Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 146. Sitzung / 64

darüber, mich darauf berufen zu können, daß ich weiß, wovon ich rede, weil ich auch dabei war, aber ich war vier Jahre alt. Und es ist zynisch, so etwas dann zu überziehen. Aber immerhin, in manchen Bereichen ist diese persönliche Betroffenheit vielleicht eine zusätzliche emotionale Legitimation. Mehr ist es nicht – keine Qualifikation. Es ist keine Qualifikation!

Daher tut es mir leid, daß, wenn Harald Ofner von diesem Rednerpult aus ein bestimmtes Thema aufgreift, er das in der falschen Debatte tut. Das tut mir leid, weil die Themenstellung ernst ist, und wir haben sicherlich auch darüber noch zu reden. Auch hier sind von Verantwortungsträgern der Zweiten Republik nach 1945 gelegentlich – vorsichtig formuliert – Fehler gemacht worden. Ich könnte dazu vieles erzählen, was ich nicht unbedingt nur selbst erlebt habe, sondern auch als Kind von Betroffenen ganz genau begriffen habe, aber nicht in dieser Debatte. (Abg. Dr. Ofner: Schäm dich nicht, erzähl!) Ich schäme mich überhaupt nicht, sonst hätte ich das nicht von mir aus hier angeschnitten. Ich bin ja nicht ganz dumm. Wenn ich dem hätte ausweichen wollen, hätte ich in dieser Debatte überhaupt nicht darüber gesprochen. Ich muß dir aber sagen, daß es eben in dieser Debatte nicht zu erörtern ist, nicht deswegen, weil Kollege Nowotny vielleicht dann den Aufrechnungsvorwurf erhebt, der so falsch nicht ist, aber natürlich sehr scharf, wenn er an einen Betroffenen adressiert ist. (Abg. Dr. Ofner: Er ist rechtlich falsch! ...)

Kollege Ofner! Ich bin nicht der Meinung, daß man sich diesen Problemen ausschließlich mit den Werkzeugen des Rechtsanwaltes nähern kann. Das hat eine größere Dimension. Das ist nicht nur Ursache und Wirkung im einfachen Sinn der Kausalitäten eines Bürgerlichen oder eines Strafgesetzbuches. Das hat eine wesentlich größere Dimension. Da sind geschichtsmächtige Abläufe dahinter, und in dem Rahmen der geschichtsmächtigen Abläufe gibt es ganz andere Kausalitätsverantwortlichkeiten: Von welcher Volksstimmung muß jemand getragen sein, wenn er Nürnberger Gesetze beschließen oder durchsetzen kann? Vor welchem Hintergrund muß Politik ablaufen, wenn sie auf keinen nennenswerten Widerstand stößt, wenn sie Menschen zur Zwangsarbeit rekrutiert und in Lager verschickt, und auf deren Meldezetteln "abgemeldet nach Theresienstadt" steht? – Das setzt eine gewisse kollektive Bereitschaft zum Nichtwiderstand voraus. Das heißt nicht, daß die Leute applaudieren. Das heißt auch, daß viele, die gerne Widerstand geleistet hätten, vielleicht nur zu ohnmächtig waren, ihn wirklich auch zur Geltung zu bringen. Das heißt das alles, das ist dann sehr diffizil im Einzelfall zu betrachten. Aber insgesamt kann sich keine staatliche Autorität über eine längere Periode halten, wenn sie nicht in Wirklichkeit doch von ihrer Bevölkerung getragen ist.

Ob das ein demokratischer Staat ist, in dem sich dieses Verhalten in Wahlen sehr deutlich manifestiert – auch nicht immer so deutlich, wie man es als Oppositionspolitiker vielleicht gerne hätte; ich meine jetzt den Widerspruch dabei –, oder ob das ein autoritäres Regime ist, dem applaudiert wird, dem Spalier gestanden wird, dem mit Fahnen zugewunken wird, in einem Land, in dem Menschen an Abstimmungen teilnehmen, von denen sie wissen, daß sie nicht frei sind, durch ihre Teilnahme aber gleichzeitig erwirken, daß man nachher ein Ergebnis von 99,9 Prozent verlautbaren kann, ist nicht die Frage. Die Menschen hätten vielleicht nicht hingehen müssen; das ist auch ein Ansatz.

Das alles sind Elemente, die mit zu bedenken sind; nicht in einem Prozeß in irgendeiner Schadenersatzfrage vor den Gerichten – woher auch immer der Schadenersatzanspruch kommen mag –, sondern in einer gesamthaften Beurteilung, ob eben ein Opfer, das persönlich in jedem Fall genauso betroffen ist – das räume ich ein –, auch in einem anderen Kontext zum Opfer wurde. Daher ist es schlecht, solche Debatten zu vermischen. Aber ich bin völlig der Meinung, daß auch die andere Debatte zu führen ist. Selbstverständlich ist sie zu führen. Man kann ja nicht sagen, es spiele überhaupt keine Rolle, wenn irgendwelche Menschen irgendwo und irgendwann ermordet wurden. Nur stellt sich auch die Frage: Aus welcher Legitimation heraus und in welcher Betroffenheit, nämlich heutiger Betroffenheit, führt man welche Debatte?

Wir haben uns als Republik Österreich und als österreichischer Nationalrat in diesen Themenstellungen in erster Linie um die Fragen zu kümmern, die auch territorial oder personell mit Österreich – auch als es noch Ostmark hieß – verbunden sind. Wir haben hier ohnedies etwas zu leisten, was schwierig ist, denn staatsrechtliche Anknüpfungen gibt es wenige. Die Moskauer Deklaration ist uns sicher eine Hilfe, wenn es um die staatsrechtlichen Anknüpfungen geht. Aber


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