Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 106. Sitzung / Seite 198

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unsere AkademikerInnen international wettbewerbsfähig machen. Wie im Antrag 433/A (E) ausgeführt, ist es nicht sinnvoll, daß die entsendende Institution – nämlich die Schule – über die Zusatzerfordernisse einer Studienrichtung bestimmt. Sollen etwa Lehrerarbeitsplätze geschützt und nicht Studenten zu EU-reifen AkademikerInnen ausgebildet werden? – Kaum ein Arbeitsplatz bleibt heute vom Berufsbeginn bis zur Pensionierung in seinen Anforderungen gleich. Das hat auch für den Schulbereich Geltung.

Ich möchte kurz auf Latein als Studienvoraussetzung für Medizin eingehen. Jugendliche, die das Medizinstudium – ein naturwissenschaftliches Studium – wählen, unterziehen sich in ihrer AHS-Zeit meist einer naturwissenschaftlichen Ausbildung. In der 3. und 5. Klasse AHS wählen sie zwischen Latein, mathematischem Zweig oder einer zweiten lebenden Fremdsprache. BHS-Absolventen haben diese Wahl nicht. Es ist unsinnig, in der Zeit einer sich erweiternden EU statt einer zweiten lebenden Fremdsprache Latein zu lernen. Für Ärzte am wichtigsten ist neben umfassenden praktischen und theoretischen Medizinkenntnissen die absolute Beherrschung der englischen Sprache, der internationale Kongreß- und Wissenschaftssprache. (Demonstrativer Beifall beim Liberalen Forum und Beifall bei der SPÖ.)

Alle wichtigen Publikationen sind in Englisch abgefaßt. Die medizinische Terminologie ist sowohl dem Lateinischen als auch dem Griechischen entnommen; die Kenntnis des gallischen Krieges, des Goldenen Zeitalters, der Äneis oder der Schriften des Tacitus sind weder nötig noch hilfreich.

An Hand einiger Beispiele möchte ich Ihnen den Wechsel zwischen Lateinisch und Griechisch in der medizinischen Terminologie demonstrieren: Der Uterus wird mittels Hysterektomie entfernt, die Lien mittels Splenektomie. Die Entfernung der Testes ist die Orchiektomie, was der Kastration des männlichen Individuums entspricht. Mittels Auskultation der Pulmo ist eine Pneumonie diagnostizierbar, mittels Gastroskopie das Ulcus oder Neoplasma ventriculi. Eine renale Anämie ist identisch mit der nephrogenen Anämie. Das Cor besteht aus dem Endo-, Myo und Epicard. – Nach sechs Jahren Schullatein war mir diese Terminologie neu. (Beifall bei der SPÖ.)

Latein zwingt zu präzisen Konstruktionen. Das ist aber als Studienvoraussetzung für Medizin zuwenig, wie wir am Beispiel der Vereinigten Staaten sehen. Wer Latein als notwendigen Bestandteil seiner Bildung sah, hat Schwierigkeiten, Latein als unwesentlich abzuwerten.

Bildung ist kein starres Gut; sie muß sich an den Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft orientieren. Die Diskussion darüber führen wir spät. Vor mehr als 40 Jahren glaubte mein Vater noch, daß Altgriechisch für eine höhere Bildung unumgänglich sei, und war tief betrübt, daß ich nicht ins humanistische Gymnasium gehen wollte. Heute haben wir uns von diesem Bildungsideal des Altgriechischen bereits getrennt. Der nächste Schritt muß folgen.

Das menschliche Gehirn ist für eine gewisse Kapazität an Wissen bestimmt. Ein Überangebot an Eindrücken verhindert die Engrammbildung neuer Erkenntnisse. Wir müssen uns von Überholtem trennen und für die Zukunft änderungswillig sein. Da es nicht sinnvoll ist, das Universitäts-Studiengesetz so kurz nach der Beschlußfassung abzuändern, ohne abzuwarten, was die Studienkommissionen beschließen, stimmen wir heute diesem Antrag nicht zu. Das Wissenschaftsministerium wird genau beobachten, welche Zusatzprüfungen als Studienvoraussetzung künftig erforderlich sind und ob es einer Gesetzesänderung bedarf.

Bezüglich der Forderung nach einem Vizedekan für große Fakultäten mache ich auf den Unterschied der medizinischen Fakultäten zu den anderen aufmerksam. Neben Lehre und Forschung muß der Dekan der medizinischen Fakultät den Klinikbetrieb, die Einhaltung des Ärztegesetzes und die Ärzteausbildung koordinieren. Professoren der klinischen Fächer haben sich außerdem gleichrangig der Patientenversorgung und der Führung des Primariates zu widmen. Ist es für einen Vorkliniker eine übergroße Belastung, ohne Vizedekan allen Aufgaben gerecht zu werden, so ist es einem Kliniker unmöglich. Keine andere Fakultät weist eine derartige Vielfalt ihrer Tätigkeiten auf. Jedoch wegen der vermehrten Zuordnung von Aufgaben an die Studiendekane wäre nach einem Beobachtungszeitraum zu prüfen, ob weitere Studiendekane eingerichtet werden sollten.


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