Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 102. Sitzung / Seite 87

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würde, daher quasi per Gesetz anzuordnen, daß nur die klassische Vollzeitarbeit nachgefragt werden darf.

Wir brauchen daher soziale Systeme, die flexibel auf diesen Befund reagieren. Wir brauchen einen grundrechtlichen Anspruch auf existentielle Absicherung als Fundament, damit sich die Menschen überhaupt bewegen können, und zwar auch dann, wenn sie keine Arbeit oder eine nur quasi zumutbare Arbeit finden. (Beifall beim Liberalen Forum.)

Wenn wir zu einer derartigen grundrechtlichen Position finden, dann muß ich sagen, daß eine derartige Diskussion, wie sie hier geführt wird, und auch die Möglichkeit, Menschen zwangszuverpflichten, eine bestimmte Arbeit anzunehmen, gar nicht mehr notwendig sein werden. Es wird aber andererseits den Menschen dann möglich sein, Arbeit aufzugreifen in der Arbeitswelt, die für sich allein genommen nicht geeignet wäre, die individuellen Bedürfnisse zu befriedigen. – Diese Gabel ist aufzulösen.

Da ist die internationale Diskussion schon wesentlich weiter, als man vermuten würde, wenn man sich in diesem Haus befindet. Das Europäische Parlament hat nicht zuletzt angesichts des damals noch bevorstehenden Beschäftigungsgipfels in einer Entschließung ausdrücklich formuliert, daß vor dem Hintergrund der Analyse, die ich Ihnen gegeben habe, auf die Wechselwirkung zwischen Steuersystemen und Systemen der sozialen Sicherheit mit dem Ziel hinzuwirken ist, daß die Hemmnisse bei der Akzeptanz von weniger gut bezahlten Arbeitsplätzen verringert werden, und zwar durch ein weiteres Ausloten innovativer Konzepte im Bereich der Sozialpolitik wie Basiseinkommen und negative Einkommensteuer.

Das ist mehrheitsfähig im Europäischen Parlament. Das heißt, dort hat die intensive Suche danach begonnen, wie wir dieser Falle entkommen und unsere Sozialsysteme so gestalten können, daß sie einen Rechtsanspruch statuieren, grundrechtsfähig sind und auf die modernen Formen der Arbeitswelt auch flexibel reagieren können. Dabei wird man sehr gut aufpassen müssen, daß es nicht zu einer Spaltung kommt. Man wird sehr gut aufpassen müssen, daß dies keine desintegrierende Wirkung hat. Das ist ein sehr anspruchsvolles Projekt. Und man wird sich vor allem auch mit dem, was vielfach als sogenannter Mindestlohn herumgeistert, einmal ganz neu auseinandersetzen und sich überlegen müssen, ob es dabei nicht nur darum gehen kann, Mißbrauch bei den Stundenlöhnen zu vermeiden und nicht irgendeinem fiktiven Monatslohn nachzulaufen, den es dann deswegen nicht gibt, weil die Vollarbeitszeit, die diesem Monatslohn entsprechen würde, gar nicht in allen Fällen nachgefragt wird.

In diesem Fall an die Adresse der Kolleginnen von der ÖVP gerichtet möchte ich folgendes sagen: Wenn man von Basiseinkommen und negativer Einkommensteuer spricht, dann wird man gelegentlich mit dem Vorwurf, es handle sich um Kommunismus, konfrontiert. Ich sage Ihnen: Das halten wir gerne aus, denn dieser Vorwurf zeugt von Unwissenheit. Dies ist zwar schmerzlich, aber man muß es nicht ganz so ernst nehmen.

Ernster muß man den erbitterten Widerstand jener nehmen, die die Besitzstände des jetzigen vermeintlich sozialen, aber längst nicht mehr sozialen Systems mit Zähnen und Klauen verteidigen, und sei es auch um den Preis einer tatsächlichen Spaltung der Gesellschaft, um den Preis, daß immer mehr Leute frühzeitig ausgesteuert werden müssen, daß letztlich im Alter nicht abgesicherte Frauen weiter unabgesichert bleiben, und so weiter und so fort – ich könnte Ihnen hier jetzt die ganze Latte aufzählen –, nur damit am bestehenden System vor 40, 50 Jahren ausgedachter sozialer Instrumente nichts geändert werden muß, damit man insbesondere auch unter sich bleiben kann, nämlich die Arbeitbesitzenden, die die Arbeit nicht mit jenen teilen wollen, die Arbeit suchen. Und Arbeit teilen heißt im Prinzip in der Lage sein, arbeitszeitmäßig weniger zu arbeiten, ohne dabei zugrunde zu gehen.

Solche Ansätze kombiniert selbstverständlich mit dem, was das Liberale Forum, aber auch andere Fraktionen gebetsmühlenartig seit Jahren zur Frage der ökologischen Steuerreform hier vortragen, was seit Jahren von allen Experten und von vielen Fraktionen gebetsmühlenartig zur Entlastung der Lohnnebenkosten vorgetragen wird und so weiter und so fort, hätten wir uns in


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