Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 174. Sitzung / 134

Ich habe zum erstenmal gezögert, Herr Dr. Kostelka, als Sie an die Adresse der ÖVP gesagt haben, sie soll lügenfrei in die nächste Wahl gehen, weil da natürlich auch etwas Entsprechendes mitschwingt. Und ich habe auch überlegt, ob ich den Abgeordneten Dr. Spindelegger, wenn er das Sprichwort zitiert: "Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht!", so verstehen muß, daß er damit an eine konkrete Person einen Vorwurf richtet.

Ich hoffe, daß es ein Beitrag zur Deeskalation ist, wenn ich es in beiden Fällen damit bewenden lasse, Sie zu bitten, sachlich zu argumentieren, dies umso mehr, als der Herr Bundeskanzler mir gesagt hat, er ist bereit und wird noch einmal versuchen, Herrn Abgeordnetem Spindelegger trotz dieser harten Ausdrucksweise seinen Standpunkt, nämlich den Standpunkt des Herrn Bundeskanzlers, zu erklären.

Bitte, Herr Bundeskanzler. (Abg. Haigermoser: Die nächste Koalition ist schon ausgemacht! Sie sollten sich wieder vertragen!)

16.34

Bundeskanzler Mag. Viktor Klima: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! (Weitere Zwischenrufe bei SPÖ und ÖVP sowie den Freiheitlichen.) Ich halte es für sehr wesentlich, daß wir in einer demokratischen Kultur persönliche Angriffe und Untergriffe unterlassen. Ich möchte daher auf zwei Bemerkungen eingehen, aber zuerst eine sachliche Information zu der, wie ich meine, durchaus ernsthaften Auseinandersetzung des Herrn Abgeordneten Scheibner.

Herr Abgeordneter! Sie haben zum Thema Verschmelzung der Europäischen Union mit der Westeuropäischen Union zu Recht etwas zitiert, was beabsichtigt war. Es war nämlich beabsichtigt, daß es zu einer vollen Verschmelzung der Europäischen Union mit der Westeuropäischen Union unter Anwendung des Artikels 5 auch im WEU-Vertrag käme. Das hat ohne Zweifel die Charakteristik eines Militärpaktes. Aber es ist sehr klar und deutlich ein Anliegen von mehreren Staaten gewesen, in den Schlußfolgerungen von Köln klarzustellen, daß die Artikel-5-Beistandsverpflichtung nicht integriert wird, nicht verpflichtend integriert wird in die Europäische Union und daß nur jene Teile der WEU (Abg. Böhacker: Wo steht das?) – in den Schlußfolgerungen des Europäischen Rates (Abg. Scheibner: Aber es ist nicht ausgeschlossen!), o ja! – integriert werden, die eine vernünftige Zusammenarbeit erlauben. (Neuerliche Zwischenrufe bei den Freiheitlichen. – Abg. Böhacker: Seite, Absatz, Zeile? – Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.)

Es steht sehr klar und eindeutig – seien Sie bitte fair, ich bin es auch! – in der entsprechenden Deklaration von Köln, daß der Militärpakt, Artikel 5, daß die Beistandsverpflichtung nicht übertragen wird.

Sehr geehrter Herr Abgeordneter Spindelegger! Ich erlaube mir aber, weil ich annehme, daß auch Sie an einer seriösen Diskussion interessiert sind, doch einige Klarstellungen zu treffen, um auch etwaige Mißverständnisse aufzuklären, die Sie vielleicht zur bewußten Äußerung gebracht haben.

Zum ersten, zum Ausdruck "justified and warranted". (Abg. Dkfm. Holger Bauer: Wie bitte?) Ich darf noch einmal festhalten – es wurde mehrfach das Gegenteil behauptet, aber das ist nicht wahr –: In der von den Staats- und Regierungsschefs beschlossenen Berliner Erklärung kommt das nicht vor! – Richtig ist, daß zwei Wochen später in der Sitzung der Außenminister am 8. April im Allgemeinen Rat diese Formulierung von "justified and warranted" getroffen wurde.

Und jetzt komme ich sofort zu dem informellen Treffen in Brüssel. Beim informellen Treffen in Brüssel hat die deutsche Präsidentschaft – in Eigenverantwortung der Präsidentschaft – eine Presseerklärung zur Diskussion gestellt, die nie beschlossen wurde. Aber in dieser Presseerklärung, die diskutiert wurde, haben mehrere Staaten, nicht nur Österreich, sich dagegen gewandt, daß es eine aktive Unterstützung der Militärschläge, die die NATO durchführt, geben kann, weil das nicht verträglich ist mit der Erklärung der 15. Und ich habe dann vorgeschlagen: Nehmen wir doch die Formulierung, auf die sich alle 15 Außenminister schon eine Woche zuvor geeinigt haben!


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