Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 135. Sitzung / Seite 179

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Drittens: Am 9. Juli 1997 – also vor genau einem Jahr – haben wir in diesem Haus beschlossen, daß niemand aufgrund seiner Behinderung benachteiligt werden darf und Bund, Länder und Gemeinden zu gewährleisten haben, daß die Gleichstellung behinderter und nichtbehinderter Menschen in allen Lebensbereichen gesichert werden muß.

Ich habe Ihnen nur drei Bestimmungen genannt, die Sie in den letzten vier Jahren beschlossen haben. Heute liegt uns eine Schulorganisationsgesetz-Novelle vor, Frau Ministerin, die die Handschrift eines Beamten trägt, der in Ausübung seines Amtes nicht die Integrationspädagogik vertritt. Vielmehr handelt es sich ganz konkret um einen Ministerialbeamten, der als Präsident der Heilpädagogischen Gesellschaft eine aussondernde, defektorientierte Pädagogik vertritt. Und entsprechend diesem Muster und den Ideen dieses Präsidenten, der die defektorientierte Pädagogik vertritt, haben Sie auch diese Schulorganisationsgesetz-Novelle für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf gestaltet.

Frau Ministerin! Ich weiß, daß Ihnen nicht unbekannt ist, was auf dem Gebiet der Schulintegration in Österreich in den letzten Jahren geleistet wurde und welche Fortschritte es im Rahmen des integrativen Unterrichtes gibt. Ich selbst habe Sie schon des öfteren auf Literatur von Schönwiese, Feuser, Gstöttner und Fragner verwiesen, und ich könnte die Liste noch elendslang fortführen. Frau Ministerin! Ihnen ist auch nicht unbekannt, was Rosa in Italien geleistet hat, welche positiven Erfolge sich dadurch langfristig speziell für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf abgezeichnet haben und welche Erfolge dort zu verbuchen sind.

Frau Ministerin! All das ist Ihnen nicht unbekannt, aber Sie haben das große Talent, genau diese Fortschritte zu verdrängen. Ich weiß nicht, warum Sie sich so verhalten, aber ich vermute, daß Sie massive Probleme mit behinderten Menschen haben! (Abg. Steibl: Das ist eine Unterstellung! Das Gegenteil ist der Fall! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.) Wenn dem nicht so ist, dann frage ich Sie, Frau Ministerin, warum es Ihnen so unheimlich wichtig ist, daß jeder behinderte Mensch damit gebrandmarkt wird, daß für ihn sonderpädagogischer Förderbedarf besteht? Auf diese Weise nehmen Sie den Betroffenen spätestens dann, wenn die Eltern es geschafft haben, daß ihr behindertes Kind acht Jahre integrativ unterrichtet wurde, das Recht auf integrative Förderung! (Abg. Steibl: Das ist eine bodenlose Frechheit! – Zwischenruf der Abg. Fuchs. ) Denn dann werden die Kinder beziehungsweise jetzt bereits Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Sonderschulen mit Berufsorientierung eingegliedert! (Zwischenruf der Abg. Dr. Krammer. )

Meine Damen und Herren! Wissen Sie überhaupt, daß Sonderschulen überhaupt keine Berufsorientierung anbieten können, weil diese dafür nicht geeignet sind? (Abg. Steibl: Wir sind froh, daß Sie uns das sagen, damit wir es auch wissen!) Ich nehme an, daß Sie damit letztendlich doch nur erreichen wollen, daß Sie Ihr Sonderschulsystem, das Sie schon liebgewonnen haben, aufrechterhalten können. Was liegt Ihnen denn daran, die Sonderschulen mit aller Kraft aufrechtzuerhalten und deren Existenz und deren Fortbestand zu sichern?

Frau Ministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPÖ und von der ÖVP! Wenn Sie ernsthaft Interesse daran hätten, daß es wirklich eine Möglichkeit der integrativen Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, gegebenenfalls bis zum universitären Abschluß, gibt, dann dürften Sie die Integration nach acht Schulstufen nicht beenden, um die Schüler schließlich in eine Sonderschule mit Berufsvorbereitung zu stecken, sondern müßten letztere Einrichtungen ersatzlos streichen. Sie müßten die Regelung treffen, daß das neunte Schuljahr, das für nichtbehinderte Kinder selbstverständlich ist, in Polytechnischen Schulen, in Berufsschulen beziehungsweise in berufsbildenden mittleren und höheren Schulen für Behinderte in Form eines integrativen Unterrichtes angeboten wird.

Meine Damen und Herren! Wenn Sie das ernsthaft gewollt hätten, dann hätten Sie eine entsprechende Regelung treffen können. Aber das wollen Sie offensichtlich nicht! Denn anscheinend ist es Ihnen – wobei ich nicht weiß, warum – noch immer wichtig, daß jedes Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf zwar eine Zeitlang Integration in die Gesellschaft schnuppern darf, irgendwann im Laufe seines Lebens jedoch in die Sondereinrichtung zurückgeholt wird – vielleicht deshalb, damit das Kind weiß, wie es läuft.


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