Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 124. Sitzung / Seite 98

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alles in allem die Justiz eine gute Firma sei. Ich möchte mich in meinen heutigen Ausführungen damit auseinandersetzen, wie sie sich derzeit dem Auge des Betrachters darstellt.

Häufig wird geklagt, daß sie zu langsam arbeite. In Einzelbereichen trifft das tatsächlich zu. Wenn der Betroffene über Gebühr lang warten muß, bis er eine Erledigung erhält, dann kann er einem manchmal nur leid tun. Dazu fällt einem der Satz ein: "Wer rasch gibt, gibt doppelt!" Das gelingt der Justiz nicht immer. Ich möchte aber davor warnen, den Maßstab allzu sehr an die rasche Erledigung der Dinge anzulegen und das eine oder andere diesem Maßstab zu opfern. Ich meine – ich stütze mich dabei auf eine vier Jahrzehnte andauernde berufliche Erfahrung auf diesem Sektor –, daß sich zwar jeder Betroffene und auch jeder Vertreter eines Betroffenen darüber freut, wenn er eine rasche Entscheidung in der Rechtssache, die ihn etwas angeht, bekommt, daß es aber noch immer jedem wichtiger ist, daß er eine gerechte Entscheidung bekommt. Es geht also weniger um die rasche Erledigung der Dinge!

Meine Damen und Herren! Was vor allem und unter allen Umständen möglichst weitgehend gesichert werden muß, ist die sogenannte Einzelfallgerechtigkeit. Gerecht muß die Justiz entscheiden, auch wenn es manchmal nicht so rasch geht, wie wir es uns wünschen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ein Beispiel aus der Entstehungsgeschichte der Wertgrenzennovelle, die dieses Haus vor gar nicht allzulanger Zeit verabschiedet hat: In dem diesbezüglichen Entwurf war vorgesehen, daß es in einer ganzen Anzahl von Fällen zu einem Verfall von Beweisanträgen kommen soll, wenn sie nicht bereits in einem sehr frühen Verfahrensstadium im Zivilprozeß geltend gemacht werden. Nicht zuletzt am Widerstand der Freiheitlichen ist dieser Teil des Vorhabens Wertgrenzennovelle gescheitert.

Ich bin froh darüber, daß das geschehen ist. Denn ich hielte es für kaum erträglich, wenn man nur, um die Dinge rascher über die Bühne zu bringen, dazu bereit wäre, sich von der materiellen Wahrheit so weit zu entfernen, daß ein bestimmter Beweisantrag, den man nicht gleich in einem Stadium des Verfahrens, in dem man womöglich überhaupt noch nicht weiß, ob er wesentlich sein wird, stellt, sonst nicht mehr gestellt werden kann.

In diesem Zusammenhang – und auch darüber hinaus – richtet sich meine Kritik gegen den Umstand, daß sich die Justiz – so wie ich die Dinge sehe – in den letzten Monaten und Jahren immer mehr an sich selbst, an ihrem eigenen System und an dem, was sie selbst und ihre Mitarbeiter bedeuten, orientiert und nicht an dem Bedarf der Bürger, die sich an die Justiz wenden oder an die sich die Justiz wendet und die auf das Funktionieren der Justiz angewiesen sind.

Man hört immer mehr auf die Wünsche einzelner Exponenten des Apparates und darauf, was von anderen Ressorts – also auch aus dem Apparat –, wie etwa dem Innenressort, an Vorstellungen und Wünschen an die Justiz herangetragen wird, und viel weniger auf die berechtigten Wünsche, die die Bürger, die die Justiz brauchen, bezüglich ihrer Funktions- und Arbeitsweise haben.

Ich möchte das erneut anhand der Wertgrenzennovelle zeigen. Es gab ein seit Jahren eingespieltes Rechtsmittelsystem, das die Verfahren bis zum Obersten Gerichtshof geregelt hat. Alle, die damit zu tun gehabt haben, waren damit zufrieden – soweit man im Rechtsmittelverfahren überhaupt von Zufriedenheit reden kann. Natürlich gab es Einschränkungen, denn man erlebt immer wieder Enttäuschungen, da man oft auch mit Rechtsmitteln, von denen man glaubt, daß sie Erfolg haben müssen, auf die Nase fällt. Aber alles in allem war es ein ausgefeiltes, schon bewährtes System!

Dieses System wurde geändert, und zwar nicht etwa deshalb, weil irgend etwas nicht funktioniert hätte, nicht etwa deshalb, weil die Recht suchende Bevölkerung sich beschwert hätte, nein, sondern deshalb, weil Mitarbeiter des Obersten Gerichtshofes – ich will gar nicht ausloten, ob berechtigt oder unberechtigt – den Standpunkt vertreten haben, sie seien überlastet und man könne ihnen nicht zumuten, so wie bisher weiter tätig zu sein.


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