Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 174. Sitzung / 71

Wir leben in einer Gesellschaft, die nur dann funktioniert, wenn es Eigenständigkeit und Unabhängigkeit gibt. Das bedeutet, es muß ein ständiges Ringen umeinander, eine faire Auseinandersetzung um die gemeinsamen Ziele und den gemeinsamen Weg geben. Das kann manches Mal auch scheitern. Aber eine offene und echte Partnerschaft kann nur auf Basis von Eigenständigkeit und Unabhängigkeit gelebt werden. Ich finde, dazu trägt diese Novelle ein beachtliches Stück bei. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

12.28

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Danke, Frau Bundesministerin.

Zu Wort gelangt jetzt Frau Abgeordnete Mag. Kammerlander mit einer gewünschten Redezeit von 10 Minuten. – Bitte.

12.28

Abgeordnete Mag. Doris Kammerlander (Grüne): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Frau Bundesministerin! Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine Ausführungen – und das möchte ich vorausschicken – ausschließlich aus der Sicht der Frauenpolitik sehen und auch so verstanden wissen. Warum? – Zu der Begründung möchte ich gleich kommen.

Ich denke mir, daß diese Reform des Eherechtes in erster Linie ein vordringliches frauenpolitisches Anliegen ist. Ganz anders als das, was hier vor allem die ÖVP ausführt, sehe ich die Rolle der Frauen in der Ehe beziehungsweise die Folgen, die die Frauen vor allem dann zu tragen haben, wenn es zur Scheidung der Ehe kommt. (Abg. Kiss: Sie werden aber schon akzeptieren, daß es weiterhin Männer gibt! Ich darf darum ersuchen, Frau Kollegin!)

Halten wir vorweg noch einmal fest, daß Frauen in der Ehe, daß Ehefrauen keineswegs, wie die Redner Ihrer Fraktion behaupten, in diesem Zusammenhang besonders gut gestellt, besser gestellt oder auch nur gleichberechtigt seien. Davon ist keine Rede! (Ironische Heiterkeit des Abg. Kiss.) Keine Rede davon, Herr Kollege Kiss! Schauen Sie sich einfach die Zahlen an, schauen Sie sich die Erfahrungen an!

Beginnen wir bei der Erwerbstätigkeit der Frauen. Beginnen wir mit der Frage, wie viele Frauen aus dem Arbeitsprozeß hinausgedrängt werden mit der Begründung, sie seien ja schließlich verheiratet, sie seien ja schließlich versorgt. Beginnen wir damit, wie viele Frauen in Teilzeit arbeiten oder geringfügig beschäftigt sind, weil sie entweder als versorgt gelten oder weil sie Betreuungspflichten haben, die selbstverständlich in der Mehrzahl der Fälle, das wissen wir längst, immer an den Frauen hängenbleiben und bei den Frauen liegen. Daher kommt eine Vollerwerbstätigkeit in vielen Fällen gar nicht in Frage. (Abg. Kiss: Das bestreitet ja niemand!)

Aber das mindert natürlich die Chancen auf eine eigenständige Absicherung. Das ist ganz klar! Schauen Sie sich die Zahlen betreffend die Altersvorsorge an! Wir haben die Zahlen ja ein Jahr lang oder länger auch im Ausschuß diskutiert, und zwar im Rahmen der Debatte des Frauen-Volksbegehrens. Mehr als 50 Prozent der Frauen haben keine eigenständige Altersvorsorge! – Finden Sie das gleichberechtigt?! Finden Sie das gleichberechtigt und können Sie dann wirklich sagen, daß die Ehe eine Einrichtung ist, die die Frauen in besonderer Weise schützt oder stützt?! – Keines von beidem ist der Fall. Das sehen Sie, wenn Sie sich diese Zahlen anschauen.

Dabei rede ich noch gar nicht vom Ehegesetz selbst! Meine Vorrednerinnen haben es gesagt: Das Gesetz stammt aus dem vorigen Jahrhundert. – Und so schaut es auch aus. Es hat patriarchalische Züge, und zwar bis in die kleinsten Details hinein – abgesehen von den Skurrilitäten, die noch immer darin enthalten sind.

Ich sage Ihnen: Es wäre angesichts des ausgehenden 20. Jahrhunderts eigentlich angebracht gewesen, eine Totalreform zu machen, eine zeitgemäße Totalreform des Ehe- und Scheidungsrechts. Das wäre eigentlich angesagt gewesen. Es wäre Zeit gewesen, daß man sich endlich aufrafft und diesem Gesetz Züge verleiht, die den Entwicklungen der Zeit entsprechen, damit es anwendbar ist und einfach auch der Realität entspricht.


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