberlandesgerichtes nicht der Mühe wert gefunden, ein Verfahren gegen Dr. Gross zu eröffnen.

Im Jahre 1995, nachdem aus alten DDR-Archiven neue Materialien Dr. Gross betreffend ans Tageslicht gekommen sind, hat das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft geschickt. – Die Staatsanwaltschaft hat jedoch wiederum keine Gründe für eine Strafverfolgung von Dr. Gross gesehen.

Im Jahre 1997 hat es eine Anzeige des Dokumentationsarchivs gegeben. Die Staatsanwaltschaft hat jedoch wieder keine Gründe für eine Strafverfolgung gesehen. Und der Justizminister, der mit dieser Angelegenheit befaßt wurde – eben auch durch jene Anfrage, die wir heute besprechen, aber auch durch ausländische Medienberichte darüber; das festzustellen ist nicht unwichtig in diesem Zusammenhang –, hat entschieden, daß dieser Antrag der Staatsanwaltschaft nicht zur Kenntnis zu nehmen ist und weitere Erhebungen durchzuführen sind.

Dafür, Herr Justizminister, danke ich Ihnen im Namen der Betroffenen und der Hinterbliebenen. Das ist ein erster Schritt – aber damit kann nicht vergessen gemacht werden, daß wir auch eine Diskussion über 40 Jahre dauernde Versäumnisse der österreichischen Justiz führen müssen. Darauf werde ich jetzt in meinen Ausführungen zu sprechen kommen.

Es ist nämlich in der schriftlichen Anfragebeantwortung, und zwar unter Punkt 3, eine Argumentation entwickelt worden, die ich zumindest für merkwürdig und hinterfragenswert halte. Es heißt dort – in Wiedergabe der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft aus dem Jahre 1995 –: "Auch weitere Erhebungen wären nicht geeignet, die frühere leugnende Verantwortung des Beschuldigten zu widerlegen." – Zitatende.

Diesen Satz, Herr Justizminister, müssen Sie mir erklären. Was bedeutet das für die österreichische Justiz? Ein Angeklagter, der über Jahrzehnte hinweg leugnet, tatsächlich an dieser Tötung teilgenommen zu haben, der, wie aus dem Interview im "profil" hervorgeht, nach wie vor gegenüber den Medien behauptet: Ich war nur ein Angestellter! – sprich: Ich habe nur meine Pflicht getan, es waren andere dafür verantwortlich! –, ein Angeklagter, ein Mensch, der seine Verantwortung trotz erdrückender Fakten, auch trotz der Verhandlung vor dem Oberlandesgericht noch immer nicht auf sich nimmt, ist offensichtlich nach Auffassung der Staatsanwaltschaft deswegen nicht zu belangen, weil er ja weiter leugnet und weil diese Leugnungen auch weiterhin zu erwarten sind. – Das kann es ja wohl nicht gewesen sein. – Soviel zu Punkt 1.


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