Ich habe aus der heutigen Diskussion vielfach entnommen, daß sich eigentlich alle, die sich an der Diskussion beteiligten, letztlich mit diesem Sondervotum anfreunden können und es auch als begrüßenswert erachten. Ich denke, es ist auch eine Selbstverständlichkeit, daß Meinungsvielfalt und die Möglichkeit, eine Meinung zu äußern – und es handelt sich ja nur um eine Möglichkeit und nicht um den Zwang, eine Meinung zu äußern –, ganz eindeutig einen demokratiepolitischen, einen rechtspolitischen Fortschritt bedeuten, weil sich daran natürlich auch die Qualität der Argumente mißt.
Wenn damit zu rechnen ist, daß eine offene Diskussion geführt wird, innerhalb der dann der eine oder andere Verfassungsrichter seinen eigenen Standpunkt, den er im Erkenntnis nicht wiederfindet, vielleicht gesondert darstellen möchte, dann denke ich, daß man in der Ausformulierung des Erkenntnisses wahrscheinlich zunächst versuchen wird, auch diesen Standpunkt miteinzubeziehen, wodurch die Argumentationsschärfe sicher erhöht wird. Wenn das Erkenntnis einen derartigen einzelnen Standpunkt nicht wiedergibt, dann hat der Betroffene immer noch das Recht, für sich zu entscheiden: Bestehe ich auf einer gesonderten Stellungnahme, ja oder nein? – Was daran ein Nachteil sein soll, ist schlicht nicht zu erkennen!
Es ist eher unerfreulich, wenn hier von Kollegin Frieser vorgebracht wird, daß die ÖVP einer derartigen Vorgangsweise nicht zustimmt, weil der Eindruck entstehen könnte, daß ein solcher Beschluß anlaßbezogen ist, wiewohl sie gleichzeitig auch konzediert, daß die Diskussion bereits seit Jahren geführt wird. Wenn die Diskussion bereits seit Jahren geführt wird, dann ist es natürlich irgendwie schwierig, gleichzeitig mit dem Argument einer Anlaßdiskussion zu operieren, es sei denn, man geht davon aus, daß jede sachliche Diskussion eine Anlaßdiskussion ist.
Ich darf also herzlich dazu einladen, diese Argumentation, die vom sachlichen Standpunkt aus betrachtet – hier im Haus lustigerweise eigentlich mehr als bei der Enquete – in eine Richtung geht, dann letztlich auch in eine Beschlußfassung münden zu lassen. (Abg. Jung: Was haben Sie sich von der Enquete erhofft, Herr Kollege?)
Was ich mir von der Enquete erhofft habe, war eine wissenschaftliche Auseinandersetzung hinsichtlich der Für und Wider zu dieser Frage, und was ich aus der Auseinandersetzung gelernt habe, war, daß die Argumente gegen die "dissenting opinion" vielfach Argumente sind, die einer wirklich kritischen Betrachtungsweise nicht standhalten, und zwar aus jenen Gründen, die ich vorher hier darzulegen versucht habe.
Es ist auch das Argument der Beeinflußbarkeit und der Beeinflussung von Personen gebracht worden. Nun muß man sich schon eines vor Augen führen: Die Richter des Verfassungsgerichtshofes sind Wissenschafter, sind Personen, die es gewohnt sind, in der öffentlichen Diskussion pointiert ihren Standpunkt einzunehmen. Ich verstehe nicht, warum man sich um diese Gruppe, die noch dazu auf Lebenszeit bestellt ist, Sorgen macht in der Weise, daß der eine oder andere in seiner Persönlichkeit beeinträchtigt werden könnte (Beifall bei der SPÖ) und sich nicht auf jenen Standpunkt stellen würde, den er auch sonst in der Wissenschaft und in der Lehre vertritt.
Das Argument, daß ein Richter ohnedies die Möglichkeit hätte, nach dem Erkenntnis seinen Standpunkt irgendwo zu publizieren, zeigt ja, daß eine Auseinandersetzung zwar möglich sein soll, aber möglichst nicht im Verfassungsgerichtshof. Die Autorität des Verfassungsgerichtshofes manifestiert sich meiner Meinung nach nicht darin, daß es einem einzelnen Mitglied verboten sein soll, seinen Standpunkt zu äußern, und ich gehe auch nicht davon aus – das ist nämlich bedauerlicherweise auch als Argument genannt worden –, daß es sich bei Verfassungsrichtern um Selbstdarsteller handeln könnte. Ich glaube nicht, daß das Persönlichkeiten sind, denen man unterstellen kann, sich selbst präsentieren zu wollen. – Daher ist auch diese Argumentationskette meines Erachtens nicht schlüssig.
Nur noch ein letztes Argument zur Frage der Bestellung der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes: Eine der Alternativen zur derzeitigen Bestellungsform, die genannt worden ist, ist die Selbstrekrutierung, also sozusagen die Rekrutierung aus dem Verfassungsgerichtshof. Ich darf