Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 150. Sitzung / 40

Es muß weiters auch die Voraussetzungen dafür geben, ein derartiges Verfahren zu führen. So wie es selbstverständlich ist – auch bei nicht lebensbedrohenden Bagatellsachen –, daß ein Mensch, der nicht über die entsprechende materielle Grundlage verfügt, notfalls vom Staat in die Lage versetzt werden muß, seine Rechte zu vertreten, das heißt, Verfahrenshilfe zu bekommen, so wäre es eine Selbstverständlichkeit, daß Menschen, die eine Gefährdung von Leben und körperlicher Integrität glaubhaft angeben können, auch vom Staat die entsprechenden Grundlagen bekommen – das ist Bundesbetreuung! –, um ein derartiges Verfahren durchführen zu können. Das entspräche der Verfahrenshilfe in Bereichen, in denen es nicht um so zentrale Rechte geht wie um Leben und Tod. Es wäre daher eine Notwendigkeit, um ein geordnetes rechtsstaatliches Verfahren durchführen zu können, grundsätzlich diese Betreuung anzubieten.

Bei einem dritten Prinzip könnten wir uns auch, so meine ich, zumindest einmal theoretisch einigen: Je wichtiger das gefährdete Rechtsgut ist, desto behutsamer muß die Behörde vorgehen und desto stärker muß der Rechtsschutz ausgestattet sein. Ich glaube, es muß auch eine Zweifelsregel geben. Es können in jedem Verfahren in einem Rechtsstaat Irrtümer passieren, aber in diesem Fall, wenn sich die Sicherheitsbehörde, wenn sich der Innenminister, wenn sich eine Unterbehörde irrt, kann das einen Menschen das Leben kosten! Daher, so denke ich, sollten wir uns darüber einigen, daß im Zweifel für das Leben, für die körperliche Unversehrtheit zu entscheiden ist und niemals dagegen – bei aller Möglichkeit, sich zu irren, und vor allem von der sachlichen Rechtfertigung her.

Ich verstehe nicht, daß die sozialdemokratische Fraktion immer den sogenannten Sicherheitssprecher zu diesem Thema reden läßt, wenn doch bekannt ist, daß das nicht eine Frage der Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung ist. (Abg. Leikam: Das müssen Sie schon uns überlassen, wer redet!) – Es ist natürlich Ihnen überlassen, aber es ist mein legitimes Recht, mich vor allem an die Frauen in der SPÖ zu wenden, von denen ich weiß, daß sie sich in Einzelfällen immer beispielhaft einsetzen. (Abg. Leikam: Davon verstehen Sie nichts!)

Herr Abgeordneter Kiss! Das ist auch ein Charakteristikum einer demokratischen Fraktion in diesem Hause. (Abg. Leikam: Peinlich, was Sie manchmal zusammenreden!) Wir haben immer wieder die Diskussion über den "Verfassungsbogen" geführt, insoferne habe ich Ihre Polemik in Richtung der sozialdemokratischen Fraktion nicht verstanden, als Sie sagten: Das gäbe es bei uns nicht, daß es da ein Aufmucken gegen den eigenen Bundesminister gibt.

Ich rechne es den Frauen in der SPÖ, einer Frau Karlsson, einer Frau Ablinger, einer Frau Wurm, einer Frau Tegischer, einer Frau Mertel, hoch an, wenn sie vor und auch hinter den Kulissen versuchen, in Einzelfällen zu helfen. Ich glaube nur, daß das auf Dauer zu wenig ist. Ich glaube, daß das auf Dauer zu wenig sein wird. Ich meine daher, daß es nicht angeht, daß man die sogenannten männlichen Sicherheitsexperten zu diesem Thema reden läßt, wenn wir eigentlich über Rechtsstaatlichkeit und über Humanität reden wollen. Denn das ist das Ziel dieser Debatte. (Beifall bei den Grünen.)

Außerdem sollten Sie diese Prinzipien nicht als Verbesserung verkaufen, wenn Sie ohnehin durch den Verfassungsgerichtshof zu Handlungen veranlaßt sind – traurigerweise! Die Berufungsfrist betrug ursprünglich nur zwei Tage. Bei einer Frage, bei der es um Leben oder Tod geht: Zwei Tage für Menschen, die in aller Regel nicht oder nicht gut Deutsch können! Halten Sie das für rechtsstaatlich? – Das war Ihr Gesetz! Haben Sie das – angesichts der Tatsache, daß in jeder anderen Angelegenheit, wenn es zum Beispiel um irgendwelche Finanzangelegenheiten geht, selbstverständlich eine Berufungsfrist von 14 Tagen gilt – nicht für eine Verletzung des Rechtsstaats gehalten? Können Sie uns allen Ernstes erklären, daß es eine Verbesserung ist, jetzt eine Frist von einer Woche zu gewähren? – Eine Woche für eine formulierte Argumentation über Leben und Tod!

Ich meine, das können Sie hier nicht wirklich als Verbesserung anpreisen. Es müßte doch gerade in solch einem Verfahren, und zwar mit Hilfe des Staates, die bestmöglichen Chancen, das heißt, die an den besten Verfahren orientierten Möglichkeiten für Appellationen geben.


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