Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 123. Sitzung / Seite 21

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Bundeskanzler, der Vizekanzler, Sie alle tun so, wenn Sie zu europäischen Veranstaltungen fahren, als ob Sie dort die Motoren wären, die das angeregt haben. Was stellt sich heraus? – Am letzten Tag müssen Sie mit Fax Ihren Nationalen Beschäftigungsplan nach Brüssel schicken. Also von einem Motor der Erneuerung erwarte ich mir eine promptere Erledigung solcher Aufgaben! (Beifall beim Liberalen Forum.)

Wenn man den Nationalen Beschäftigungsplan dann im Detail liest, stellt sich außerdem heraus, daß er keine Zahlen enthält. Das ist bedenklich, denn das verhindert seine Evaluierung. Wenn Sie sich keine ernsthaften Ziele vorgeben, dann kann man in der Zeitreihe nicht vergleichen, wie weit Sie gekommen sind. Das heißt, es ist eine in Konzeptform gegossene Sonntagsrede, und sie wird nicht sehr viel bewirken, denn die 100 000 zusätzlichen Beschäftigten, die Sie im Nationalen Aktionsplan für Beschäftigung vorweisen, entsprechen jener im Trend der Arbeitsmarktentwicklung liegenden Zahl, die das AMS schon im Jänner 1998 im Rahmen einer Wifo-Studie auf den Tisch gelegt hat.

Frau Kollegin Reitsamer! Ich darf mich am Schluß der Frage der Grundsicherung zuwenden, einem Vorschlag, der Sie beunruhigt hat. Sie begründen Ihr ungutes Gefühl damit, daß Sie sagen: Dann wird ja kein Arbeitgeber mehr entsprechende Löhne zahlen. – Ich war bis jetzt der Meinung, daß in Ihrer Fraktion auch ein paar Gewerkschafter sitzen. Es hat kein Mensch verlangt, daß die Kollektivverträge abgeschafft werden. Im Gegenteil: Wir sind der Meinung, es bedarf einer tiefgreifenden Erneuerung der Kollektivverträge. Aber das bedeutet nicht, wie Sie wahrscheinlich schon wieder "hören" werden, eine Abschaffung der Kollektivverträge, sondern das bedeutet Phantasie, Kreativität und selbstbewußte Gewerkschaften.

Frau Kollegin Reitsamer! Wenn Sie hier davon sprechen, daß eine fundamentale Reform des Sozialsystems bedeutet, daß die Kollektivverträge verschwinden und es somit keine Begriffe wie Mindeststundenlohn und dergleichen mehr gibt, dann, muß ich sagen, kann ich das nicht nachvollziehen. In diesem Fall unterstellen Sie uns offenbar einen Radikalumbruch in der gesamten Rechtsordnung unter Abschaffung des kollektiven Arbeitsrechtes. Sie haben zum Teil das kollektive Arbeitsrecht abgeschafft, Frau Kollegin Reitsamer! Durch die Einbeziehung der freien Dienstverträge in die Sozialversicherungspflicht haben Sie zum Teil das Arbeitsrecht durch die Hintertüre abgeschafft, denn im Bereich der freien Dienstverträge gibt es keine Urlaubsregelungen, gibt es keine Arbeitszeitbestimmungen und so weiter. Dadurch, daß Sie die freien Dienstverträge in die Sozialversicherungspflicht einbezogen haben, ohne an diesen Effekt zu denken, haben Sie eine Gruppe von Arbeitnehmern geschaffen, die jetzt in den Augen der Allgemeinheit völlig legal beschäftigt sind, so wie Sie sich das vorstellen, alles zahlen, aber keine sozialen Arbeitnehmerrechte haben.

Dann wollen Sie mir und unserer Fraktion, dem Liberalen Forum, von dieser Stelle aus vorwerfen, daß wir die Grundsicherung deswegen einführen wollen, damit das kollektive Arbeitsrecht und die Kollektivverträge verschwinden? – Also auf diesem wirklich sehr bescheidenen Niveau möchte ich diese Frage nicht diskutieren, denn real geht es um eine neue Solidarität und um eine Absicherung aller Menschen in diesem Land.

Frau Kollegin Reitsamer! Schauen Sie sich einmal die Entwicklung Ihrer Pensionssysteme an! Diese tendieren in Richtung Ausgleichszulagenpension, weil Sie das Pseudoäquivalenzprinzip nicht aufrechterhalten können. Je größer die Zahl der geringfügig Beschäftigten ist, die Sie jetzt erfaßt haben, desto größer wird in Zukunft die Zahl der AusgleichszulagenpensionistInnen sein.

Das ist soweit noch nicht so schlecht. Damit könnte ich schon leben. Dann dürften Sie allerdings nicht so verkürzt den Solidaritätsanspruch auf Grundsicherung diskutieren. Das dürften Sie dann nicht, denn dann müßten Sie selbst zugeben, daß Ihre ASVG- und anderen Pensionssysteme in Richtung Ausgleichszulagenpension hin konvergieren. Lesen Sie die Studien von Rürup, die Sie in Auftrag gegeben haben, nach! Nur weil Sie sie zum Teil noch nicht zur Kenntnis genommen haben, ist sie trotzdem nicht falsch. Dort sind die Trends und die Entwicklungen lückenlos abgebildet. Sie können diesen Trends leider nicht entkommen. Daher müssen Sie kreativ sein und Phantasie haben. Und die Notstandshilfe steigt. Was ist die Notstandshilfe anderes als eine


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