Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 141. Sitzung / 94

Die sogenannten AVNOJ-Bestimmungen und die Beneš-Dekrete sind natürlich im Zusammenhang mit den tragischen Ereignissen rund um den Zweiten Weltkrieg zu sehen. Die AVNOJ-Bestimmungen sind nicht Teil der heutigen Verfassung Sloweniens (Abg. Dr. Haider: Das ist ja nicht wahr!), allerdings sind einzelne Gesetze der Republik Slowenien in ihren Rechtswirkungen, vor allem im Bereich des Vermögensrechts, nämlich der Denationalisierung, indirekt auf diese Bestimmungen zurückzuführen. (Abg. Mag. Stadler: Heimatvertreibung heißt jetzt "Denationalisierung"! Es ist unglaublich!) Auch die Beneš-Dekrete sind nicht Teil der geltenden Verfassung der Tschechischen Republik. Das Problem besteht darin, daß sie formell nie aus deren Rechtsbestand entfernt wurden, was übrigens, wenn man ehrlich ist, auch andere sehr etablierte Demokratien, die von der dunklen Zeit des Nationalsozialismus geprägt wurden, lange Zeit hindurch, oft jahrzehntelang, nicht fertiggebracht haben. (Zwischenruf der Abg. Dr. Partik-Pablé.)

Zur Frage 3:

Die Europäische Kommission ist der Auffassung, daß die rechtsstaatliche Ordnung in der Tschechischen Republik und in Slowenien mit den Kopenhagener Kriterien in Einklang steht. Hinsichtlich der exakten Wiedergabe der diesbezüglichen Avis-Formulierungen verweise ich auf meine Beantwortung der Frage 1.

Zur Frage 4:

Grundsätzlich gilt das, was ich vorhin zur Frage 3 gesagt habe. Artikel 6 des noch nicht in Kraft getretenen Amsterdamer Vertrags verweist aber ausdrücklich auf die Europäische Menschenrechtskonvention. Die abschließende rechtliche Beurteilung, ob die in Slowenien und der Tschechischen Republik geltenden Rechtsvorschriften mit den europäischen Standards und den Grundsätzen der Europäischen Union im Einklang stehen, würde daher im Fall der Beschreitung des Rechtswegs durch betroffene Bürger, auch im Einzelfall, den unabhängigen Gerichten und in letzter Instanz dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg beziehungsweise im Fall des Beitritts dieser Länder auch dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft, dem EuGH, in Luxemburg obliegen.

Im Zusammenhang mit der Frage 5 verweise ich auf den Avis der Europäischen Kommission.

Zur Frage 6:

Wie die Europäische Kommission in ihrer Stellungnahme festgestellt hat, haben die Bestimmungen der internationalen Menschenrechtsübereinkünfte gemäß Artikel 10 der tschechischen Verfassung Vorrang vor den innerstaatlichen Bestimmungen und gelten daher unmittelbar. Das umfaßt nicht zuletzt die Rahmenkonvention des Europarates zum Schutz von Minderheiten, die für die Tschechische Republik am 1. Februar 1998 in Kraft getreten ist. Slowenien hat diese Europaratskonvention am 25. März 1998 ratifiziert.

Slowenien und die Tschechische Republik gehören mittlerweile dieser Rahmenkonvention des Europarats über den Schutz nationaler Minderheiten als Vertragsstaaten an. Es ist daher davon auszugehen, daß sich die beiden Staaten zu den in diesem Vertragswerk enthaltenen Grundsätzen bekennen und die in der Konvention vorgesehenen Verpflichtungen erfüllen.

Zur Frage 7:

In der Frage, ob derartige Probleme bilateral behandelt werden sollen, stimme ich Herrn Abgeordneten Ofner absolut zu: Es gibt Themen – und die Menschenrechte und die Geltung von internationalen Übereinkommen zählen zweifellos dazu –, die nicht bilateral zu diskutieren sind. Das ist völlig klar. Denn die Geltung der Menschenrechte erstreckt sich selbstverständlich auf sämtliche Unterzeichner von diesbezüglichen Konventionen, und sie ist etwa im Bereich der Deklaration der Menschenrechte sogar universell zu sehen. Der entscheidende Punkt ist aber, wie wir mit den Dingen tatsächlich umgehen. Und wir haben uns das Ziel gesteckt, daß wir bei jedem bilateralen Treffen die relevanten Fragen, die etwa die Heimatvertriebenen, soweit sie in Österreich leben, betreffen, auch wirklich relevieren und ansprechen.


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