Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 123. Sitzung / Seite 24

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Das wundert mich nicht, wenn ich mir einerseits die Aussagen des Herrn Kollegen Khol anhöre, der jetzt offensichtlich die Sozialpolitik bestimmt, und wenn ich auf der anderen Seite Kollegen Feurstein höre, der gesagt hat, das Jahr 1997 sei für ihn das schwerste Jahr in der Sozialpolitik gewesen. Angesichts der Aussagen des Abgeordneten Khol werden offensichtlich noch weitere schwere Jahre für Sie, Herr Abgeordneter Feurstein, folgen. Das finde ich bedauerlich, aber ich komme ohnehin noch darauf zurück.

Frau Abgeordnete Reitsamer, Sie haben Ihre Rede dazu benutzt, um einmal mehr das bestehende Sozialsystem zu verteidigen: Es passe alles, alles sei in Ordnung, wir hätten keine Probleme. Ich sage nicht, Frau Kollegin Reitsamer, daß unser Sozialsystem das schlechteste ist, aber es ist nicht gut genug. Wir sind auf dem Übergang vom fürsorgenden Wohlfahrtsstaat zur Hochrisikogesellschaft. Diese Aussage stammt nicht von mir, sondern von einem amerikanischen Autor, nämlich Jeremy Rifkin, der zum Thema "Das Ende der Arbeit" ein interessantes Buch geschrieben hat. Was er mit dem Titel seines Buches verdeutlichen wollte, ist nichts anderes als eine Forderung nach neuen Formen der sozialen Sicherung, die es uns ermöglichen, mit der Zunahme von Risken fertigzuwerden und umzugehen.

Nun komme ich auf die aktuelle Situation zurück, Frau Kollegin Reitsamer: In Österreich gab es im Jahre 1997 nicht nur eine Viertelmillion Arbeitslose – auf ein ganzes Jahr umgerechnet –, sondern es gab 700 000 Personen, die in diesem Jahr von Arbeitslosigkeit betroffen waren; 700 000 Personen, die ein Monat, zwei Monate, drei Monate oder mehrere Monate hindurch arbeitslos waren und – wie ich vermute – in diesen Monaten durchaus nicht gewußt haben, ob sie wieder Arbeit finden werden oder nicht. 700 000 Personen, von denen Herr Abgeordneter Khol auf der einen Seite sagt, sie lägen in der sozialen Hängematte, aus der sie rausgeworfen werden müßten, 700 000 Personen, die auf der anderen Seite – da beziehe ich mich wieder auf Ihre Ausführungen, Frau Kollegin Reitsamer – Arbeitslosengeld in Österreich erhalten, das keineswegs hoch ist, beziehungsweise Notstandshilfe beziehen, die beschämend niedrig ist, nämlich im Durchschnitt 7 000 S pro Monat beträgt.

Erklären Sie mir, Frau Kollegin Reitsamer, wie man von 7 000 S Notstandshilfe ein Monat lang leben kann, wenn man keine anderen finanziellen Mittel mehr zur Verfügung hat. Denn Notstandshilfe bekommt ja nur derjenige, der sonst nichts anderes mehr zum Leben hat. Natürlich kann man bei der Sozialhilfe ergänzende Sozialhilfe beantragen, wenn die Notstandshilfe, was auch oft genug vorkommt, noch niedriger als 7 000 S ist, wenn sie etwa nur 3 000 S beträgt, und zwar in dem Fall, daß jemand etwa als Regalbetreuerin in einem Supermarkt gearbeitet hat. Das Problem besteht allerdings darin, daß diese Frau das nicht tut, und zwar nicht deswegen, weil sie so viel Geld hätte, sondern weil sie sich schämt.

Da sind wir wieder bei jener politischen Debatte, in der diesen Personen beziehungsweise Gruppen dann vorgeworfen wird, sie seien Sozialschmarotzer. Sie, Herr Abgeordneter Khol, wollen diese Personen aus der "sozialen Hängematte" werfen. Das ist der Tenor der Sozialpolitik, und zwar nicht nur in diesem Jahr, sondern auch schon in den letzten Jahren. Dieses Ziel haben Sie auch mit Ihrer Budgetpolitik mitverfolgt. Davon können Sie sich nicht exkulpieren. Sie haben ein Jahr ums andere Sozialmißbrauchsverhinderungsgesetzgebung betrieben und behauptet, daß Menschen Sozialleistungen bekämen, die sie nicht verdienten.

Frau Kollegin Reitsamer, wenn Sie sagen, das dies auch stimme (Abg. Reitsamer: Einzelne Fälle!), dann sagen Sie mir bitte auch, was mit den Personen geschehen soll, die Kollege Khol aus der sozialen Hängematte hinauswerfen will. (Abg. Reitsamer: Man kann alles fehlinterpretieren, wenn man will!) Wo landen sie denn? Wo sollen sie denn landen? Sollen sie mit Sanktionen dafür bestraft werden, daß sie nichtvorhandene Arbeit nicht anzunehmen gedenken? – Die Arbeit oder Beschäftigung, die sie annehmen können und die ihnen versprochen wird, gibt es nicht.

Herr Abgeordneter Khol trifft diese Äußerungen natürlich nicht zufällig zu einem Zeitpunkt, zu dem die Zahlen der Arbeitslosen und Notstandshilfebezieher angestiegen sind, also zu einer Zeit, in der für Langzeitarbeitslose immer weniger Aussicht besteht, daß sie eine Beschäftigung finden. Das ist die reale Situation.


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