Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 1. Sitzung / Seite 15

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ein Volksparteiler, der dritte wieder ein Sozialdemokrat, obwohl immer in der Zweiten Republik ... (Abg. Dr. Kostelka: Nach d’Hondt!)  – Nach d’Hondt, mein Gott, ja! Formale Argumente, Herr Kollege Kostelka!

Heute geht es nicht nur um formale Fragen, sondern es geht um die inhaltliche politische Frage, wer dieses Land an welcher Stelle repräsentieren soll, kann und darf. (Beifall bei den Grünen.)

Ich beginne jetzt mit einer kleinen Geschichte, die ich nicht selbst erlebt habe, die mir aber sehr glaubhaft berichtet wurde. Das Schlimme daran ist gerade, dass sie so glaubhaft ist. Wien, Oktober 1999, Straßenbahn. Eine etwas gehbehinderte Frau, als Ausländerin oder allenfalls naturalisierte Österreicherin, jedenfalls als irgendwie fremdländisch an ihrem Kopftuch erkennbar, steigt in die Straßenbahn ein. Ein Mann steht auf und macht ihr Platz. Daraufhin entsteht eine erbitterte, lebhafte Diskussion in diesem Straßenbahnwaggon: Hörst, wås måchst der Tschuschin Plåtz? – So weit sind wir in diesem Land?! Das ist doch unfassbar!

Wie nahe hier Fremdenfeindlichkeit, Xenophobie, Menschenverachtung und Herrenmenschentum unseligen Angedenkens beieinander liegen, das muss man sich anhand dieser kleinen Geschichte einmal klarmachen. Eine kleine unbedeutende Geschichte, und doch weckt sie Erinnerungen – zumindest in mir, und ich hoffe, in vielen anderen auch –, etwa an das Polen der frühen vierziger Jahre, als Polen den Gehsteig zu verlassen hatten, wenn ein deutscher "Herrenmensch" einhergeschritten kam.

Das ist ein Einzelfall, gewiss. Hoffen wir, dass dies ein Einzelfall ist, aber die Einzelfälle häufen sich, die Salonfähigkeit bestimmter Äußerungen nimmt zu. Ich bin überzeugt davon, dass die meisten von Ihnen das erfahren haben: die Salonfähigkeit nicht nur fremdenfeindlicher Äußerungen, nicht nur dieser latenten Xenophobie, die an sich harmlos ist, die wir schon aus den Romanen von Agatha Christie kennen, sondern etwas ganz anderes, etwas Härteres nimmt zu. Ich persönlich habe im Wahlkampf nicht viele, aber doch eine Hand voll eindeutig nationalsozialistischer Äußerungen gehört. Das Bemerkenswerte ist nicht, dass ich das höre, sondern das Bemerkenswerte ist, dass man sich traut, das zu äußern, dass es möglich ist, das öffentlich zu sagen, wenn auch in einer sehr kleinen Öffentlichkeit einem Abgeordneten oder sonst jemandem gegenüber.

Ich kann dafür im Übrigen einen unverdächtigen Zeugen – da sitzt er – namhaft machen: Herrn Innenminister Schlögl. In der gestrigen Ausgabe des "Standard" heißt es: Minister Schlögl ortet in Österreich eine gefährliche Stimmung; Übergriffe gegenüber jüdischen und ausländischen Mitbürgern seien im Zunehmen begriffen. – Sie müssen es ja wissen, Herr Innenminister.

Die FPÖ ist natürlich nicht allein verantwortlich für diese Entwicklung. Im Grunde genommen ist jeder von uns ein bisschen mitverantwortlich, so zum Beispiel, wenn man so etwas in der Straßenbahn erlebt – und schweigt und zuschaut oder sich nicht beteiligt und wegschaut. Mir liegt das auch nicht, mich in solchen Fällen einzumischen; ich weiß genau, wie schwierig das ist. Aber wir hier, die 183 Abgeordneten dieses Hauses, haben eine besondere Verantwortung, die über die eines Straßenbahnmitfahrers weit hinausgeht.

Sie von der FPÖ sind nicht allein verantwortlich, das ist gar keine Frage, aber Sie sind doch mitverantwortlich. Jede Partei, die in Wien einen Wahlkampf dieser Art führt, muss sich gefallen lassen, als mitverantwortlich für diese Entwicklung bezeichnet zu werden, mit diesen beiden Plakaten – Sie wissen, welche ich meine: auf einem gelben Hintergrund. Jeder politisch Interessierte, jeder politisch Gebildete weiß, was diese gelbe Farbe assoziiert, was sie bedeutet: Das ist eine indirekte Anspielung auf den latenten Antisemitismus in Österreich. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Wir haben ja heute hier keine Wahlkampfveranstaltung, der Wahlkampf ist vorbei, wir haben eine schlichte Aufgabe. (Zwischenruf des Abg. Scheibner. ) Herr Kollege Scheibner! Sie haben alles Mögliche aufgezählt, was Wahlkampf ist; ich beschränke mich auf das, was wir hier und heute zu tun haben, nämlich den Ersten, Zweiten und Dritten Nationalratspräsidenten zu wählen. Ich meine, das ist nicht irgendeine Wahl, bei der man sich


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