Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 119. Sitzung / 21

Die Industriearbeiterschaft fällt tendenziell weg. Sie wird ohne Zweifel durch neue Arbeiten ersetzt, aber nicht in dem Umfang, in dem wir es wünschen, um eine Vollbeschäftigung herkömmlichen Sinnes, wie wir sie hatten, wieder erreichen zu können. Allein in den letzten drei Jahren, von 1995 bis 1997, sind 24 000 Menschen im primären und im sekundären Sektor arbeitslos geworden und nicht mehr ersetzt worden, die Beschäftigungszahl ist gesunken, während im tertiären Sektor 19 000 Menschen mehr beschäftigt werden konnten.

Unser Problem ist also - Frau Bundesminister Gehrer und Frau Bundesminister Hostasch haben das bereits angetönt -, daß 10 Prozent aller Jobs jedes Jahr unten wegfallen, aufgrund der Technologien, und oben ein Arbeitskräftemangel entsteht, weil unser Bildungssystem nicht so schnell darauf reagieren und neue Anforderungsprofile schaffen kann. Und da liegt die Problematik. Wir geben zwar in Österreich viel Geld für die Erstbildung aus, wir sind aber in der Weiterschulung, im lebenslangen Lernen immer noch in der zweiten oder dritten Reihe. (Abg. Verzetnitsch: 10 bis 20 Prozent, das ist eine große Herausforderung!)

Ich meine, die ganz große Herausforderung ist es, nicht nur die Ausbildung bis zum Berufseinstieg in den Vordergrund zu stellen, sondern den ganz großen Schwerpunkt vielleicht in Zukunft sogar darauf zu legen, ein Drittel aller Ausbildungsmittel dort einzusetzen, wo es um das lebenslange Weiterlernen geht, um beim technologischen Fortschritt mithalten zu können.

Ich kann Ihnen nicht zustimmen hinsichtlich der Schlußfolgerungen, die Sie in diesem Nationalen Aktionsplan für Beschäftigung ziehen. Er ist punktuell sinnvoll, wenn man ihn durchliest, punktuell erfolgversprechend. Aber Sie machen einen ganz großen Fehler: Sie wollen sich nicht von dem bestehenden System lösen, Sie wollen es reparieren. In all den Kapiteln, meine Damen und Herren, kommt das Wort "Kunde" nicht ein einziges Mal vor. Die Worte "Nachfrage", "Bedürfnisse von Märkten" finden Sie da drinnen nicht. (Abg. Verzetnitsch: Glauben Sie, Wirtschaft macht sich von selbst? Das ist Nachfrage!)

Ich zitiere Ihnen Helmut A. Gansterer zur Frage Nummer eins, der Arbeitslosigkeit. Er sagt, zur Frage der Arbeitslosigkeit gibt es sicher hundert Antworten. Ich zitiere Ihnen nur drei. Erstens sagt er, daß Wirtschaften eigentlich unendlich einfach ist. Und es ist eigentlich unendlich einfach in seiner Grundtatsache.

Er sagt weiter: "Wenn du ein Produkt hast, nach dem der Markt schreit wie am Spieß, wirst du mehr Arbeiter brauchen, als du finden kannst. Wenn nicht, dann wirst du zuerst Arbeiter abbauen und dann zugrunde gehen."

"Die entscheidende Frage im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit lautet daher: Haben wir hinreißende Produkte? Und warum haben wir nicht Zehntausende mehr davon? Was brauchen wir dafür wirklich?"

Das ist es, was wir uns im Rahmen unseres Beschäftigungsplanes fragen müssen: Ist dieses Land in seiner Gesetzgebung, in seinen Rahmenbedingungen kundenorientiert? Ist dieses Land darauf ausgerichtet, Bedürfnisse weltweit und im Land selbst aufzuspüren? Hat es Rahmenbedingungen geschaffen für Unternehmer, für Selbständige, für Mitarbeiter, die mit diesen Rahmenbedingungen leben können und optimale Produkte auf den Markt bringen?

Das ist die Frage, die wir uns bei einem Beschäftigungsfahrplan stellen sollen - neben vielen wichtigen Schlußfolgerungen, die wir in diesem langen Konvolut finden, in dem die Kundenorientierung unserer Wirtschaft nicht vorkommt.

Diesbezüglich muß in den Köpfen der Regierungsmitglieder etwas passieren. Es ist nicht so, daß Sie Beschäftigung von oben verordnen können. Sie wissen ganz genau, daß Sie sich diese 100 000 Arbeitsplätze, von denen Sie reden, aufgrund eines Wirtschaftsaufschwunges erhoffen, und dieser läuft mit Ihnen, aber auch ohne Sie. Aber dort, wo Sie gefordert sind, bedeutet Beschäftigungspolitik heute Standortpolitik, und zwar Standortpolitik in einer zunehmenden Globalisierung.


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