Meine Damen und Herren! Grundsätzlich sind auch wir Liberale erfreut, daß in unserem Land endlich etwas für Kinder getan wird und in der zweiten Ausbaustufe der Familienbesteuerungsreform jedem Kind 6 000 S mehr im Jahr zur Verfügung stehen. Allerdings knüpft die gewählte Form der Familienförderung nicht wirklich an den Bedürfnissen der Kinder an, was ich für sehr bedauerlich halte. Denn die Reform wird in der bekannten Methode durchgeführt: Es werden nämlich unabhängig von der individuellen Situation für alle die gleichen Beträge ausbezahlt.
Herr Familienminister Bartenstein! Der Konflikt, den wir darüber miteinander ausfechten beziehungsweise immer ausgefochten haben, wird auch weiterhin bestehen bleiben. Dieses Gießkannenprinzip kann die Kinderarmut – sie hat bereits beträchtliche Ausmaße angenommen – auf keiner Ebene wirksam bekämpfen, da diese Mittel auch jenen Familien, die über ein überdurchschnittliches Einkommen verfügen, zugute kommen. Werden diese Mittel gebunden, dann können sie nicht jenen Mehrkinderfamilien zur Verfügung gestellt werden, die tatsächlich armutsgefährdet sind und einen wirklichen Bedarf an den Familientransferleistungen haben.
Herr Minister Bartenstein! Das ist grundsätzlich an dieser Reform zu kritisieren, denn sie ist nicht sozial ausgewogen. Die oft angekündigte Erhöhung der Treffsicherheit wurde auch diesmal nicht realisiert. Mit Kosten im Ausmaß von 12 Milliarden Schilling in der zweiten Ausbaustufe der Reform wird Österreich über ein im europäischen Vergleich sehr luxuriöses System der Familienförderung verfügen. Dieses ist aber trotzdem nicht geeignet, der Kinderarmut wirklich zu begegnen.
Frau Kollegin Mertel! Glauben Sie wirklich, daß diese Familienförderung treffsicher ist? – Ich glaube nicht, daß Sie das glauben, denn Sie haben in Ihrer Rede schon anerkannt, daß Sie große Kompromisse machen mußten. Dazu, heute auf irgendeinem Platz zu feiern, besteht meiner Ansicht nach sicher kein Grund. (Beifall beim Liberalen Forum. – Abg. Dr. Mertel: Ich bin ja da!) Sie sind da, das ehrt Sie.
Meine Damen und Herren! Wir sind überzeugt davon, daß die bestehende Problematik der Kinderarmut nur dann adäquat bekämpft werden kann, wenn die konkrete Lebenssituation des Kindes und seine individuellen Bedürfnisse berücksichtigt werden. Wir wissen, daß 21 Prozent aller Kinder in Österreich von Armut bedroht sind, hingegen – das unter Anführungszeichen – "nur" 9 Prozent der Erwachsenen. Was wir angesichts dieser Tatsachen brauchen, ist, daß die Transferleistungen, um tatsächlich wirksam sein zu können, von den jeweils einzelnen Bedürfnissen der Bezugspersonen abhängig gemacht werden.
Meine Damen und Herren! Im Transfermodell des Liberalen Forums – das werden wir Ihnen hier von dieser Stelle aus immer wieder sagen – stehen im Gegensatz zur Familienbesteuerungsreform das Kind und dessen Bedürfnisse im Mittelpunkt, nicht aber die Struktur der Familie. Dabei geht es uns aber auch nicht um Ideologie, und trotzdem kann ich Ihnen versichern, daß auch Liberale der Familie einen großen Stellenwert einräumen. Auch wir haben Familie, und auch wir leben Familie! (Beifall beim Liberalen Forum.)
Für uns steht aber trotzdem das Kind im Mittelpunkt. Um dies zu erreichen, brauchen wir treffsichere und sozial ausgewogene Transferleistungen. Denn nur dadurch können bei gleichem Mittelaufwand die bestehenden Ungleichgewichte, die ausschließlich zu Lasten der Kinder gehen, aufgehoben werden. Das ist mit der nun vorliegenden Novelle keinesfalls gewährleistet. Probleme wie zum Beispiel ein Anspruch auf zwei Jahre Karenzgeld für AlleinerzieherInnen wurden trotz Versprechungen bisher nicht eingelöst, obwohl Kinder alleinerziehender Mütter und Väter dreimal mehr von Armut bedroht sind als Kinder aus Mutter-Vater-Kind-Familien.
Wie ich schon am Anfang betont habe, erkennt die vorliegende Novelle zwar prinzipiell die Problematik der materiellen Versorgungsleistung an, allerdings können wir Liberale dem nicht zustimmen, da sich in der Reform keinerlei Ansatz für die längst überfälligen Änderungen in der Struktur der Transferzahlungen erkennen läßt. (Beifall beim Liberalen Forum.)
18.08
Präsident Dr. Heinrich Neisser:
Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Müller. Wollen Sie eine Redezeitbeschränkung? – 5 Minuten. – Bitte.