Meine Damen und Herren! Sie haben uns letztlich betreffend das Thema Kindesmissbrauch – eines der heikelsten, schwierigsten und sensibelsten Themen im gesamten Strafrecht – billigen Revanchismus unterstellt. – Tatsächlich geht es darum, dass wir aufgrund der Situation, in der wir uns befinden, eine Fortentwicklung der gesetzlichen Situation vorantreiben wollen und werden, und ich werde auch begründen, warum, Frau Kollegin Stoisits.
Wir ändern § 84 Strafprozessordnung in Wahrheit nur in einer Passage. Die Helferverbände sind so wie bisher von der Anzeige ausgenommen. Allerdings wird für den Fall, dass es im Interesse des Opfers erforderlich ist, dazu aufgefordert, sehr wohl Anzeige zu erstatten. Und ich werde jetzt ausformulieren, wieso ich glaube, dass das notwendig ist.
Meine Damen und Herren! Kinder, die Opfer eines sexuellen Missbrauchs werden, treffen auf ihren Täter oder Peiniger sehr oft im Familienkreis. Es gibt dann im Regelfall die zaghafte Mutter, die nicht weiß, was wirklich stimmt: die Information des Kindes oder die Beteuerung des Vaters oder des Stiefvaters. Es gibt den sehr vehement abstreitenden Vater oder Stiefvater, und es gibt das Kind, das verängstigt, besorgt, frustriert und verunsichert ist.
Auf Grund dieser Situation haben sich zumindest in der Steiermark zweierlei Schulen für Sozialarbeiter entwickelt, die für mich sehr bedenklich sind, weil es keine einheitliche Vorgangsweise gibt. Die eine Schule vertritt die Auffassung, dass man den Täter nach Möglichkeit so lange wie möglich im Familienkreis belassen soll, weil die Familie als Einheit therapiert werden soll. Dabei kommt es immer wieder vor, dass der peinigende Vater oder Stiefvater erneut sexuell aggressiv gegen das Kind vorgeht. – Die zweite Schule spricht davon, dass der Täter so rasch wie möglich aus dem Familienverband entfernt werden soll, damit das Opfer so rasch wie möglich therapiert werden kann. – Die Wahrheit wird wahrscheinlich in der Mitte liegen.
Meine Damen und Herren! Auf Grund dieses Umstandes haben wir in der Steiermark Therapeuten, Richter, Anwälte, Politiker und alle, die sich dafür interessiert haben, zusammengefasst und versucht, eine neue Vorgangsweise zu erarbeiten. Die Psychotherapeuten und Sozialarbeiter haben übereinstimmend gesagt, dass auf alle Fälle folgendes notwendig ist: Will man das Opfer therapieren oder Therapieversuche unternehmen, dann muss die Schuld vom Opfer fortgewiesen werden. Im Regelfall fühlen sich nämlich die Mädchen, minderjährige Mädchen, aber auch die Buben schuldig, wenn sie Opfer eines sexuellen Missbrauchs geworden sind. Solange die Schuld nicht vom Opfer weggebracht wird, ist eine Therapie nicht möglich.
Jetzt ganz kurz zu einem Beispiel, das meiner Meinung nach diese Bestimmung heute emotional wie auch sachlich geradezu herausfordert und forciert. Ich bringe Ihnen ein Fallbeispiel, das via Video dokumentiert ist und Ihnen jederzeit, weil es anonym ist, vorgespielt werden kann:
Ein 12-jähriges Mädchen wird – das war vor sieben Jahren, also genau in der Zeit, in der man diese Änderung der Strafprozessordnung das erste Mal durchgeführt hat – von seinem Stiefvater missbraucht. Es kommt in weiterer Folge zu einem Schwangerschaftsabbruch. Der Täter bleibt im Familienkreis. Die Sozialarbeiter erfahren erstmals von der Tatsache der Peinigung. Der zweite Schwangerschaftsabbruch folgt zwei Jahre später.
Meine Damen und Herren! Der Täter wird noch immer nicht angezeigt, und die Sozialarbeiter machen jetzt etwas, was ich wirklich unverschämt finde: Sie spielen Detektiv, vernehmen den Täter ein und sagen wortwörtlich: Wenn du nicht gestehst, dann bringen wir den Fall an die Öffentlichkeit. – Und zu dem Mädchen sagt man: Wenn du uns nicht sagst, was los ist, dann wird es dir nicht gut gehen.
Meine Damen und Herren! Genau diese Tatsachen sind es, die professionelle Hilfe notwendig machen. Ich habe heute mit mehreren Sozialarbeitern gesprochen, und ich glaube, dass diese Regelung, die wir heute beschließen werden, eine für die Allgemeinheit verträgliche ist, mit der die Sozialarbeiter und vor allem auch die Opfer ganz gut leben können. Wir werden diesem Antrag zustimmen. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)
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