Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 142. Sitzung / 67

heitspflicht für Ärzte, die die Hilfe für die Kinder in den Vordergrund rückt. Auch die österreichischen Fachgesellschaften für Kinderheilkunde und Kinderchirurgie stehen hinter diesen neuen Regelungen. Dozent Fasching und Professor Stögmann stellten gegenüber der APA erst dieser Tage fest, daß aufgrund der derzeitigen Rechtslage bei vielen Ärzten große Unsicherheit darüber besteht, in welchen Fällen anzuzeigen ist und in welchen Fällen nicht. Diese Rechtsunsicherheit kann nunmehr beseitigt werden.

Mit der Novellierung des Strafgesetzbuches von 1994 wurde es möglich, von einer Anzeige nach dem Strafgesetz abzusehen, wenn das dem Schutz des Vertrauensverhältnisses dient. Heute soll das Ärztegesetz dieser Regelung angepaßt werden. Das kann auch den Familien insgesamt helfen, denn eine Anzeige und ein Strafverfahren gefährden eine in einem Krisenzustand befindliche Familie noch weiter. Man muß davon ausgehen, daß jemand, der ein Kind mißhandelt, selbst Probleme hat, krank ist und daher selbst Hilfe und Behandlung braucht. Die obligatorische Anzeige senkt aber die Bereitschaft des Täters, sich einer Behandlung zu unterziehen, und Hilfsmaßnahmen für die Familien würden so unterbleiben. Es reicht nicht, eine Behandlung zu verordnen, sondern auch die Bereitschaft dazu ist zweifellos eine Voraussetzung für den Erfolg.

Faktum ist, daß sich der überwiegende Teil der Fälle von Kindesmißhandlungen in der Familie abspielt. Durch die bisher vorgeschriebene Anzeigepflicht waren die mißhandelten Kinder durch eine Reihe von behördlichen Tätigkeiten, die sie weiter in einer Opferrolle verbleiben ließen, belastet. Dort wird die Neuregelung eingreifen können und dem Interesse der Opfer an unmittelbarer Hilfe, an Behandlung körperlicher und seelischer Verletzung und an Schutz vor weiteren Schäden in vielen Fällen besser entsprechen.

Wir begnügen uns nicht mit dem Einsperren der Täter, sondern wir wollen helfen. Ich glaube, daß diese Novelle dazu einen Beitrag leisten kann. Wir werden dieser Novelle daher gerne unsere Zustimmung erteilen. (Beifall bei der SPÖ.)

12.20

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Es ist jetzt noch Herr Abgeordneter Dr. Ofner zu Wort gemeldet. 6 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte, Herr Abgeordneter.

12.21

Abgeordneter Dr. Harald Ofner (Freiheitliche): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Es ist in der gegenständlichen Regierungsvorlage vorgesehen, die Anzeigepflicht der Ärzte durch ein Anzeigerecht, durch eine Anzeigemöglichkeit zu ersetzen. Das führt nicht nur zu Schlupflöchern für die Täter, sondern bringt auch die Ärzte in eine nicht zu unterschätzende Malaise.

Mit der Anzeigepflicht war es bisher so – wie man als Anwalt, der seit 40 Jahren mit diesen Dingen zu tun hat, weiß –, daß dann, wenn etwas im dörflichen oder kleinstädtischen Bereich, wo einer den anderen kennt, passierte, die Angehörigen des Täters dem Arzt die Tür einrannten und sagten: Du kannst doch unseren Buben nicht anzeigen! Das liegt ja nur bei dir, und das mußt du ja nicht tun! – Und dieser sagte dann: O ja, ich setze mich doch nicht selber hinein. Ich bin dazu verpflichtet, und ich habe ihn anzuzeigen!

In Zukunft wird der Arzt häufig diesem Druck erliegen beziehungsweise sogar erliegen müssen, wenn dieser von mächtigen Clans, von mächtigen Familien ausgeübt wird. (Beifall bei den Freiheitlichen.) Bis jetzt hatte der Arzt das Gesetz auf seiner Seite. Der Arzt mußte Anzeige erstatten, sonst wäre er selbst straffällig geworden, und er konnte allen Intervenienten – und die gibt es in diesen Dingen häufig – gegenüber auf diesen Umstand hinweisen. In Zukunft hat er keine Rückendeckung mehr. Das wird dazu führen, daß auch Ärzte den Weg des geringeren Widerstands zu gehen beginnen und auf Anzeigen verzichten werden.

Daß sich auch die Autoren dieser Regelung der Schwächen bewußt sind, zeigt ja der Entschließungsantrag. Dieser geht von hinten durch die Brust ins Auge. Da wird bereits davon ausgegangen, daß das alles in Wirklichkeit ohnehin nicht funktionieren wird. Da heißt es, daß der Bundesminister für Jugend und Familie ersucht wird, in Gesprächen mit den Jugendwohlfahrtsträgern


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