Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 94. Sitzung / Seite 96

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Präsident Dr. Heinz Fischer: Zur Abgabe einer Stellungnahme zum Gegenstand der Verhandlungen gelangt der Herr Bundeskanzler zu Wort. – Ich darf Ihnen das Wort erteilen, Herr Bundeskanzler.

15.24

Bundeskanzler Mag. Viktor Klima: Herr Präsident! Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir bitte eingangs um Entschuldigung für meine Verspätung zu bitten. Ich hatte anläßlich des ersten Besuches eines türkischen Regierungschefs seit rund 20 Jahren natürlich nicht nur wichtige Fragen der bilateralen Politik und Wirtschaftsentwicklung sowie der europäischen Entwicklung, sondern auch Fragen der Menschenrechte und des Minderheitenschutzes anzusprechen und habe mich deswegen ein bißchen verspätet. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie beim Liberalen Forum.)

Erlauben Sie mir weiters, sehr geehrte Frau Abgeordnete Dr. Schmidt, etwas zu Ihren Ausführungen über die Pensionsreform zu sagen. Ich habe mir drei klare Ziele gesetzt: Wir wollen mit dieser Reform ein Stückchen mehr Gerechtigkeit erreichen. Wir wollen sie, um Unsicherheit zu vermeiden, termingerecht Ende des Jahres abschließen (Abg. Jung: Ein Ziel von vorgestern!), und vor allem wollen wir diese Reform gemeinsam zustande bringen.

Mit dem Wort "gemeinsam" meine ich ein Instrument, das es seit Jahrzehnten in der österreichischen Politik, und zwar zwischen Parlament, Regierung und Sozialpartnerschaft gibt. Dieses Instrument hat sich in den letzten Jahrzehnten zum Wohle unseres Landes sehr bewährt. Ich lasse es nicht willkürlich zerschlagen, auch wenn mancher vielleicht danach strebt! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich trete klar dafür ein, daß – unabhängig von politischen Wertungen und persönlichen Zielsetzungen – der Spruch des Verfassungsgerichtshofes für die Bundesregierung selbstverständlich zu respektieren ist. (Beifall bei SPÖ und ÖVP. – Abg. Dr. Schmidt: Es ist Sache des Parlaments, das zu entscheiden!)

Der Verfassungsgerichtshof hat aber in seinem Erkenntnis die grundsätzliche Position, auf der das Familiensteuergesetz 1992 aufgebaut ist, als rechtlich möglich bestätigt. Es wurde also das bestehende System der Kinderförderung als solches vom Verfassungsgerichtshof nicht in Zweifel gezogen, sondern nur das Ausmaß der steuerlichen Kinderförderung in bestimmten Einkommenskategorien und in bestimmten Fällen von Unterhaltsleistungen als ungenügend bezeichnet.

Das Erkenntnis erlaubt es somit, im gegenwärtigen System der steuerlichen Berücksichtigung von Kindern durch Transfers und Kinderabsetzbeträge zu bleiben. Ich hoffe das, weil ich mich ausdrücklich zu dieser sozial gerechten Form der Familienförderung bekenne. (Beifall bei SPÖ und ÖVP. – Rufe beim Liberalen Forum: Grundsicherung!)

Es liegen verschiedene Varianten vor, dieser Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes zu entsprechen, und es gibt nach Ansicht einzelner Experten sicherlich auch Möglichkeiten, am gegenwärtigen Ausmaß der Kinderförderung nur relativ geringfügige Korrekturen anzubringen.

Eine Minimalumsetzung – das ist das Problem dabei – würde allerdings bedeuten, daß nur in jenen konkreten Fällen, in denen sich nach Auffassung des Gerichtshofes die Berücksichtigung der Kinderlasten als ungenügend erweist, eine Anhebung der Kinderförderung notwendig wäre. Von einer solchen Minimallösung wären also bei weitem nicht alle Kinder betroffen, sondern nur eine relativ geringe Zahl von Kindern, nämlich jene von besonders gut verdienenden Eltern. Ich möchte hinzufügen, daß ein derartiges Modell weder meiner Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit noch der meiner Partei entspricht und daß wir daher eine Minimalvariante nicht realisieren werden! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Wir brauchen daher eine Neugestaltung der Familienförderung, die zwei Ziele gleichzeitig realisieren muß: Es muß eine Lösung sein, die erstens verfassungskonform ist und zweitens im Interesse der sozial schwächeren Familien in diesem Lande liegt. Ich bin überzeugt davon, daß


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