Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 124. Sitzung / Seite 99

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Aus diesem Grund wurde die Anrufungsmöglichkeit des Höchstgerichtes weitgehend reduziert, indem – ich sage das grosso modo und damit vielleicht auch für den Außenstehenden leichter verständlich – die Untergrenze für den Streitwert – darunter kann man den Obersten Gerichtshof gar nicht anrufen – von 50 000 S auf 260 000 S angehoben und damit in eine Reichweite versetzt wurde, die für den – unter Anführungszeichen – "kleinen" Prozeßführenden gar nicht mehr erreichbar ist. Das geschah nicht, weil etwas nicht funktioniert hätte, sondern weil man im System selbst, im Interesse von Mitarbeitern den Bedarf nach einer Änderung gehabt hat.

Diesen Weg halte ich für bedenklich. Die Justiz ist ein sehr großer und außerordentlich wichtiger Dienstleistungsbetrieb. In einer Demokratie, wie wir sie mit Stolz als die unsere erkennen, hat sich ein Dienstleistungsbetrieb nach den Bedürfnissen der Bürger zu richten. Wenn also der Eindruck entsteht, daß infolge eines funktionierenden Rechtsmittelsystems vielleicht die Mitarbeiter durch von Jahr zu Jahr steigende Anfallszahlen zu stark belastet werden, dann muß man einen anderen Weg finden, um dem entgegenzuwirken – meinetwegen durch einen zusätzlichen Senat, wenn es auch bereits viele gibt, so hat es in Österreich doch ein ausgefeiltes und funktionierendes System gegeben –, und darf nicht einfach die Anrufungsmöglichkeit beschränken. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Dieser Weg erscheint mir bedenklich. Das System genügt sich selbst. Das System neigt immer mehr dazu, sich selbst zu steuern, es entfernt sich damit aber auch von der Einzelfallgerechtigkeit, die ich eingangs meiner Ausführungen als oberstes Gebot jeder Justiz, die sich ernst nehmen will und die ernst genommen werden will, genannt habe.

Ich komme nun von diesen zivilrechtlichen Problemen – die aber auch für Strafrechtliches gelten – zum Strafrecht und stelle eine grundsätzliche Überlegung an. Die sogenannten Kunden der Strafjustiz sind sehr unterschiedliche Persönlichkeiten. Es werden gefährliche Schwerkriminelle, x-mal rückfällig gewordene Eigentumstäter und x-mal rückfällige gewordene Täter gegen Leib und Leben – meist allerdings mehr gegen Leib als gegen Leben –, die im wesentlichen mit den Ersttätern, mit den Zufallstätern, mit jenen, denen – wieder unter Anführungszeichen gesetzt – "einmal etwas passiert ist", über einen Kamm geschoren.

Ich weiß, die Ergebnisse der diesbezüglichen Strafverhandlungen sind unterschiedlich und müssen das natürlich auch sein, aber allein der Umstand, daß sich alles in dem selben Rahmen, auf der selben Schiene und mit den selben Folgen, wenn auch abgestuft, abspielt, ist in Wirklichkeit nicht akzeptierbar und verstopft außerdem die Strukturen der Justiz.

Von ein und demselben Senat werden heute in ein und demselben Saal nach ein und demselben Gesetz und mit dem Ergebnis ein und derselben Justizanstalt – immer grosso modo – zunächst ein dreißigmal rückfällig gewordener Eigentumstäter, dann ein Mensch mit einer fahrlässigen Krida und anschließend ein zehnmal rückfällig gewordener Gewalttäter behandelt, der eine wird in Handschellen vorgeführt, der andere, zwar ohne Handschellen, aber vor dem selben Gericht stehend, zittert vor Angst – ich simplifiziere das alles sehr stark –, der nächste kommt wieder in Handschellen.

Wenn auch ein Einzel- oder Zufallstäter einmal zu einer unbedingten Strafe verurteilt wird, sitzt er grundsätzlich in demselben "Häfen" wie die anderen – mit allen Problemen, die dabei herauskommen, mit allen Risken, die vor allem jüngere Täter männlichen Geschlechts, wie wir leider wissen, in der Haft hinsichtlich Drogen, aber auch in anderer Hinsicht, nämlich jener der körperlichen Integrität, tragen. Das ist ein unerträglicher Zustand!

Meine Damen und Herren! Seit Jahren gibt es immer wieder Reparaturversuche – vor einigen Jahren habe ich mich noch darüber mokiert, daß es die jährliche Strafrechtsreform gibt, mittlerweile sind wir bei zwei jährlichen Strafrechtsreformen angelangt. All diese Versuche können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß uns die dringend notwendige großzügige Neugestaltung der Rechtsmaterie bisher nicht einmal ansatzweise geglückt ist. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ich darf in diesem Zusammenhang noch einmal die Problematik der fahrlässigen Krida verdeutlichen, da sie mir besonders symptomatisch erscheint. – Von den Gerichtshöfen, also von jener


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